FINE Das Weinmagazin - 03/2015
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: SCHWEIZ
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DEUTSCHLAND • ÖSTERREICH • SCHWEIZ • SKANDINAVIEN • GROSSBRITANNIEN • USA • AUSTRALIEN<br />
3| <strong>2015</strong> Deutschland € 15<br />
Österreich € 16,90<br />
Italien € 18,50<br />
Schweiz chf 30,00<br />
DAS WEINMAGAZIN<br />
Wein und Zeit: Zisterziensische Weinkultur<br />
Stuart Pigott: Upstate New York<br />
Jacob Duijn und seine Spätburgunder<br />
Der Wiener Gemischte Satz<br />
Die grossen Weine Siziliens<br />
Sternstunden des Syrah<br />
Dolcetto aus Dogliani<br />
Burgund: Clos des Lambrays<br />
Zwanzig Jahre Luce della Vite<br />
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Kloster Eberbach – Geschichte und Wein<br />
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Kunst, Kultur und Geschichte der fast 900 Jahre alten Abtei. Neben der spannen den<br />
Historie im Spiegel deutscher und Rheingauer Geschichte liegt ein weiterer Fokus<br />
auf der Architektur und dem Weinbau. In einer umfassenden Beschreibung werden<br />
auch Weine aus der historischen Schatzkammer vorgestellt. Wie das Kloster Eberbach<br />
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Verehrte Leserin, lieber Leser,<br />
»Der Apfel ist gefallen!« Ja wie?<br />
Wo? Ich hatte wieder nichts ge sehen.<br />
Schon zum dritten Mal war ich mit<br />
meinem Vater in die Nachmittagsvorstellung<br />
von Schillers Schweizer Nationaldrama in unser kleines<br />
Stadttheater gegangen, um mit angehaltenem Atem zu beobachten,<br />
wie Wilhelm Tell auf zynisches Geheiß des habsburgischen Blutvogts<br />
Gessler mit seiner Armbrust die rotbackige Frucht vom Scheitel seines<br />
Söhnchens Walther schießt. Aber immer wenn der entscheidende<br />
Moment nahte, gab es auf der anderen Seite der Szene eine kurze Aufwallung,<br />
die mich zwei Sekunden vom starren Blick auf Walthers Kopf<br />
ablenkte – und schon: »Der Apfel ist gefallen!« Im Freudenschrei der<br />
erleichtert begeisterten Eidgenossen, denen das Leben des kleinen Tell<br />
geschenkt war durch den – wie ich wieder nur vermuten konnte – Präzisionsschuss<br />
des wackeren Wilhelm musste ich meine Enttäuschung<br />
verbergen, den Augenblick der Wahrheit abermals verpasst zu haben;<br />
wie ich heute weiß: für immer.<br />
Schon damals, in fernen Kindertagen, dämmerte mir eine Gewissheit:<br />
<strong>Das</strong>s fast allem eidgenössischen Tun ein Geheimnis innewohnt,<br />
das zu bewahren offenbar Teil des Rütli-Schwurs war und ist – bis heute.<br />
Um das berühmt-berüchtigte Bankgeheimnis hat es immerhin erregte<br />
öffentliche Debatten gegeben, in und »ennet« der Schweiz. Noch<br />
aufregender und spannender erscheint mir die Geheimnis krämerei,<br />
mit der die Schweizer ihre herrlichen Weine umgeben, so sehr, dass<br />
sie im Ausland kaum erhältlich sind. Dem endlich auf den Grund zu<br />
gehen, haben wir zwei Kollegen um ausführliche Recherchen gebeten:<br />
Peter Keller, Weinredaktor der Neuen Zürcher Zeitung, nähert sich<br />
der eid genössischen Weinszene als intimer Kenner von innen, Rainer<br />
Schäfer, unser Hamburger Reb-Enthusiast, voller Neugier und mit<br />
vielen Fragen von außen. Ob sie den Rätseln der Winzer und Weine<br />
aus dem Waadtland, der Bündner Herrschaft, aus Thurgau, dem Tessin<br />
und anderen Alpen- und Seeregionen der Schweiz auf die Spur gekommen<br />
sind, sie gar geknackt haben – das wollen wir getrost Ihrem Urteil<br />
überlassen. Vielleicht ist aber alles ganz unspektakulär, und die Weinliebhaber<br />
zwischen Basel und Genf trinken ihre raren Spitzenrebsäfte<br />
deshalb lieber selber, weil sie sie keinem Fremden überlassen wollen:<br />
Sie schmecken ihnen vielleicht schlicht besser, als alle Weine, die sie<br />
importieren könnten?<br />
Indessen hat natürlich jeder große Wein seine eigenen wundervoll<br />
verborgenen Seiten, und jeder Weinfreund darf sich als Pfadfinder auf<br />
der Suche nach den Gründen für dessen Vollkommenheit fühlen. Wenn<br />
Armin Diel die wechselvolle Geschichte der ruhmreichen Domaine de<br />
Lambrays nachzeichnet, wird klar, wie und warum der Clos de Lambrays<br />
ein Kleinod der Bourgogne wurde. Wenn Dirk Notheis einen Hochgesang<br />
anstimmt, weil ihn die überwältigende Verkostung von einunddreißig<br />
weltberühmten Syrahs mit den sensorischen Sensationen, die ihm<br />
Mund und Gaumen netzten, nicht sprachlos machte, sondern ihm entzückt<br />
die Zunge löste. Gern wären wir dabeigewesen – wie auch bei der<br />
Präsentation eines neuen Highend-Champagners von Moët & Chandon,<br />
die Stefan Pegatzky zum Anlass nimmt, sich Gedanken zur origi nären<br />
Kunst der Assemblage zu machen. Alchimie? Gewiss nicht, sondern<br />
bedeutende Champagnertradition, allerfeinste Ressourcen und das<br />
Genie eines Kellermeisters. Auch dieser Erfolg ist kein Geheimnis:<br />
Wie ein Holländer zum Großmeister des Ortenauer Spätburgunders<br />
wurde, erzählt Kristine Bäder. Und Till Ehrlich hat die Frage, ob es<br />
einen großartigen Wein aus der Dolcetto-Traube geben könne, geklärt:<br />
Er fand ihn in und um Dogliani, einem malerischen Städtchen im südlichen<br />
Piemont. Je mehr er diese Rotweine verkostete, desto mehr geriet<br />
er auch ins Staunen. Augenblicklich Gewissheit fand er hingegen bei<br />
einer Verti kale aller zwanzig Jahrgänge von Luce della Vite aus dem jahrhunderte<br />
alten Haus Frescobaldi: Ein authentischer roter Toskaner, der<br />
nach etwas unsicherem Beginn heute seinen hohen Standard unangefochten<br />
behauptet – neben Ornellaia und Masseto ein weiterer großer<br />
Wein der bedeutenden Florentiner Weindynastie.<br />
Geheimnis und Wahrheit – beides liegt im Wein. Um Erkenntnis<br />
daraus zu gewinnen, muss man ihn nur verständig trinken. Freilich lässt<br />
sich auch bei verständigem Lesen nicht unbeträchtlicher Erkenntnisgewinn<br />
erzielen. Wir wollen kein Geheimnis daraus machen: Mit<br />
diesem Heft legen wir Ihnen voller Freude die dreißigste Ausgabe von<br />
Fine vor. Und obwohl uns die journalistische Profession zu so kritischer<br />
wie präziser Beobachtung, zu so skeptischem wie passioniertem Urteil,<br />
nicht zuletzt auch zu einem gehörigen Maß an selbst kritischer Reflektion<br />
verpflichtet, halten wir es gelegentlich gern auch mit einer sehr selbstbewussten<br />
ureidgenössischen Maxime: »Jeds Problemli hät zwöi Siite –<br />
die fauschi ond üsi.« <strong>Das</strong> hätte auch der grässliche Gessler bedenken<br />
sollen!<br />
UNNECESSARILY WELL MADE<br />
Thomas Schröder<br />
Chefredakteur<br />
<strong>FINE</strong><br />
Editorial<br />
9
E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />
DAS WEINMAGAZIN<br />
3/<strong>2015</strong><br />
INHALT<br />
24 Weinland Schweiz<br />
32 Bündner Herrschaft 38 Thurgau<br />
44 Tessin<br />
50 Wallis<br />
54 Drei-Seen-Land<br />
9 <strong>FINE</strong> Editorial Thomas Schröder<br />
14 <strong>FINE</strong> Burgund Ein Kleinod, in Mauern gefasst: Clos des Lambrays<br />
24 <strong>FINE</strong> Schweiz Weinland Schweiz<br />
32 <strong>FINE</strong> Schweiz Bündner Herrschaft: Georg Fromm, Denker und Terroirist<br />
38 <strong>FINE</strong> Schweiz Thurgau: <strong>Das</strong> Vermächtnis des Hans Ulrich Kesselring<br />
44 <strong>FINE</strong> Schweiz Tessin: Vier Aussteiger aus der Deutschschweiz<br />
50 <strong>FINE</strong> Schweiz Wallis: Anne-Catherine und Denis Mercier<br />
55 <strong>FINE</strong> Schweiz Drei-Seen-Land: Jacques Tatasciore und sein begehrter Pinot Noir<br />
58 <strong>FINE</strong> Frauen im Wein Sabine Steiner, die Winzerin vom Bielersee<br />
66 <strong>FINE</strong> Wein & Speisen Jürgen Dollase im Restaurant Stucki in Basel<br />
74 <strong>FINE</strong> Champagner Der MCIII von Moët & Chandon<br />
14 Clos des Lambrays<br />
74 Der MCIII von Moët & Chandon<br />
104 Zwanzig Jahre Luce della Vite<br />
80 Sternstunden des Syrah<br />
80 <strong>FINE</strong> Tasting Sternstunden des Syrah<br />
90 <strong>FINE</strong> Tasting Der Wiener Gemischte Satz<br />
96 <strong>FINE</strong> Die Pigott Kolumne FLX: <strong>Das</strong> andere New York<br />
100 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Große Dutzend Badia a Passignano Marchesi Antinori<br />
104 <strong>FINE</strong> Toskana Die dunkle Sonne von Montalcino: Zwanzig Jahre Luce della Vite<br />
114 <strong>FINE</strong> Piemont Dolcetto aus Dogliani<br />
124 <strong>FINE</strong> Sizilien Die großen Weine Siziliens – Teil 2: Die Küste entlang<br />
134 <strong>FINE</strong> Genießen Hummer und seine Begleiter<br />
136 <strong>FINE</strong> Wein und Zeit Zisterziensische Weinkultur in Deutschland<br />
142 <strong>FINE</strong> Die Würtz Kolumne Wie Müller sein soll<br />
144 <strong>FINE</strong> Baden Jacob Duijn und seine Spätburgunder aus der Ortenau<br />
154 <strong>FINE</strong> Sommerfest Fine feiert: Sommer-Gala <strong>2015</strong><br />
158 <strong>FINE</strong> <strong>Das</strong> Bier danach India Pale Ale<br />
114 Dolcetto aus Dogliani<br />
124 Sizilien – Teil 2: Die Küste entlang<br />
144 Jacob Duijn und seine Spätburgunder<br />
154 <strong>FINE</strong> feiert: Sommer-Gala <strong>2015</strong><br />
162 <strong>FINE</strong> Abgang Ralf Frenzel<br />
6 7<br />
<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Inhalt
Ein Kleinod,<br />
in Mauern<br />
gefasst<br />
Mit der Grand-Cru-Lage<br />
Clos des Lambrays hütet die<br />
Domaine an der Côte de Nuits<br />
einen kostbaren Schatz<br />
Nach wechselvollen Jahren mit verschiedenen Eigentümern gelangte die Domaine des Lambrays in<br />
Morey-Saint-Denis im Jahr 1996 in den Besitz des Koblenzer Werbeunternehmers Günter Freund.<br />
Der investierte Unsummen in die Rekonstruktion von Weinbergen, Park und Gebäuden und verwandelte<br />
das zehneinhalb Hektar große Gut in ein wahres Schmuckstück der Côte d’Or. Nach seinem<br />
Tod kam das Weingut im Jahr 2014 in den noblen Fundus der Weingüter des Luxuskonzerns LVMH.<br />
Von Armin Diel<br />
Fotos Marco Grundt<br />
14 15<br />
<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Bourgogne
<strong>FINE</strong> TASTING<br />
Armin Diel verkostet siebzehn Pinots Noirs des Grand Cru<br />
Clos des Lambrays aus den Jahrgängen 1997 bis 2013 sowie vier weitere<br />
Weine der Domaine des Lambrays aus dem Jahrgang 2013<br />
1997 Clos des Lambrays Grand Cru 88 P<br />
Die Lese erfolgte vom 18. bis 24. September. Es wurden fünfundzwanzigtausend Flaschen abgefüllt. Mitteltiefes Rubinrot mit zarten Orangereflexen<br />
am Rand; duftet nach Teeblättern, Waldboden und auch etwas Jod; zarte Frucht, mittlere Spannkraft, samtige Tannine, passabler<br />
Nachhall. Sollte alsbald getrunken werden.<br />
1998 Clos des Lambrays Grand Cru 90 P<br />
Die Lese erfolgte vom 19. bis 26. September. Es wurden siebenundzwanzigtausend Flaschen abgefüllt. Gut gedecktes Rubinrot mit zarten Orangereflexen<br />
am Rand; duftet nach Schokolade, Veilchen und Sauerkirsche; mittelgewichtiger Körper, herzhafte Tanninstruktur, guter Fond, etwas<br />
altmodischer Stil. Nähert sich dem Höhepunkt.<br />
1999 Clos des Lambrays Grand Cru 93 P<br />
Die Lese erfolgte vom 18. bis 24. September. Es wurden einundvierzigtausendfünfhundert Flaschen abgefüllt. Gut gedecktes Rubinrot; rauchiger<br />
Brombeerduft, herzhafte Grundstruktur, vollmundiger Körper, beste Harmonie, elegante Struktur, mit viel Freude zu genießen. Bester Trinkzeitraum<br />
bis 2020.<br />
2000 Clos des Lambrays Grand Cru 91 P<br />
Die Lese erfolgte vom 20. bis 27. September. Es wurden zweiunddreißigtausendfünfhundert Flaschen abgefüllt. Gut gedecktes Rubinrot mit<br />
zarten Orangereflexen am Rand; deutlicher Anflug von Waldboden und Wildkräutern, samtiger Körper, weiche Tannine, gut entwickelt, sehr<br />
ansprechend für den Jahrgang. Bester Trinkzeitraum bis 2020.<br />
2001 Clos des Lambrays Grand Cru 91 P<br />
Die Lese erfolgte vom 20. bis 28. September. Es wurden sechsunddreißigtausend Flaschen abgefüllt. Gut gedecktes Rubinrot mit zarten Orangereflexen<br />
am Rand; duftet nach Veilchen und Sauerkirsche, herzhafte Tanninstruktur, recht kühle Note, feinherber Nachhall. Bester Trinkzeitraum<br />
bis 2018.<br />
2002 Clos des Lambrays Grand Cru 93 P<br />
Die Lese erfolgte vom 17. bis 26. September. Es wurden fünfunddreißigtausend Flaschen abgefüllt. Gut gedecktes Rubinrot mit zarten Orangereflexen<br />
am Rand; im Duft wieder die typischen Noten von Waldboden und Wildkräutern, sehr eleganter Körper, viel rote Früchte, ein Hauch<br />
von belebender Minze. Bester Trinkzeitraum bis 2020.<br />
20<strong>03</strong> Clos des Lambrays Grand Cru 95 P<br />
Die Lese erfolgte vom 24. August bis 2. September. Es wurden vierundzwanzigtausend Flaschen abgefüllt. Gut gedecktes Rubinrot mit zarten<br />
Orangereflexen am Rand; viel Rauch und Dörrobst, sehr saftiger, geradezu opulenter Körper, portweinartige Süße. Bester Trinkzeitraum bis 2025.<br />
2004 Clos des Lambrays Grand Cru 87 P<br />
Die Lese erfolgte vom 22. bis 29. September. Es wurden zwanzigtausend Flaschen abgefüllt. Mitteltiefes Rubinrot mit zarten Orangereflexen<br />
am Rand; duftet nach Pfeffer und Geranien, fast ein Foxton wie bei manchen Hybriden, Anflug von Paprika, herzhafte Tannine. Nähert sich<br />
dem Höhepunkt.<br />
2005 Clos des Lambrays Grand Cru 96 P<br />
Die Lese erfolgte vom 19. bis 24. September. Es wurden fünfunddreißigtausend Flaschen abgefüllt. Kräftiges Rubinrot mit zarten Orange reflexen<br />
am Rand; reichhaltiger Duft von Brombeere und Vanille, saftig und elegant zugleich, hat alle Anlagen eines großen Weins mit enormem Entwicklungspotential.<br />
Bester Trinkzeitraum von 2020 bis 2<strong>03</strong>0.<br />
20 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong>
Die Existenz des Weinbergs Clos des Lambrays ist bis in das Jahr 1365 dokumentiert, als er zum weitreichenden Besitz des<br />
Klosters von Cîteaux gehörte. Nach der französischen Revolution wurde der gut acht Hektar umfassende Weinberg<br />
auf insgesamt vierundsiebzig Winzer verteilt, deren jeweiliger Anteil sich rechnerisch also auf etwas mehr als tausend<br />
Quadrat meter belief. Diese Phase dauerte bis zum Jahr 1836, als die in Nuits-Saint-Georges ansässige Weinhändler familie<br />
Joly sämtliche Teilstücke des Clos des Lambrays aufkaufte und damit zur Alleineigentümerin wurde. Dreißig Jahre später erwarb Albert<br />
Rodier aus Dijon das Gut. 1938 gelangte es in den Besitz der Pariser Bankiersfamilie Cosson, die namentlich in den Jahrgängen 1945,<br />
1947 und 1949 bemerkens werte Weine erzeugte. Doch in der Folgezeit investierte sie kaum noch in Weinberge und Gutsgebäude, die<br />
sich am Ende in beklagenswertem Zustand präsentierten.<br />
Zunächst entwickelten sich die Wein-Geschäfte<br />
der Saiers in den 1980er Jahren prächtig, und das<br />
Weingut in Morey-Saint-Denis blühte förmlich<br />
auf. <strong>Das</strong> sollte sich jedoch im Jahr 1992 ändern, als<br />
die Saiers sich an der Firma Félix Potin beteiligten,<br />
die im Großraum Paris vier hundert Supermärkte<br />
besaß. Als die Geschäfte dort stockten, mussten sie<br />
die Domaine des Lambrays 1994 als Sicherheit verpfänden.<br />
Ihr Weingut in Algerien hatten sie schon<br />
vorher verkauft und die Weinberge in Mercurey<br />
an das Weinhandelshaus Misserey abgegeben. Als<br />
liebte sich sogleich in das historische Weingut. In<br />
der Kanzlei von Maître Souchon in Long jumeau<br />
bei Paris unterzeichneten Günter Freund und seine<br />
Frau Ruth am 30. Dezember 1996 den Kaufvertrag.<br />
Zum Preis von dreiundvierzig Millionen Francs,<br />
was heute in etwa sieben Millionen Euro entspricht,<br />
wurden sie die neuen Eigentümer der Domaine<br />
des Lambrays.<br />
Gutsverwalter Brouin erhielt alle Vollmachten,<br />
das Weingut gründlich auf Vordermann zu bringen,<br />
und durfte für die Restauration der Weinberge und<br />
Mit der Domaine des Lambrays hat der<br />
Luxus konzern LVMH vor anderthalb Jahren<br />
ein wahres Schmuckstück erworben. Seit<br />
1980 verwaltet der Önologe Thierry Brouin<br />
das Weingut in Morey-Saint-Denis. Ihm ist<br />
es zu verdanken, dass der Clos des Lambrays<br />
als Grand Cru eingestuft wurde.<br />
Kurz vor der Lese des Jahrgangs 1979 kauften<br />
die Brüder Fabienne und Louis Saier<br />
das Gut gemeinsam mit Roland Pelletier<br />
de Chambure, einem reichen Rennstall besitzer und<br />
Pferdezüchter in der Normandie. Nach dessen Tod<br />
im Jahr 1988 übernahmen die Saiers seinen Anteil<br />
und be saßen damit die Domaine des Lambrays<br />
allein. Die Saiers waren Algerier elsässischen<br />
Ursprungs, die in Nordafrika ein großes Weingut<br />
besaßen sowie dreißig Hektar Weinberge im südburgundischen<br />
Mercurey.<br />
Schon ein Jahr nach dem Kauf hatten die Saiers<br />
den zweiunddreißig jährigen Önologen Thierry<br />
Brouin als Gutsverwalter eingestellt, der zuvor<br />
beim Institut National des Appellations d’Origine<br />
(INAO) für die Lagenprüfung an der Côte d’Or<br />
und im Jura zuständig gewesen war. Dies sollte sich<br />
als glänzende Wahl erweisen. Denn Brouin wusste<br />
natürlich ganz genau, welche Wege zu beschreiten<br />
waren, um den bislang als Premier Cru eingestuften<br />
Clos des Lambrays in die höchste Kategorie zu<br />
befördern. Den ent sprechenden Antrag brachte er<br />
umgehend zu Papier und wies unter anderem darauf<br />
hin, dass der frühere Besitzer Albert Rodier seinen<br />
Wein in den 1920er Jahren unwider sprochen als<br />
Grand Cru Classé etikettiert hatte.<br />
In Morey-Saint-Denis existierten bis dahin vier<br />
Grands Crus, von denen der siebeneinhalb Hektar<br />
große Clos de Tart im Jahr 1938 als erster in den<br />
Adelsstand erhoben worden war. Im Jahr 1969 folgten<br />
drei weitere Lagen, der Clos de la Roche mit<br />
siebzehn Hektar, der Clos Saint-Denis mit sechseinhalb<br />
sowie der Bonnes-Mares mit insgesamt<br />
fünfzehn Hektar, von denen allerdings nur zehn<br />
Prozent zur Gemarkung von Morey-Saint-Denis<br />
zählen; der größere Teil gehört zu der Nachbargemeinde<br />
Chambolle-Musigny. Es ist die einzige<br />
Grand-Cru-Lage der Côte de Nuits, die sich auf<br />
zwei Ortschaften verteilt. An der Côte de Beaune<br />
hingegen sind solche Verhältnisse keine Ausnahme.<br />
Dem Antrag der Brüder Saier wurde seinerzeit<br />
übrigens prompt stattgegeben. Die Unterzeichnung<br />
des Dekrets zur neuen Klassifikation war die letzte<br />
Amtshandlung des Premier ministers Raymond<br />
Barre unter Valéry Giscard d’Estaing.<br />
Félix Potin 1995 liquidiert wurde, waren die Saiers<br />
auch ihr burgundisches Schmuckstück los, das<br />
unter Zwangsverwaltung gestellt wurde. »Es war<br />
ganz furchtbar,« erinnert sich Thierry Brouin, »die<br />
Liquidation erfolgte exakt zwei Wochen vor der<br />
Traubenlese. Gottlob ließ mich der kluge Insolvenzverwalter<br />
aber in Ruhe arbeiten!«<br />
Schon im nächsten Jahr nahte die Rettung<br />
in der Person des Koblenzer Werbeunternehmers<br />
Günter Freund. Auf dem Weg zu seinem Ferienhaus<br />
in Saint-Tropez machte der Wein lieb haber<br />
regelmäßig Station in Burgund, wo er 1975 zum<br />
Chevalier du Tastevin geschlagen worden war. Von<br />
einem befreundeten Architekten erfuhr er, dass die<br />
Domaine des Lambrays zum Verkauf stand, und ver-<br />
des Gutsgebäudes mit dem wunderschönen Park<br />
fünf weitere Millionen Euro ausgeben.<br />
Dazu zählte auch die Installation eines modernen<br />
Kelterhauses, in dem Brouin bis heute die roten<br />
Trauben mit den Stielen nach einer Mazeration von<br />
fünf Tagen etwa eine Woche in Edelstahltanks vergären<br />
lässt. Um die Extraktion der Farbe zu intensivieren,<br />
wird der Maischehut mehrmals am Tag<br />
untergestoßen und der Tresterkuchen mit jungem<br />
Wein überschwallt. Nach einer weiteren Maischestandzeit<br />
von zehn Tagen in geschlossenen Tanks<br />
erfolgt der Abzug des Jungweins in zweihundertachtundzwanzig<br />
Liter fassende Pièces, die jedes<br />
Jahr zur Hälfte erneuert werden. <strong>Das</strong> Eichenholz<br />
der kleinen Fässer stammt aus dem Massif<br />
Central, gefertigt werden sie ausschließlich in der<br />
Tonnellerie François Frères in Saint-Romain. Die<br />
im Tank verbliebene Maische wird in einer pneumatischen<br />
Presse schonend gekeltert und dem frei<br />
abgelaufenen Jungwein meist wieder hinzugefügt.<br />
Nach der malolaktischen Gärung wird der Wein<br />
abgestochen und verbleibt dann mehrere Monate<br />
auf der Feinhefe, bevor er anderthalb Jahre nach der<br />
Ernte ohne Filtration und Schönung auf Flaschen<br />
abgefüllt wird.<br />
Es zählt zu den Besonderheiten der Domaine<br />
des Lambrays, dass die von einer Mauer um gebene<br />
Grand-Cru-Lage Clos des Lambrays statt liche fünfundachtzig<br />
Prozent der insgesamt zehn Hektar<br />
umfassenden Rotweinfläche umfasst. Wie die<br />
16 17<br />
<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Bourgogne
Weinland Schweiz<br />
Ehret einheimisches Schaffen: Die Schweizer<br />
Im Wallis mit seinem Hauptort Sierre an der Rhône werden<br />
mehr als fünfzig verschiedene autochthone Rebsorten gehegt<br />
und gepflegt. Die Roccoli, Türme aus dem 19. Jahrhundert,<br />
die bis vor wenigen Jahrzehnten der Jagd auf Zugvögel dienten,<br />
prägen auch hier das Landschaftsbild.<br />
trinken ihre Weine selber. Dies führt dazu, dass<br />
die Gewächse von Genf bis Graubünden im Ausland<br />
kein Image geniessen – obwohl die Qualität in den<br />
letzten zwanzig Jahren sprunghaft gestiegen ist.<br />
Von Peter Keller<br />
Fotos Alex Habermehl<br />
Die Schweiz ist ein kleines Land. Vereinzelt ist das Selbstbewusstsein aber groß, auch in der Weinbranche. Nur so lässt sich erklären, dass<br />
kürzlich ein Edelwein namens »Electus« lanciert und preislich mit knapp 200 Franken an der oberen Schmerzgrenze positioniert wurde.<br />
Die ungewöhnliche Marketing-Idee hatte nicht ein besonders innovativer Kleinwinzer, sondern die Walliser Genossenschaft Provins, ein<br />
Großunternehmen, das nicht weniger als ein Zehntel der Schweizer Weinproduktion von rund hundert Millionen Litern erzeugt. Die<br />
dreitausendvierhundert Mitglieder der Kooperative bewirtschaften achthundertdreißig Hektar Rebland. »Electus« ist ein Reißbrett-<br />
Wein, der sieben Rebsorten aus den besten Lagen enthält. Er soll dereinst in der Liga anderer Ikonen mitspielen, wie Sassicaia, Vega Sicilia,<br />
Opus One und wie sie alle heißen.<br />
Ob das gelingt, steht auf einem anderen Blatt.<br />
»Electus«, eine abenteuerliche Assemblage<br />
aus den regionalen Sorten Cornalin<br />
und Humagne Rouge, den globalen Vertretern<br />
Syrah, Merlot, Cabernet Sauvignon und Cabernet<br />
Franc sowie der Neuzüchtung Diolinoir, verdeutlicht<br />
aber auch das Dilemma, in dem der Schweizer<br />
Weinbau steckt. Einerseits will man beweisen, dass<br />
das Land die klimatischen und geologischen Voraussetzungen<br />
mitbringt, um große Weine zu erzeugen.<br />
Andererseits wird mit dem Wein das Urteil zementiert,<br />
die Schweiz sei teuer und für Aus länder eh<br />
unerschwinglich. Immerhin liefert die Neu kreation<br />
den Beweis dafür, dass die einheimische Weinszene<br />
lebt – und das mehr denn je.<br />
Die Branche hat sich in den letzten fünfzehn,<br />
zwanzig Jahren markant verändert. Harmlose, säurearme<br />
Chasselas-Weine aus der Westschweiz, langweilige<br />
Beerliweine aus der Deutschschweiz sind<br />
hinweggefegt worden von hochwertigen, charaktervollen<br />
Kreszenzen, die selbst verwöhnte Kenner<br />
entzücken. Seit Anfang des neuen Jahrtausends der<br />
Heimatschutz für Schweizer Gewächse wegfiel und<br />
die während langer Zeit gepflegte Selbstgenügsamkeit<br />
einem neuen Denken Platz machte, wird nicht<br />
mehr von Quantität, sondern von Quali tät gesprochen.<br />
Selbstbewusste Winzer orientierten sich neu<br />
24 25<br />
<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Schweiz
Frauen im Wein<br />
Dreiundzwanzigste Folge<br />
»Schliesslich<br />
lebe ich<br />
vom Wein«<br />
Sabine Steiner, die ambitionierte<br />
Winzerin vom Bielersee<br />
Von Peter Keller<br />
Fotos Alex Habermehl<br />
Sie kommen langsam, aber gewaltig – die Frauen im Schweizer Weinbau. Hinter<br />
etablierten Namen wie Marie-Thérèse Chappaz aus dem Wallis oder Irene Grünenfelder<br />
aus der Bündner Herrschaft drängen junge innovative Winzerinnen ins<br />
Rampen licht. Zu ihnen zählt die talentierte Bernerin Sabine Steiner, die am westlichen<br />
Ufer des Bielersees geradlinige, mineralische, hochstehende Weine keltert.<br />
58 59<br />
<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Frauen im Wein
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»Weil<br />
Innovation<br />
das Herz des<br />
Hauses ist!«<br />
Mit dem neuen MCIII erweitert Moët & Chandon<br />
die Definition eines Champagners<br />
Von Stefan Pegatzky<br />
Die Champagne ist in Bewegung. Spätestens seit der Jahrtausendwende gärt es in der Region, die jahrhunderte lang als Inbegriff der französischen<br />
Klassik galt. Neue Wege der Herstellung, sich wandelnde Konsumenten gewohnheiten und ein verändertes Geschmacksbild<br />
haben alte Weisheiten infrage gestellt. Mit behutsamen Modernisierungen und radikalen Produktinnovationen versuchen die großen<br />
Häuser, auf die Herausforderungen zu reagieren. Nun hat Moët & Chandon, Marktführer und Grande Maison der Region, die neue,<br />
äußerst limitierte Spitzen-Cuvée MCIII in Paris vorgestellt.<br />
Fotos: Moët & Chandon<br />
Stéphane Baschiera stutzt nur für einen Augenblick.<br />
Denn die Antwort liegt doch scheinbar<br />
auf der Hand. Inwiefern der MCIII die Seele<br />
von Moët & Chandon verkörpere? »Weil Innovation<br />
das Herz des Hauses ist!« Dem fein sinnigen<br />
Präsidenten und CEO von Moët & Chandon ist<br />
anzumerken, wie sehr er sich mit seinem Produkt<br />
identifiziert. Für ihn ist der MCIII der Champagner<br />
für das dritte Jahrtausend. Denn er reflektiert eine<br />
Zeit, in der alles infrage gestellt wird und in der<br />
sich die Dinge in unglaublicher Geschwindigkeit<br />
ändern. Und vor allem: in der es, wie er sagt,<br />
»nicht mehr nur die eine Wahrheit gibt«. Stéphane<br />
Baschiera lächelt, als er an diesem Morgen in einer<br />
Pariser Hotelsuite den Satz ausspricht, und es macht<br />
nicht den Eindruck, als ob er darüber sonderlich<br />
betrübt wäre.<br />
Dabei beruhte das Geschäftsmodell aller großen<br />
Champagnerhäuser lange Zeit vor allem darauf:<br />
auf der einen Wahrheit, oder besser gesagt: ihrer<br />
eigenen – dem Style de la Maison. Dieser nahezu<br />
sakro sankte Stil eines Hauses drückte vor allem<br />
dem wichtigsten Produkt der großen Champagnerhäuser,<br />
den Standardcuvées oder Bruts sans année<br />
(Brut ohne Jahrgang, BSA), seinen Stempel auf.<br />
Wenn man sich vergegenwärtigt, dass etwa fünfundneunzig<br />
Prozent der Champagner erzeugung aus<br />
solchen BSAs besteht, erkennt man die Reichweite<br />
dieser Grundidee. Zumal die restlichen fünf<br />
Prozent, die als Jahrgangschampagner abgefüllt<br />
werden, häufig lediglich als eine Art Super-BSA des<br />
Hauses interpretiert wurden, wie es der Journalist<br />
Bernard Burtschy einmal im Figaro formuliert hatte:<br />
intensiver und etwas fokussierter, aber auch ohne<br />
besondere Eigenart.<br />
Erreicht wurde diese Einheitlichkeit durch<br />
die Kunst der Assemblage. Anders als es der<br />
Mythos der Méthode champenoise will − also der<br />
(zweiten) Gärung der Weine in der Flasche –, ist<br />
diese Kunst wohl tatsächlich von Dom Pérignon<br />
erfunden worden. Der Benediktinermönch hatte<br />
zu Beginn des 18. Jahrhunderts entdeckt, dass die<br />
Flaschen gärung aus Weinen verschiedener Jahrgänge,<br />
Trauben und Lagen bessere Resultate zeitigte<br />
als die von unverschnittenen Weinen. Die Assemblage<br />
eliminiert die Schwächen der Einzelbestandteile<br />
und erzeugt ein Produkt von Harmonie und<br />
Balance. Auf jeden Fall entsteht ein Wein, der größer<br />
ist als die Summe seiner Teile.<br />
Diese Art der Weinerzeugung stand etwa<br />
der traditionellen Auffassung in den deutschen<br />
Weinanbaugebieten diametral entgegen.<br />
Hier lag die Reinheit, insbesondere die<br />
Reb sortenreinheit des Weins, immer im ideellen<br />
Zentrum. Wein war wiederauferstandene Natur<br />
(»die Traube muss sterben, damit der Wein zum<br />
Leben erweckt werden kann«, wie Stuart Pigott<br />
einmal zitiert hat), und der Winzer war gemäß<br />
dieser Idee mehr oder weniger nur die Hebamme.<br />
In der Champagne (aber auch in Regionen wie<br />
dem Bordelais oder der Rhône) sucht der Winzer<br />
da gegen eine Balance, von der er annimmt, dass<br />
sie in der Natur unmittelbar nicht gegeben ist. Er<br />
begreift die Trauben in ihrer Komplemen tarität,<br />
nicht als Wert an sich. Der Kellermeister ist ein<br />
74 75<br />
<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Champagne
Sternstunden<br />
des Syrah<br />
Dreissig Weine,<br />
sechs Jahrzehnte,<br />
vier Kontinente<br />
Von Dirk R. Notheis<br />
Fotos Christof Herdt<br />
Die Aufgabe für Harald Wohlfahrt war diesmal<br />
keine geringere, als für eine Auswahl<br />
der wohl besten Syrahs aller Zeiten aus<br />
vier Kontinenten »begleitende Speisen zu bereiten,<br />
die die Weine in den Mittelpunkt stellen und ihren<br />
Charakter unterstreichen«, wie es der Küchenkünstler<br />
in der ihm eigenen Bescheidenheit ausdrückt.<br />
Ihn, der sich bis heute konsequent aus<br />
dem Scheinwerferlicht der Fernsehstudios ferngehalten<br />
hat, zeichnet jene Demut aus, die für ganz<br />
große Küche unerlässlich ist. Er versteht sich als<br />
Diener seiner Speisen und seiner Gäste und eben<br />
nicht umgekehrt. Wer seine lackierte Taube, sein<br />
Kalbsbries mit Spargeln und seinen getrüffelten<br />
Parmesan schaum einmal probiert hat, wird dies<br />
bestätigen. Seine Perfektion, seine Kreativität und<br />
seine Bodenständigkeit sind einmalig in Deutschland<br />
und setzen Maßstäbe auch darüber hinaus.<br />
Der Probe von insgesamt einunddreißig<br />
Spitzen Syrahs aus sechs Jahrzehnten und vier<br />
Konti nenten lag das Konzept zugrunde, sowohl<br />
das Einende als auch das Trennende der faszinierend<br />
vielfältigen Sorte über An- und Ausbauphilosophien,<br />
Klimazonen und Terroirs hinweg<br />
zu dokumentieren. Hier wurde verglichen, was<br />
eigentlich nicht zu vergleichen ist, denn, so die erste<br />
zwingende Erkenntnis: »Syrah« und »Shiraz«<br />
sind zwar Synonyme, doch in ihrer geschmacklichen<br />
und texturalen Beschaffenheit sind sie sehr<br />
ver schieden. Shiraz aus Übersee kann eben nicht<br />
mit den Klassikern von der Rhône in einen Topf<br />
ge worfen werden. Die auf tiefer und bisweilen<br />
marme ladiger Frucht, höchster Konzentration,<br />
Viskosi tät und Alkoholwerten gründenden Weine<br />
aus Australien und Kalifornien bilden vielmehr eine<br />
eigenständige Kate gorie von Weltformat.<br />
Ob die Syrah-Traube genetisch eine Kreuzung<br />
der altehrwürdigen Sorten Dureza und Mondeuse<br />
Blanche oder gar ein Urenkel des Pinot Noir ist,<br />
spielte für die Verkostung keine Rolle. Es waren<br />
wohl die Griechen, die von Marseille aus gegen<br />
Norden zogen und entlang der Rhône die ersten<br />
Syrah-Reben pflanzten. Genau dort, wo bis heute<br />
die komplexesten und feinsten Weine aus der<br />
Traube gekeltert werden. Zum Siegeszug in die<br />
globale Weinwelt setzte die Rebsorte vor gut anderthalb<br />
Jahrhunderten an, und zwar primär in warme<br />
und sonnenreiche Gefilde, deren Mikroklimata der<br />
dickschaligen und mit hoher Konzentration an<br />
Farbe und Tannin ausgestatteten Traube besonders<br />
entgegenkommen. Herausragende Ergebnisse mit<br />
Shiraz werden bis zum heutigen Tag vor allem in<br />
Australien, in Nord- und Südamerika und in Südafrika<br />
erzielt. Insbesondere in den letzten drei Jahrzehnten<br />
sind die Kinder der Neuen Welt erwachsen<br />
geworden. Vor dem Hintergrund gewandelter<br />
Geschmackspräferenzen fordern sie heute ihre<br />
Ahnen von der Rhône ernsthaft heraus.<br />
Den Auftakt zur Probe bildete Europa mit<br />
einem Triumvirat der aktuell vielleicht<br />
besten Syrahs Italiens, allesamt aus der<br />
Maremma, dem südlichsten Teil der Toskana. Der<br />
Scrio von Le Macchiole präsentierte sich dabei<br />
mit saftig süßem Auftakt von roten Früchten und<br />
dichtem, schokoladigem Finish. Was die Konzentration<br />
betrifft, blieb er allerdings etwas hinter<br />
dem Syrah von Tua Rita zurück, obgleich der sich<br />
mit seinen typischen Röstaromen und Espresso-<br />
Noten und seiner likörigen Süße von Cassis und<br />
Him beeren noch in frühem Reifestadium befindet.<br />
Als Gegenstück beeindruckte der Tinata des<br />
auf strebenden, am südlichen Zipfel der Maremma<br />
gelegen Weinguts Monteverro aus Capalbio. Durch<br />
seine feine Textur und seine moderaten Toast noten<br />
bei zugleich süßer und präziser Frucht präsentierte<br />
er sich mit angenehmer Frische und Mineralität.<br />
Sein zarter Schmelz mit den seidigen Tanninen<br />
ist nicht zuletzt auch darauf zurückzuführen, dass<br />
in der finalen Assemblage dem Syrah 30 Prozent<br />
Grenache beigemischt wurden; damit war ein<br />
unmittelbarer Vergleich mit seinen reinsortigen<br />
Konkurrenten nur bedingt gegeben. In jedem Fall<br />
haben beide, der Tinata wie der Tua Rita Syrah,<br />
eine große Zukunft.<br />
Nach der italienischen Ouvertüre folgte<br />
eine Auswahl von fünfzehn Weinen der<br />
nörd lichen Rhône, die nicht nur zu den<br />
Größten der letzten sechs Jahrzehnte zählen, sondern<br />
auch zu den weltweit größten Syrahs überhaupt.<br />
Zunächst stand die Lage Hermitage im<br />
Fokus, jeweils mit den Spitzenprodukten der drei<br />
führenden Weingüter Jaboulet Aîné, Chave und<br />
Chapoutier mit den legendären Jahrgängen 1978,<br />
1990 und 20<strong>03</strong>. Wie sich die 78er nach fast vierzig<br />
Jahren im Glas präsentierten, war schlicht<br />
eine Sensation und ein lebender Beweis für die<br />
Lang lebigkeit großer Syrahs von der nördlichen<br />
Rhône. Paul Jaboulets Hermitage La Chapelle<br />
hatte dabei mit seiner immer noch fast jugendlichen<br />
Frische und massiven Konzentration die Nase<br />
vorn, obgleich der etwas weiter gereifte Hermitage<br />
von Chapoutier durch Finesse und Eleganz überzeugte.<br />
Schade, dass sich der Hermitage von Jean-<br />
Louis Chave aufgrund eines leichten Korkfehlers<br />
nicht in bester Verfassung befand und damit den<br />
Vergleich mit den beiden Terroir Nachbarn nicht<br />
auf nehmen konnte. In perfektem Zustand hätte er<br />
zweifelsfrei einen mindestens ebenbürtigen Herausforderer<br />
abgegeben.<br />
Nach dem 78er Flight folgte das unumstrittene<br />
Highlight der Verkostung mit Paul Jaboulets<br />
Hermitage La Chapelle von 1961. Man muss lange<br />
suchen, um auf Auktionen noch eine Flasche dieses<br />
legendären Elixiers zu finden, denn der Wein zählt<br />
zweifelsfrei zu den unwiederbringlichen Wunder<br />
Wenn Harald Wohlfahrt, Deutschlands bester Koch, und sein Alter Ego, Sommelier<br />
Stéphane Gass, gemeinsam zur Tat schreiten, verspricht dies gewöhnlich besonderen<br />
Genuss. Wenn dabei eine Reihe von Weinikonen aus aller Welt geöffnet wird, kann man<br />
getrost von einer Sternstunde sprechen. So geschehen an einem Aprilwochenende im<br />
Kleinod der deutschen Gastronomie, der Traube Tonbach in Baiersbronn. Nicht zuletzt<br />
durch die Leistung von Unter nehmer persönlich keiten wie Traube-Hotelier und Grandseigneur<br />
Heiner Finkbeiner hat sich die kleine Gemeinde im Nordschwarzwald in den<br />
letzten Jahrzehnten konsequent zum Magneten für Genießer und Feinschmecker aus<br />
ganz Europa entwickelt. Auch Weinfreunde aus aller Welt kommen bei der inter national<br />
mehrfach ausgezeichneten Weinkompetenz der Traube auf ihre Kosten.<br />
Mit Fingerspitzengefühl: Während Sommelier Stéphane Gass die kostbaren Tropfen behutsam ausschenkt, legt Sterne-Koch Harald Wohlfahrt in der Traube Tonbach letzte Hand an<br />
den ersten Gang.<br />
80 81<br />
<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Tasting
Eine önologische<br />
zu den grossen<br />
Rundreise<br />
Weinen Siziliens<br />
Teil 2: Die Küste entlang<br />
Von Michael Schmidt<br />
Fotos Thilo Weimar<br />
Weinberg mit Meerblick: Die Chardonnayund<br />
Viognier-Trauben von Gurra di Mare<br />
an der sizilianischen Südküste werden auf<br />
Feudi del Pisciotto verarbeitet.<br />
Während sich der erste Teil unserer sizilianischen Reise den<br />
Weingütern, Winzern und Weinen rund um den Ätna<br />
widmete (Fine 4/14), gilt unser önologisches Interesse<br />
nun dem Süden und Westen der Insel.<br />
Auch hier wird die Qualitätsschlacht geschlagen: etwa in Trapani und in<br />
Alcamo im äußersten Nordwesten, im Agrigento an der Südküste und in den<br />
Provinzen Palermo im Norden und dem südlich angrenzenden Caltanissetta<br />
mit dem Cerasuolo di Vittoria, der einzigen Denomina zione di Origine<br />
Controllata e Garantita (DOCG). <strong>Das</strong>s viele dieser Weine nicht unter die<br />
Ursprungsbezeichnungen DOC oder DOCG fallen, sondern in die erst 2011<br />
eingeführte Kategorie für Landweine, Terre Siciliane Indicazione Geografica<br />
Tipica (IGT), steht nicht für geringere Qualität, sondern dafür, dass sich<br />
manche Erzeuger die größeren Freiräume dieser Appellation zunutze machen<br />
wollen. Für den Verbraucher wurde mit der neuen Bezeichnung allerdings<br />
mehr Verwirrung als Klarheit geschaffen, da es schon vorher eine inselweit<br />
geltende Sicilia IGT gab, die 2011 rundum zur DOC Sicilia befördert wurde.<br />
Vom Klima her gelten im Süden und Westen der Insel natürlich ganz andere<br />
Bedingungen als um den Ätna, und bei oft unbarmherzigem Sonnenschein<br />
und geringen Niederschlägen ist Bewässerung fast unumgänglich. Was jedoch<br />
die besten Erzeuger mit den Winzern des Ätna gemeinsam haben: Auch sie<br />
besinnen sich wieder auf die Stärke ihrer einheimischen Sorten. Insolia, Grillo,<br />
Fiano bei den Weißen und Frappato, Perricone und natürlich Nero d’Avola<br />
bei den Roten haben in unseren Verkostungen bewiesen, dass sie sich nicht<br />
vor den Gewächsen aus Chardonnay, Cabernet Sauvignon und Merlot verstecken<br />
müssen. Natürlich lassen sich die internationalen Sorten auch hier<br />
noch leichter verkaufen, aber wer neugierig auf das ursprüngliche Sizilien<br />
ist, sollte sich auch auf die wahren Autochthonen einlassen. Soviel kann ich<br />
versprechen: Ihre erste Flasche wird nicht Ihre letzte sein.<br />
124 125<br />
<strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong> <strong>FINE</strong> Sizilien
ABGANG<br />
Lob der<br />
Unabhängigkeit<br />
„Seit mehr als zwanzig Jahren selektiere ich für Sie die feinsten Weine der Welt …<br />
162 <strong>FINE</strong> 3 | <strong>2015</strong><br />
Vor nicht allzu langer Zeit erregte Christian Bau, der Drei-Sterne-Koch aus dem<br />
saarländischen Perl, einige Aufmerksamkeit mit einem Interview in der »Welt«-<br />
Beilage Icon. Darin hatte er die fragwürdigen Verflechtungen mancher Restaurants<br />
und Gastrokritiker, speziell einiger Blogger, aufs Korn genommen und heftig<br />
kritisiert: »Die Gastronomen«, so sagte er da, »haben sich überlegt, wie sie das<br />
Interesse an ihren Restaurants steigern können, und haben die Blogger eingeladen.<br />
Einige haben daraus ein Geschäftsmodell entwickelt und das überstrapaziert und<br />
angefangen, sich nur noch durchzuschnorren. Irgendwann ist die Sache gekippt.«<br />
So weit, so schlecht. <strong>Das</strong> Echo auf Baus Äußerungen war in der Branche<br />
immens, die Ablehnung solch sumpfiger Praktiken, ob geheuchelt oder aus ehrlichem<br />
Herzen, einhellig. Mir selber ist seit mehr als dreißig Jahren das delikate Verhältnis<br />
zwischen Köchen und ihren Kritikern aus eigener Anschauung bekannt. Und fast<br />
jeder kennt Geschichten von Restaurantkritikern, die mit ihrer Familie in Sterne-<br />
Häusern umsonst tafelten, von Weinverkostern, die Weingüter mit einem Kofferraum<br />
voller Flaschen verließen, von Auto-Testern, die bei ihren Presse unterlagen<br />
einen diskreten Briefumschlag mit Barem fanden.<br />
Seriöse Rezensenten, die sich bei ihren kritischen Begutachtungen der (Spitzen-)<br />
Leistungen von Köchen und Winzern stets ihrer Verantwortung den Koch künstlern,<br />
Restaurateuren und Weinmachern, ebenso aber ihrem Leser publikum gegenüber<br />
bewusst sind, weisen korrumptive Versuche selbstverständlich kategorisch zurück.<br />
Ihre durch lange Erfahrung, geduldige Recherche und hohe Sachkenntnis untermauerten<br />
Urteile begründen ihre Unabhängigkeit. Ihr so passionierter wie kritischer<br />
Journalismus kann sich nur unter Ausschluss dritter Interessen entfalten. Und nur<br />
so dient er auch aufklärerisch der stetigen Verbesserung der Szene. Darin ist sich<br />
Fine <strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong> mit anderen seriösen Zeitschriften und verant wortungsvoll<br />
geschriebenen Blogs einig.<br />
Freilich, das muss man sich auch leisten können. Dieses Geschäftsmodell,<br />
das ohne Alternative ist, hat seinen Preis. Es ist daher im Sinn des Publikums wie<br />
der Produ zenten und ihrer Verbände, wenn sie alle das Ihre dazu tun, diese unabhängigen<br />
kritischen Stimmen zu erhalten und die Verlage und Blogs im Rahmen<br />
normaler Geschäftstätigkeit und angemessenen Geschäftsgebarens mit den legalen,<br />
unverdächtigen Mitteln zu stützen, die ihnen am Ende mehr Nutzen ein tragen als<br />
teure PR-Aktionen oder ehrenrührige Angebote.<br />
Eine heitere Illustration zum Schluss: Vor kurzem traf sich eine kleine kennerische<br />
Zufallsrunde im Restaurant, darunter ein freilich über alle Zweifel er habener<br />
Gourmetkritiker. Einige kostbare Flaschen wurden geleert, am Ende die Rechnung<br />
auf den Tisch gelegt. »Am besten schmecken doch die Weine, die man selber zahlt«,<br />
sagte behaglich ironisierend der Kritiker, stand auf und verabschiedete sich. Wer<br />
hat die Rechnung beglichen? Dreimal dürfen Sie raten.<br />
Ralf Frenzel<br />
Herausgeber<br />
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violetten Rand. Tolle Frische, dunkle Pflaumen<br />
und rote Kirschen nebst Schattenmorellen<br />
in der Nase. Leichte Blumigkeit, Veilchen, Rosenblätter.<br />
Gute Wucht mit noch mehr Charme<br />
und verschmitzter, kirschiger Seidigkeit. Sehr<br />
rassiger Mund. Unerwartet tief. Schwarze und<br />
rote Frucht satt, aber mit schöner, harmonischer<br />
Säure. Geschliffenes Tannin. Der Wein singt,<br />
hat Rasse, ist sehr intensiv, nimmt viel Platz ein.<br />
Der Alkohol verbindet sich mit der Säure und<br />
dem feinen Tannin zu einem frischen, rassigen,<br />
sehr harmonischen Gesamtwerk. Charme ohne<br />
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