60 | <strong>BOLD</strong> THE MAGAZINE REISE | ROCKY MOUNTAINS Ausgangspunkt unseres Abenteuers ist Vancouver am Pazifik, im Westen Kanadas. Die Metropole zählt zu den schönsten und lebenswertesten Städten der Welt mit einem ganzjährig milden Klima. Einwanderer britischer und deutscher Herkunft stellen die Mehrheit der Bevölkerung, aber auch Asiaten wie Chinesen, Japaner und Inder sind stark vertreten. Die China Town in Vancouver ist die größte Kanadas. In den von historischen Gebäuden mit Ziergärten in den Hinterhöfen gesäumten Straßen und Gassen reihen sich traditionelle Apotheken, Restaurants und Garküchen aneinander, in denen Köche in auf offener Gasflamme zischenden Woks die ganze Vielfalt der chinesischen Küche zubereiten. Im Stanley Park an der Küste, der größer als der Central Park in New York City ist, erinnern bunt bemalte Totempfähle an die First Nations, wie die indianischen Ureinwohner in Kanada bezeichnet werden. Morgens im Fairmont Hotel im City Centre, 1939 von Mitgliedern des britischen Königshauses eröffnet, erste Adresse der Stadt, betreten drei Hippies, zwei Frauen, ein Mann, den Aufzug. Sie tragen lässige Kleidung in schrillen Farben, bedruckt mit Blättern der Marihuana-Pflanze. Jack reicht mir einen Joint. „Etwas früh, um zu kiffen“, sage ich überrascht. Die Frauen kichern sympathisch, Jack lacht: „Dann rauch ihn heute Abend, guter Stoff.“ In einem Kunstzentrum in der Nähe sei eine Ausstellung über die vielfältigen Nutzungsmöglichkeiten der Pflanze, ergänzt er. Am Abend gebe es auch eine Demonstration für die völlige Legalisierung des Haschischkonsums. Der Kundgebungsplatz sei direkt hinter dem Hotel. Am Abend spielen Reggaebands, Tausende feiern, süßliche Rauchschwaden ziehen durch die wogende Menge. Vancouvers Bevölkerung ist stolz auf die ethnische Vielfalt, die kreative und liberale Atmosphäre ihrer Stadt, und die geographische Lage. Zwischen gläsernen Wolkenkratzern blitzen am Horizont Berge mit verschneiten Gipfeln auf. Bis fast an die Ufer der amphibischen Stadt mit ihren Stränden, Spazier- und Radwegen, Yacht- und Wasserflugzeughäfen reichen immergrüne, dichtbewaldete Inseln, auf denen Bären, Rotwild und Wölfe zu Hause sind. Der luxuriöse Panoramazug Rocky Mountaineer, in Gold, Blau und Weiß lackiert, lässt diese unvergleichliche Stadtlandschaft bald hinter sich, überquert mehrere Brücken und nimmt auf dem Weg durch das Küstengebirge der Provinz British Columbia Kurs auf die Rocky Mountains. Zwei Tage dauert die Fahrt mit einer Hotel-Übernachtung in Kamloops bis zur von hohen Bergen umgebenen, 900 Kilometer entfernten Kleinstadt Jasper im gleichnamigen Nationalpark von Alberta. Das Fairmont-Hotel in Kamloops, mit Chalets an einem türkisfarbenen See vor dunklem Wald, der im Hintergrund überragt ist von schneebedeckten Berggipfeln, ist äußerst stilvoll. Elche weiden auf dem Grundstück und an Straßenkreuzungen. Schwarz- und Grizzlybären, Wapiti-Hirsche, Wölfe, Kojoten und Luchse ziehen in den Wäldern auf Nahrungssuche umher, während Pumas vorwiegend in den höheren Bergregionen leben. Beinahe geräuschlos zieht die Lokomotive die ein- und zweistöckigen Waggons durch eine zunächst sanfte, dann wilde und schroffe Landschaft. Auf weite Ebenen, wo Rinder und Schafe weiden, Pferde grasen und Getreide sowie Obst angebaut wird, folgt die Fraser- Schlucht mit reißendem Wildwasser, in denen die größten Lachsgründe der Welt beheimatet sind. Zum Greifen nah stürzen Wasserfälle von Felsmassiven herab. Der Zug gleitet an Flüssen entlang, durch Mischwälder und wüstenähnliche Hügellandschaften und vorbei an den höchsten Gipfeln der Rocky Mountains wie dem fast 4.000 Meter hohen Mount Robson. Gletscher speisen zahlreiche Seen, die bis zum Frühlingsende vereist sind und in den Sommermonaten smaragdgrün und türkisfarben leuchten. Freundliche und kompetente Zugbegleiter servieren nicht nur im Preis inbegriffene Getränke und Snacks, sondern informieren mit Entertainmentqualitäten auch über Geschichte und Natur der jeweiligen Reiseabschnitte sowie den beschwerlichen Bau der Eisenbahnstrecke und Pioniere der Region, wie den Forscher Simon Fraser, dessen Namen die Schlucht trägt. Er schrieb 1808 in sein Tagebuch: „Wir mussten ein Gebiet passieren, in das sich kein Mensch wagen sollte.“
REISE | ROCKY MOUNTAINS <strong>BOLD</strong> THE MAGAZINE | 61 Panorama: Rundherum verglast verpasst man kein Motiv