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De:Bug 169

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TEXT JI-HUN KIM<br />

Es gibt wohl keinen Künstler, der so eng mit der<br />

Geschichte von Ableton Live verbunden ist wie<br />

Robert Henke aka Monolake. Er gestaltete Live von<br />

Anfang an maßgeblich mit und hat den Workflow eines<br />

jeden Ableton-Produzenten geprägt und vereinfacht.<br />

Im Gespräch geht es um die Weltherrschaft<br />

des Brostep, das Riesenpotential von Max for Live,<br />

wie alles anfing und welche Rolle Hans Zimmer dabei<br />

gespielt hat.<br />

Wie ging das los, mit Live?<br />

Ich erinnere mich noch genau an die NAMM 21.<br />

Damals gab es schon eine starke Szene, die mit Super<br />

Collider und Max/MSP den ganzen Glitch-Kram auf die<br />

Bühne brachte. Als Technologie war es also erprobt, es<br />

gab nur keinen Mainstream dafür. Logic-Anzeigen sahen etwa<br />

so aus: der Porscheschlüssel auf dem Riesenmischpult<br />

und dahinter zwei Screens mit Logic - der erfolgreiche<br />

Produzent, der es in Hollywood geschafft hat, benutzt Logic.<br />

Phil Spector und Dr. Dre ...<br />

Exakt. Leute aus dem elektronischen Untergrund existierten<br />

nicht. Als wir Live entwickelten, wussten wir dagegen,<br />

welchen Markt es erschließen wird. Gerhard (Behles,<br />

Ableton-Gründer, Anm. d. Red.) und ich favorisierten als<br />

Monolake einen Stil aus gemeinsam Jammen und nachträglich<br />

Editieren, der dann Grundidee für Live wurde.<br />

Zentral war das Arrangement-Protokoll, das aus der<br />

Frustration entstand, dass wir unsere Sessions mit DAT<br />

aufnehmen mussten: Stundenweise Material, alles prima,<br />

bis auf diese eine HiHat. Wir wollten also in den Verlauf<br />

und einzelne Elemente rausnehmen können. Das war Live 1,<br />

ein Tool für Nerds, das der Struktur der damaligen Techno-<br />

Livesets entgegenkam.<br />

Schnell wurde Live aber auch für andere Musiker<br />

interessant.<br />

Am ersten Tag der NAMM war nicht viel los, am zweiten<br />

Tag kam mittags ein stattlicher Herr mit einer 2-köpfigen<br />

Entourage, der mich auf Englisch mit hartem deutschen<br />

Akzent zum Produkt befragte. Er hätte gehört, es wäre doch<br />

ganz cool und war vor allem von der stufenlosen Audio-<br />

Manipulation von 2 BPM auf 99 BPM angetan. Ich war<br />

derart damit beschäftigt, ihm die <strong>De</strong>tails zu erklären, dass<br />

ich nicht auf sein Namensschild geachtet habe. Am Ende<br />

lese ich Hans Zimmer. Eine halbe Stunde später war in den<br />

USA dann die Hölle los! Es hatte sich herumgesprochen:<br />

Hollywoods wichtigster Komponist hat da was entdeckt!<br />

Plötzlich kamen andere Interessenten aus dem Bereich<br />

Film, und dann wurde das Theater darauf aufmerksam.<br />

Wir verdanken ihm viel.<br />

Worin liegt der Erfolg gerade im Theater?<br />

Live kostet einen Bruchteil anderer Lösungen und kann<br />

mehr. Im Theater muss man per Knopfdruck Dinge abfeuern<br />

können. Du musst reagieren, Sachen ändern können. Ein<br />

Musikstück verlangsamen zum Beispiel, ohne die Tonhöhe<br />

zu verändern, damit der Musiker auf der Bühne weitermitspielen<br />

kann.<br />

Wie ging es weiter?<br />

Live wurde also von der Elektronik-Community gut aufgenommen.<br />

Leute machen aber immer das, was am einfachsten<br />

ist, und die Folge war, dass irgendwann alle Live-<br />

Sets ähnlich klangen. Alle haben Timestretch benutzt,<br />

irgendwelche Beatloops reingeschmissen. Dass dabei<br />

diese typischen Artefakte auftauchten, hat man hingenommen<br />

und jeder dachte: Das ist jetzt mein Style! Am<br />

Ende gab es diesen "Ableton-Sound", den alle hatten.<br />

Wodurch die Stimmung ein bisschen kippte, aber kurze<br />

Zeit später passierte etwas Spannendes: Live hat Leuten<br />

plötzlich Dinge ermöglicht, die sie vorher nicht tun konnten.<br />

Vieles ist professioneller geworden, sowohl vom Klang als<br />

auch von den Arrangements. Aber die Zeit, die ein Werkzeug<br />

braucht, um kreativ angewandt zu werden, wird gemeinhin<br />

unterschätzt. Das fängt meines Erachtens gerade erst an.<br />

Heute ist Live Producer-Performance-Standard.<br />

Mittlerweile nutzt jeder Live und die Lager teilen sich<br />

wieder. In die, bei denen man denkt: Wow, das ist abgefahren<br />

und virtuos und jene, die machen, was man eben<br />

damit macht: Presets abfeuern, Crossfader, fertig. Das<br />

Schöne ist, dass man Leute sieht, die damit so umgehen,<br />

wie man es sich in den kühnsten Träumen nicht vorstellen<br />

konnte.<br />

Wer sind deine persönlichen Ableton-Pioniere?<br />

Viele. Aber eine CD fällt mir ein, die uns alle amüsiert<br />

hat. Es war ein Album von DJ Krush, wo die ganzen nervigen<br />

Timestretch-Artefakte bis zum Abwinken zu hören sind,<br />

aber als konsequent durchgezogenes Stilmittel. Das war<br />

der heiße Scheiß für ihn und irgendwie brillant. Technikaffine<br />

Menschen wie Richie Hawtin haben Live sofort für sich vereinnahmt.<br />

Radiohead haben sich früh dafür interessiert.<br />

Anfangs fand ich das merkwürdig, ich habe ja diverse<br />

Effekte für die Software gebaut, unter anderem das Grain<br />

<strong>De</strong>lay und den Resonator. Zu hören, wie Leute Presets und<br />

Samples, die ich zuvor produziert hatte, untransponiert, 1:1<br />

abfeuern, hat mich irritiert.<br />

Wird es den Leuten zu einfach gemacht?<br />

Es gibt natürlich diese Riege altbekannter Produzenten<br />

mit viel Equipment, die Anfang der 9er erfolgreich waren<br />

und sich heute aufregen, dass jeder Hampelmann<br />

mit Live Musik machen könne. Dabei wird verkannt,<br />

dass Qualität noch immer Ergebnis einer persönlichen<br />

Auseinandersetzung ist. Jeder kann einen Roman schreiben:<br />

Bleistift, Papier oder Word und Laptop hat jeder,<br />

dennoch gibt es Qualitätsunterschiede. Die<br />

<strong>De</strong>mokratisierung der Produktionsmittel ist ein wichtiges<br />

Ergebnis unserer Arbeit mit Live. Früher war es mitnichten<br />

so, dass nur die Besten nach oben gekommen sind,<br />

das ist ein Mythos. Es war viel davon abhängig, was für ein<br />

Elternhaus du hattest, wie viel Geld, welche Connections,<br />

daher teile ich diesen Kulturpessimismus nicht. Heute gibt<br />

es mehr tolle Musik, Videos und Medienkunst als je zuvor!<br />

Ableton-Livesets von Skrillex und <strong>De</strong>admau5 füllen in<br />

den USA Stadien.<br />

Ich kenne Amerika als ein gespaltenes Land, eben auch<br />

in der Elektronik. Es gibt viele wichtige Programmierer.<br />

Stanford, MIT, Cycling 74/Max MSP, die FM-Synthese<br />

wurde in den USA erfunden. Dort wird Unglaubliches<br />

bewegt. <strong>De</strong>r Mainstream hat das aber als Kunstform<br />

immer verneint. Wie es dazu kommen konnte, dass<br />

Brostep ausgerechnet jetzt so eingeschlagen ist, bleibt<br />

»Die Zeit, die ein Werkzeug<br />

braucht, um kreativ angewandt<br />

zu werden, wird<br />

gemeinhin unterschätzt.<br />

Das fängt meines Erachtens<br />

gerade erst an.«<br />

mir unklar, ist aber sehr amerikanisch. Wenn man etwas<br />

macht, dann gleich superfett. Überkomprimiert auf die<br />

12, Maximum mit Weltherrschaftsanspruch. Diese neue<br />

Selbstverständlichkeit von Computermusik hat aber<br />

seine Vorteile. Ein Rechner mit Soundkarte löst heute<br />

weder bei der Security am Flughafen, noch bei irgendwelchen<br />

Tontechnikern Verwunderung aus. Das finde ich<br />

persönlich außerordentlich entspannend.<br />

Dafür weiß niemand mehr, was im Studio und auf der<br />

Bühne konkret passiert. <strong>De</strong>r Künstler verschanzt sich<br />

hinterm Bildschirm.<br />

Musik am Computer hat ein großes Problem. Von der<br />

Haptik her ist er nicht zum Musik machen gedacht. Ich hatte<br />

einmal das Vergnügen mit einem exzellenten Jazzmusiker zu<br />

improvisieren und bin gescheitert. Die Geschwindigkeit, wie<br />

der Musiker zwischen Skalen, Tonarten und Tempi wechseln<br />

konnte, war eine Sache, noch beeindruckender war aber der<br />

Ausdruck, da bin ich nur noch hinterher gelaufen. Es gibt<br />

im Bereich Musiksoftware kein annäherndes Äquivalent, das<br />

diese Art der Virtuosität ermöglicht. Gleichzeitig war es historisch<br />

wichtig, dass Musiker sagten: Ich mache jetzt elektronische<br />

Musik und will keine Virtuosität oder Ausdruck. Ich<br />

will Struktur, aber verwehre mich den endlosen Gitarrensoli<br />

der Rockmusik.<br />

Man musste einmal den Gestus abschaffen.<br />

Genau. Heute stellt man aber fest, dass es vielleicht<br />

gar nicht so schlecht ist, als Musiker virtuos zu sein. Die<br />

Frage ist dann: Was bedeutet Virtuosität am Computer?<br />

Vor acht Jahren habe ich mir den Monodeck-Controller gebaut.<br />

Quasi die Ur-APC. Ich wollte spielen, ohne auf den<br />

Computer zu schauen. Das war die beste Zeit.<br />

Jetzt kommt Live 9 mit Max for Live.<br />

Das ist in vielerlei Hinsicht spannend, weil die Konzepte<br />

so unterschiedlich sind. Live gibt Schemata vor, eine formalisierte<br />

Umgebung, die jeder verstehen kann. Max ist das<br />

andere Extrem, eine Software, die erstmal keine Timeline<br />

kennt. Sie kennt keine Polyphonie, keine Tonhöhen, es sei<br />

denn man programmiert sie. Max ist quasi das Gegenteil<br />

von Live und dennoch gibt es Überschneidungen. Ich nutze<br />

beides, kenne aber auch die Vor- und Nachteile. Es ist also<br />

ein historischer Zufall, dass Gerhard, ich und andere bei<br />

Ableton schon seit vielen Jahren mit den Jungs von Cycling<br />

74 befreundet sind. Die Frage war, wie man beide Produkte<br />

mit großem Synergieeffekt zusammenbringen kann. Was<br />

als Max for Live herausgekommen ist, ist in vielerlei Hinsicht<br />

noch nicht fertig und es gibt noch offene Fragen. Wichtig ist<br />

aber die Grundidee. <strong>De</strong>n Mainstream von Live und die offene<br />

Architektur von Max zusammenzubringen, kann noch<br />

viele neue Welten eröffnen.<br />

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