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Special: Synthetische Biologie & Biotechnologie<br />

Andere Arbeitsgruppen, etwa diejenigen<br />

um George Church oder Farren Isaacs<br />

(Harvard bzw. Yale University), versuchten,<br />

durch genetische Manipulation allen 321<br />

UAG-Stop-Codons in E. coli eine neue Bedeutung<br />

zu verleihen, indem sie diese in<br />

UAA Stop-Codons umwandelten. Allerhand<br />

genetische Kunstgriffe waren nötig, aber es<br />

gelang ihnen: Am Ende war das einstmalige<br />

Nonsense-Codon UAG damit frei für<br />

die Translation neuer Aminosäuren. Damit<br />

war theoretisch gezeigt, dass man Codons<br />

re-codieren kann – zumindest solange man<br />

nur an der dritten Base des Codons herumschraubt<br />

und an dessen Bedeutung nichts<br />

verändert.<br />

Ungleich schwieriger erscheint es,<br />

Sense- Codons mit neuen Funktionen zu belegen,<br />

denn damit werden Veränderungen<br />

in der Proteinstruktur und -faltung sowie<br />

vermutlich auch die Translationseffizienz<br />

und -genauigkeit beeinflusst.<br />

Das alles hat somit Auswirkungen<br />

auf die Proteinfunktion<br />

und kann folglich die<br />

Fitness der Bakterien verändern.<br />

Um das auszutesten,<br />

kreierte das Church-Team ein<br />

richtig ambitioniertes Experiment.<br />

Sie wollten gleich 13<br />

seltene DNA-Tripletts in allen<br />

ribosomalen – und damit<br />

absolut essentiellen – Genen<br />

neu codieren. Vorsichtshalber<br />

sollten dabei die Identitäten<br />

der codierten Aminosäuren<br />

unverändert bleiben, also nur<br />

die Nukleotid- und nicht die<br />

Proteinsequenzen verändern werden. Das<br />

Experiment gelang – die Veränderungen<br />

wurden aber dennoch von Fitness-Einbußen<br />

begleitet. Man kann also theoretisch<br />

nicht vorhersagen, wie sich Umdeutungen<br />

von Sense-Codons konkret auf den Organismus<br />

auswirken. Die Forscher zogen<br />

daraus den Schluss, künftig nur noch gezielt<br />

spezielle Codons zu ändern und dabei<br />

auf normales Wachstum zu selektieren<br />

(Science 2014, 342: 357 und 361). Von<br />

Proteom-übergreifender Re-Codierung war<br />

also keine Rede.<br />

Code für neue Aminosäure<br />

38<br />

Illustr.: TU Berlin / AK Biokatalyse<br />

Dennoch ließ Budisa diese Idee nicht<br />

fallen. Sein Plan war, eine Aminosäure im<br />

gesamten Genom zu re-codieren. Er wählte<br />

das DNA-Triplett TTG aus. Das eher seltene<br />

Codon kommt 20.699-mal im E. coli Genom<br />

vor und steht für Tryptophan. Diese<br />

Aminosäure sollte durch das sterisch sehr<br />

ähnliche ß-(Thieno[3,2-b]pyrroll)alanin,<br />

kurz [3,2]Tpa ersetzt werden, welches sich<br />

von Tryptophan nur darin unterscheidet,<br />

dass es statt des Benzolrings einen Thiophenring<br />

(5er-Ring mit Schwefel atom)<br />

enthält. In Vorversuchen – noch im Labor<br />

von Nobelpreisträger Robert Huber am<br />

Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried<br />

– hatte er gezeigt, dass die Tryptophanyl-rRNA-Sythetase<br />

aus E. coli [3,2]Tpa<br />

als Ersatz akzeptiert.<br />

Allerdings wollte Budisa die Proteom-<br />

Re-Codierung nicht durch aufwändige genetische<br />

Manipulationen à la Church und<br />

Isaacs erreichen, sondern er setzte auf die<br />

enorme Kraft der Evolution durch natürliche<br />

Selektion. Zuerst mussten Budisa und<br />

Co. dafür sorgen, dass ihre kommerziellen<br />

Medien tatsächlich hundertprozentig frei<br />

waren von Tryptophan-Spuren, oder von<br />

Resten der Vorstufe Indol. Also pipettierten<br />

seine Mitarbeiter sich selber ein Medium<br />

zusammen, das so genannte New Minimal<br />

Nach 1.000 bis 2.000 Generationen<br />

nahmen die Bakterien [3,2]Tpa anstelle von Tryptophan.<br />

Medium (NMM). Es enthält 19 Aminosäuren,<br />

Salze, Zucker, Spurenelemente,<br />

allesamt biotechnisch oder chemisch synthetisiert<br />

(Eur. J. Biochem. 230: 788).<br />

Diesem Medium setzten sie zu Beginn<br />

des Experiments Indol zu, denn ohne diesen<br />

Baustein wuchsen die Bakterien überhaupt<br />

nicht. Außerdem war eine konstante<br />

Menge Thienopyrrol im Medium. An diese<br />

heterozyklische Verbindung kann das Bakterium<br />

Alanin anhängen und dadurch [3,2]<br />

Tpa herstellen. Indol gelangt durch aktiven<br />

Transport in die Zellen, das Thienopyrrol<br />

durch Diffusion. Durch schrittweise Senkung<br />

der Indol-Konzentration während der<br />

sukzessiven Kultur wurden die Bakterien<br />

zunehmend unabhängig von Indol und<br />

verwendeten den Ersatzstoff. Schon nach<br />

164 Kulturtagen (entspricht 106 Passagierungen)<br />

war es soweit: die Organismen<br />

brauchten kein Tryptophan mehr. Danach<br />

ließen die Berliner nach und nach auch<br />

alle nicht-essentiellen, natürlichen Aminosäuren<br />

weg. Nach insgesamt nur 264<br />

Passagierungen und 506 Tagen hatten sie<br />

eine Kultur, die in Minimalmedium recht<br />

gut wachsen konnte.<br />

Während dieser Zeit hatten Budisa und<br />

Co. natürlich verschiedene Proben gezogen<br />

– und nun stellte sich die Frage: Waren<br />

wirklich im gesamten Proteom alle Tryptophane<br />

durch [3,2]Tpa ersetzt worden?<br />

Zum Nachweis waren Massenspektrometrie<br />

und Gaschromatographie angesagt.<br />

„Ich habe zwei Arbeitsgruppen um diese<br />

Analysen gebeten. Die wussten erst einmal<br />

nichts voneinander – und als sie es erfahren<br />

haben, waren sie ein bisschen sauer mit<br />

mir. Aber ich wollte wirklich zwei völlig<br />

unabhängige Expertisen haben“, erzählt<br />

Budisa gut gelaunt. Na ja – wer in seiner<br />

Freizeit boxt, den können Wortgefechte<br />

wohl nicht wirklich erschüttern.<br />

Das Ergebnis der doppelten Analyse:<br />

Im zuletzt verwendeten Minimalmedium<br />

war kein Tryptophan nachweisbar (!), in<br />

der am längsten evolvierten<br />

Kultur fand die Massenspektrometrie<br />

(MS/MS) noch 0,5<br />

± 0,8 %, die aber in der<br />

Gaschromatographie nicht<br />

auftauchten. Umgekehrt<br />

ersetzte nach MS/MS-Analyse<br />

[3,2]Tpa 99,5 ± 0,8 %<br />

aller Tryptophanpositionen<br />

im Proteom. Da die 0,5%<br />

Tryptophan im Rahmen der<br />

Fehlergrenzen lagen „[…]<br />

demonstrieren diese GC/<br />

MS-Analysen im Rahmen des<br />

Detektionslimits unserer Methode<br />

und der verwendeten<br />

Messgeräte das vollständige<br />

Fehlen von Trp im Proteom der evolvierten<br />

Stämme“ – so die Schlussfolgerung der<br />

Forscher in ihrem Paper, das sie übrigens<br />

nicht wie die US-Kollegen bei einem der<br />

Glamour-Journals einreichten, sondern in<br />

dem weniger bekannten Blatt Angewandte<br />

Chemie (Angew. Chem. Int. Ed. Engl. 2015,<br />

127: 10168). Warum das? „Die Konkurrenz<br />

ist sehr schlagkräftig. Wir wollten daher<br />

schlichtweg schnell sein und nicht riskieren,<br />

dass uns jemand zuvor kommt“, erklärt<br />

Budisa. „Angewandte Chemie hat nur drei<br />

Monate für den Review-Prozess benötigt.“<br />

Der Hobbyboxer weiß eben, dass Schnelligkeit<br />

nicht nur im Ring zählt. Die Strategie<br />

war völlig richtig, denn bereits Anfang<br />

2015 publizierten die zwei Gruppen um<br />

Isaacs und Church die zumindest teilweise<br />

Re-Codierung von Sense-Codons zu künstlichen<br />

Aminosäuren (ACS Synth. Biol. 2016,<br />

5: 163-71, Nature 2015, 518: 55).<br />

Sehr wahrscheinlich sammelten die<br />

Bakterien kompensatorische Mutationen<br />

ein, um letztlich auf Tryptophan verzichten<br />

zu können. Und welche? „Na, was vermuten<br />

4/2016 Laborjournal

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