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KWA Symposium.<br />
Blickwinkel.<br />
Transnationale Pflegekräfte –<br />
Wer pflegt Deutschland?<br />
Experten beschrieben beim 14. KWA<br />
Symposium, was alles zu tun ist,<br />
wenn wir Menschen aus dem Ausland<br />
hier in der Pflege einsetzen<br />
möchten. – KWA Vorstand Dr. Stefan<br />
Arend verdeutlichte: Wir brauchen<br />
dringend Mitarbeiter aus dem Ausland.<br />
Wir können aber unsere Probleme<br />
nicht auf dem Rücken anderer<br />
Länder lösen. Ein Dilemma.<br />
Drei KWA Pflegemitarbeiter mit<br />
Migrationsgeschichte berichteten<br />
beim KWA Symposium in München,<br />
wieso sie heute in Deutschland leben<br />
und in der Pflege arbeiten: Stefania<br />
Mihuta, Solange Kamdem und Semir<br />
Sogorovic. Alle drei haben selbst die<br />
Initiative ergriffen, um hier arbeiten<br />
zu können, kämpfen zwar noch mit<br />
der deutschen Sprache, haben jedoch<br />
klare Ziele. Diese aus Arbeitgebersicht<br />
erfreulichen Beispiele sind freilich<br />
nicht repräsentativ. Recruiting-Experte<br />
Axel Klopprogge sagt: „Es reicht nicht,<br />
zu hoffen, dass jemand kommt oder<br />
dass man Arbeitslose abgreifen kann.<br />
Man muss strukturelle Lösungen<br />
suchen. Das wird in der Regel ein Mix<br />
aus ganz unterschiedlichen Dingen<br />
sein – von der Erhöhung der Eigenausbildung<br />
über eine Reduzierung der<br />
Fluktuation und des Krankenstandes<br />
bis hin zur gezielten Akquise im Ausland.“<br />
Dass wir uns um ausländische<br />
Mitarbeiter bemühen müssen, wenn<br />
wir das prognostizierte gigantische<br />
Defizit an Pflegekräften abfedern<br />
möchten, stellte beim Symposium<br />
keiner infrage. Allerdings benannte<br />
der Jurist und Gerontologe Thomas<br />
Klie eine Reihe von Problemen, die<br />
gelöst werden müssen, wenn wir<br />
Menschen aus anderen Ländern für<br />
die Arbeit in Deutschland gewinnen<br />
möchten. Unter anderem: die Anerkennung<br />
beruflicher Qualifikationen,<br />
die aufenthaltsrechtliche Situation<br />
und die Frage des Familiennachzugs.<br />
Kulturelle Differenzen, andere Berufsvorstellungen<br />
und Sprachprobleme<br />
seien weitere Handlungsfelder. Der<br />
„Brain-Drain“ – der Verlust von<br />
Akademikern und Fachkräften in den<br />
Herkunftsländern durch die Abwanderung<br />
– dürfe dabei nicht außer Acht<br />
gelassen werden. Das liegt auch der<br />
Politikwissenschaftlerin Grit Braeseke<br />
am Herzen: Die internationale Anwerbung<br />
von Fachkräften müsse im<br />
Einklang stehen mit einer nachhaltigen<br />
Förderung der Gesundheitssysteme<br />
in Entwicklungsländern. Braeseke beschäftigt<br />
sich seit Jahren mit Gesundheitssystemen<br />
und sozialpolitischen<br />
Herausforderungen. Sie sagt: „Wenn<br />
man Menschen aus Entwicklungsoder<br />
Schwellenländern für die Arbeit<br />
in der Pflege zu uns holt, muss man<br />
etwas zurückgeben, sich zumindest<br />
engagieren.“ – Beispielsweise dafür,<br />
dass im Herkunftsland verstärkt<br />
ausgebildet wird. Wie andere Länder<br />
mit dem Pflegekräftemangel umgehen?<br />
In den USA wird über temporäre<br />
Arbeitsmigration diskutiert. In Japan<br />
sind quartiersbezogene Pflegearrangements<br />
ein Lösungsansatz, zudem ein<br />
„Economic Partnership Agreement“<br />
mit Indonesien, den Philippinen und<br />
Vietnam. Erkenntnisse aus einem<br />
Pilotprojekt von Deutschland mit Vietnam<br />
sind laut Braeseke übertragbar:<br />
Eine längere Eingewöhnungsphase<br />
und interkulturelle Trainings sind bei<br />
ausländischen Mitarbeitern unumgänglich,<br />
zudem private und berufliche<br />
Integration sowie sprachliche<br />
Begleitung. Im KWA Forum ebenfalls<br />
beleuchtet wurde die Situation von<br />
ausländischen Haushaltshilfen, die laut<br />
Thomas Klie gekennzeichnet ist von<br />
geringer Entlohnung, dem Pendeln<br />
zwischen Arbeits- und Lebensort,<br />
dem Risiko fachlicher Überforderung<br />
und familienähnlichen Konstellationen<br />
am Arbeitsplatz, jedoch mit asymmetrischen,<br />
feudalen Strukturen. Der Bundesverband<br />
Seniorenbetreuung nimmt<br />
an, dass bis zu 90 Prozent der osteuropäischen<br />
Helferinnen „schwarz“ in<br />
deutschen Haushalten arbeiten. Thomas<br />
Klie hat kein Verständnis für das<br />
Wegschauen: „400.000 Menschen<br />
sind – weitgehend illegal – in deutschen<br />
Haushalten beschäftigt. – Und<br />
es passiert nichts.“<br />
Sieglinde Hankele<br />
Ein ausführlicher Bericht<br />
zum 14. KWA Symposium<br />
ist auf www.kwa.de zu<br />
finden sowie ein Link zum<br />
Symposiumsfilm.<br />
Ausländische Arbeitskräfte im<br />
Gesundheitswesen und in der Pflege<br />
Prof. Dr. Roland Schmidt<br />
Im November 2015 veröffentlichte<br />
die Prognos AG eine im Auftrag des<br />
Bundesministeriums für Gesundheit<br />
erstellte Studie zum Thema „Ausländische<br />
Beschäftigte im Gesundheitswesen<br />
nach Herkunftsländern“. Rund<br />
8 Prozent der Ärzte und rund 14 Prozent<br />
der Mitarbeiter in nichtärztlichen<br />
Gesundheitsberufen stammen im Jahr<br />
2014 aus dem Ausland. Es handelt<br />
sich, beide Gruppen zusammengenommen,<br />
um rund 633.000 Beschäftigte<br />
mit Migrationshintergrund.<br />
In der Altenpflege sind zum Untersuchungszeitpunkt<br />
bundesweit rund<br />
140.000 ausländische Arbeitskräfte<br />
tätig. Das sind 23 Prozent aller in<br />
dieser Teilbranche Tätigen. Mit Blick<br />
auf die Herkunftsländer stammen<br />
39 Prozent aus EU-Staaten, 30 Prozent<br />
aus dem übrigen Europa und 26 Prozent<br />
aus außereuropäischen Staaten<br />
mit dem Schwerpunkt Asien. Bei etwa<br />
5 Prozent ist das Herkunftsland nicht<br />
bekannt.<br />
Drei Barrieren für das Tätigwerden<br />
hierzulande stellt die Prognos AG als<br />
zentral heraus:<br />
• die Beherrschung der deutschen<br />
Sprache sowohl im Hinblick auf<br />
Patienten als auch im Hinblick auf<br />
die fachliche Verständigung mit<br />
Kollegen,<br />
• die Anerkennung der im Ausland<br />
erworbenen Qualifikationen, die zudem<br />
nicht bundeseinheitlich geregelt<br />
ist, sowie<br />
• kulturelle Differenzen, wobei diese<br />
sich insbesondere an fehlenden<br />
Kenntnissen des deutschen Gesundheits-<br />
und Pflegesystems und<br />
berufsspezifischer Verhaltensnormen<br />
festmachen lassen.<br />
Die Anerkennungsproblematik stellt<br />
sich in der Altenpflege als besonders<br />
gravierend heraus. Knapp jeder zweite<br />
Antrag auf Anerkennung wird derzeit<br />
negativ beschieden.<br />
Anstellungsträger haben im Falle der<br />
Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer<br />
im Bereich Gesundheit und<br />
Pflege mit dem Erfordernis einer intensiveren<br />
Einarbeitung zu rechnen. Auch<br />
besteht ein Unterstützungsbedarf bei<br />
Themen wie Umgang mit Behörden,<br />
Arbeitsplatzsuche des Partners, Wohnungssuche<br />
und Kinderbetreuung.<br />
Eine finanzielle Förderung von Sprachkursen<br />
und deren Abstimmung mit<br />
Arbeitszeiten ist aus Sicht der ausländischen<br />
Mitarbeiter von besonderer<br />
Bedeutung.<br />
Ausländische Arbeitnehmer sind<br />
unabdingbar, will man die Fachkräftelücke<br />
schließen, die sich im Gesundheitswesen<br />
und in der Pflege bis 2025<br />
immer weiter öffnet. Dies gilt primär<br />
für Gesundheitsberufe mit Berufsabschluss,<br />
unter anderem für Pflegefachkräfte.<br />
Hier geht die Prognos<br />
AG von einer Lücke in Höhe von 18<br />
Prozent aus. Aber auch für Berufe mit<br />
Hochschulabschluss, deren Lücke mit<br />
9 Prozent veranschlagt wird. Eine Intensivierung<br />
der Bemühungen um die<br />
Gewinnung ausländischer Fachkräfte<br />
ist somit zwingend geboten. Auch<br />
KWA wird die begonnenen Bemühungen<br />
um ausländisches Fachpersonal<br />
fortführen und intensivieren.<br />
Zudem ist ein Tätigsein ausländischer<br />
Fachkräfte von Vorteil, wenn mittelbis<br />
längerfristig auch mehr Bewohner<br />
und Pflegekunden von KWA ausländische<br />
Wurzeln haben werden. Ein<br />
international zusammengesetztes<br />
Personal stärkt die Übereinstimmung<br />
(kulturelle Konvergenz) zwischen Bewohnern<br />
und Kunden einerseits und<br />
Mitarbeitern von KWA andererseits.<br />
14 <strong>alternovum</strong> | 1/2016<br />
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