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Blickwinkel.<br />

Entwurf 3:<br />

Ein dritter Entwurf, eingebracht von<br />

den Abgeordneten Renate Künast,<br />

Petra Sitte und Kai Gehring, sah vor,<br />

dass die Hilfe zur Selbsttötung als<br />

nicht strafbare Handlung normiert<br />

wird. Lediglich die gewerbsmäßige,<br />

das heißt gewinnorientierte Hilfe zur<br />

Selbsttötung solle verboten werden,<br />

wobei nach der Gesetzesbegründung<br />

auch Ärzte gewerbsmäßig handeln<br />

können, wenn sie sich für die Hilfe<br />

entlohnen lassen und nicht ausschließlich<br />

kostendeckend arbeiten.<br />

Entwurf 4: Entwurf 5:<br />

Ein vierter Entwurf, entwickelt vom<br />

Abgeordneten Patrick Sensburg und<br />

anderen, wollte die Anstiftung oder<br />

Beihilfe einer Selbsttötung und die<br />

Teilnahme unter Strafe stellen – auch<br />

den Versuch, ohne Ausnahme für<br />

Angehörige und Ärzte.<br />

Ein letzter Antrag schlug vor,<br />

keine neuen Straftatbestände bei<br />

der Sterbehilfe zu schaffen. Die<br />

Gesetzeslage sei ausreichend.<br />

„Keiner der Gesetzesentwürfe kann wirklich<br />

überzeugen, keine gesetzliche Regelung<br />

wird die mit der Sterbehilfe verbundenen<br />

Dilemmata wirklich lösen können.“<br />

Assistierter Suizid – Ausweg oder Irrweg?<br />

Geschäftsmäßige Beihilfe zum Suizid wurde verboten.<br />

Von Prof. Dr. Thomas Klie.<br />

Eine Mehrheit der Bundesbürger<br />

ist für eine Legalisierung des<br />

assistierten Suizides. Der Deutsche<br />

Bundestag hat am 6. November<br />

2015 mit großer Mehrheit entschieden:<br />

Die geschäftsmäßige<br />

Unterstützung beim Freitod wird<br />

unter Strafe gestellt. Fünf Gesetzesentwürfe<br />

standen einander gegenüber.<br />

Entwurf 1:<br />

Der Entwurf einer Gruppe von<br />

Abgeordneten um Michael Brand,<br />

Kerstin Griese und anderen sieht die<br />

Schaffung eines neuen Straftatbestandes<br />

im Strafgesetzbuch vor, der<br />

die geschäftsmäßige und damit auch<br />

die gewerbliche Förderung der<br />

Selbsttötung unter Strafe stellt, durch<br />

einen ergänzenden Absatz in § 117<br />

StGB. Die Geschäftsmäßigkeit ist<br />

dann gegeben, wenn die Handlung<br />

in der Absicht erfolgt, die Suizidhilfe<br />

zu einem wiederkehrenden und<br />

dauernden Bestandteil der Beschäftigung<br />

zu machen. Angehörige und<br />

andere dem Suizidwilligen nahestehende<br />

Angehörige, die sich lediglich<br />

als nicht geschäftsmäßig handelnde<br />

Teilnehmer an der Tat beteiligen,<br />

werden von der Strafandrohung<br />

ausgenommen.<br />

Entwurf 2:<br />

Ein zweiter Entwurf, vorgelegt von<br />

den Abgeordneten Peter Hintze und<br />

Karl Lauterbach, verzichtet auf eine<br />

strafrechtliche Regelung und schlägt<br />

alternativ vor, positiv zu regeln, unter<br />

welchen Voraussetzungen allein<br />

Ärzten assistierte Suizidhandlungen<br />

gestattet sein sollen, auf der Basis<br />

von § 121a BGB-E. Dadurch soll das<br />

Selbstbestimmungsrecht des Patienten<br />

gesichert werden, und zwar in<br />

Situationen, in denen es sich um<br />

unheilbare Erkrankungen handelt, die<br />

unumkehrbar zum Tode führen.<br />

In der Debatte um den assistierten<br />

Suizid standen somit zur Diskussion:<br />

• Gesetz zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen<br />

Förderung der<br />

Selbsttötung (MdB Brandt u. a.)<br />

• Gesetz zur Regelung der ärztlich<br />

begleiteten Lebensbeendigung<br />

(MdB Hintze u. a.)<br />

• Gesetz zur Straffreiheit der Hilfe<br />

zur Selbsttötung (MdB Künast u. a.)<br />

• Gesetz zur Strafbarkeit der Teilnahme<br />

an der Selbsttötung (MdB<br />

Sensburg u. a.)<br />

• Antrag: keine neuen Straftatbestände<br />

bei Sterbehilfe (MdB Keul u. a.)<br />

Die Regelung, die der Deutsche<br />

Bundestag nun beschlossen hat, geht<br />

dem einen nicht weit genug und ist<br />

dem anderen viel zu streng und<br />

wenig liberal.<br />

Die geschäftsmäßige Sterbehilfe wird<br />

verboten, Einzelfallentscheidungen<br />

von Ärzten, die Hilfe zum Suizid<br />

leisten, sollen aber ebenso straffrei<br />

bleiben wie Unterstützungshandlungen<br />

von Angehörigen. Dem<br />

Gesetzesentwurf von Michael Brand<br />

und Kerstin Griese wurde damit der<br />

Vorzug vor den anderen Gesetzesentwürfen<br />

gegeben. Sterbehilfevereine<br />

wie „Dignitas“ oder „Exit“,<br />

die in der Schweiz den assistierten<br />

Suizid organisieren, sie haben auch<br />

zukünftig in Deutschland keine<br />

Chance. Rechtswissenschaftlich<br />

bleibt die Regelung höchst umstritten.<br />

Namhafte Wissenschaftler und auch<br />

der Deutsche Ethikrat hatten dazu<br />

aufgefordert, an der geltenden<br />

Rechtslage nichts zu ändern. Denn:<br />

Keiner der Gesetzesentwürfe kann<br />

wirklich überzeugen, keine gesetzliche<br />

Regelung wird die mit der<br />

Sterbehilfe verbundenen Dilemmata<br />

wirklich lösen können. Was individualethisch<br />

nachvollziehbar ist, dass<br />

jemand das Recht auf den eigenen<br />

Tod für sich beansprucht und dabei<br />

auch Hilfe anderer in Anspruch<br />

nehmen will, steht in Konkurrenz zu<br />

einer sozialethischen Betrachtung:<br />

Wird es durch die Möglichkeit, sich<br />

beim Sterben helfen zu lassen,<br />

irgendwann zu einer gesellschaftlichen<br />

Erwartung, sich das Leben<br />

nehmen zu lassen, wenn man<br />

anderen nur noch zur Last fällt, wenn<br />

das Leben nicht mehr als würdevoll<br />

erscheint, wenn die ausreichende<br />

Versorgung nicht sichergestellt wird?<br />

In einer Gesellschaft des langen<br />

Lebens ist es eine Frage der Kultur,<br />

wie wir zum Thema Sterben und Tod<br />

stehen, wie wir das Sterben als Teil<br />

des Lebens verstehen und Sterbenden<br />

Solidarität zeigen. Es braucht<br />

Bedingungen, in denen das Sterben<br />

zum Leben gehört und ebenso die<br />

Sterbenden in unser Leben. Es hieße,<br />

das Leben unvollständig zu denken<br />

und zu sehen, wenn wir nicht Phasen<br />

der Verwiesenheit auf Hilfen anderer<br />

genauso als wichtige Zeit unseres<br />

Lebens verstehen wie die, die von<br />

innerer Stärke und Autonomie<br />

geprägt sind. Nicht umsonst hat der<br />

Deutsche Bundestag vor der Debatte<br />

über die Sterbehilfe das Hospiz- und<br />

Palliativgesetz verabschiedet, das<br />

den Ausbau der Unterstützung<br />

fachlicher und ehrenamtlicher Hilfen<br />

für Sterbende vorsieht.<br />

(www.agp-freiburg.de)<br />

24 <strong>alternovum</strong> | 1/2016<br />

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