De:Bug 169
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COOL AUSSEHEN<br />
TROTZ INTERNET<br />
Wie verhält es sich eigentlich mit den Nerds? Die funktionieren<br />
doch auch als Kultur und entstehen aus einem<br />
klassischen Abgrenzungsbedürfnis zur Restgesellschaft.<br />
Und auch ihnen fehlt eine bestimmte Musik als gemeinsame<br />
Basis.<br />
Nerds sind tatsächlich ein gutes Beispiel, weil sich aus<br />
dem Phänomen mit der Zeit auch ein Style entwickelt<br />
hat, oft gekennzeichnet von technoider Nostalgie mit<br />
Verweisen auf die Videospiele der 9er-Jahre und frühem<br />
Internet-<strong>De</strong>sign.<br />
INTERVIEW ELISABETH GIESEMANN & TIMO FELDHAUS<br />
Diana Weis hat in Zusammenarbeit mit dem Archiv<br />
der Jugendkulturen die Anthologie "Cool Aussehen"<br />
herausgegeben. Das Crowdfunding-finanzierte<br />
Projekt beschäftigt sich mit Jugendkultur-<br />
Dynamiken in Geschichte und Gegenwart, stets<br />
zwischen Mode und Musik oszillierend. Im Interview<br />
erklärt Diana, warum es nach wie vor Subkulturen<br />
gibt, wie sich das Lebensgefühl der Jugend verändert<br />
hat, und welche Rolle Internet und Techno<br />
dabei spielen.<br />
Die klassische Jugendkultur-Zeitrechnung beginnt im<br />
Amerika der 5er-Jahre mit der Geburt der Populärkultur,<br />
und auch in "Cool Aussehen" steht Marlon Brandos<br />
Lederjacke in "The Wild One" von 1953 am Anfang.<br />
Heute scheint uns weder der dringliche Wunsch nach<br />
Abgrenzung und Authentizität, noch nach verbindlichen<br />
Kleidungscodes ein großes Thema zu sein. Hat sich das<br />
Konzept der Jugendkulturen erledigt?<br />
Nein, es gibt ja noch Jugendkulturen. Relativ neu sind<br />
die Lolita-Kultur und natürlich die Emos. Das sind auch<br />
symptomatische Kulturen des 21. Jahrhunderts, da sich beide<br />
durch Sampling aus verschiedenen Elementen anderer<br />
Jugendkulturen zusammensetzen. Interessant ist, dass sie<br />
keine verbindende Musik mehr als Grundlage haben. Emos<br />
sind Emos, weil sie eine bestimmte Frisur tragen, die können<br />
von Synthiepop bis Metal aber alles hören. Bei Lolita geht es<br />
zusätzlich zum Style vor allem auch um die Performance.<br />
Forschungsinstitute kommen inzwischen vermehrt zu<br />
dem Schluss, dass die Jugend immer konservativer wird.<br />
Stimmt das?<br />
Ich würde sagen, das steht im Zeichen einer gesamtgesellschaftlichen<br />
Biedermeier-Entwicklung. Man achtet<br />
mehr auf Nachhaltigkeit, Sicherheit und träumt von<br />
Festanstellung und Familie. Allgemein sind die<br />
Jugendkulturen aber viel zu zersplittert, als dass man<br />
darüber eine generelle Aussage treffen könnte. Meine<br />
Hoffnung ist, dass wenn die Jugend heute konservativer<br />
wird, die nächste Generation das wieder über den Haufen<br />
wirft. <strong>De</strong>nn daran, dass Jugendliche ihre Eltern schocken<br />
wollen, ändert sich wahrscheinlich so schnell nichts.<br />
Wo wir die Lederjacke schon angesprochen hatten, bei<br />
Biedermeier muss man ja auch über die Barbourjacke<br />
sprechen, auf die im Hipster-Komplex wieder viel ver<br />
wiesen wird, und die in "Cool aussehen" im Popper-<br />
Kapitel vorkommt. Aber im Gegensatz zu den Poppern,<br />
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die in den 8ern die Punks provozieren wollten, indem<br />
man ein der bürgerlichen Kultur zugerechnetes<br />
Kleidungsstück im Club anzog, beruht es mit dem Tragen<br />
der Jacke bei heutigen Hipster-Preppies weniger auf<br />
einem Moment "politischer" Schlagkraft, sondern eher<br />
auf reinem Style. "Abgewetzte Barbourjacke führt zu<br />
nichts!", das schrieb Christian Kracht ja bereits auf die<br />
zweite Seite von Faserland.<br />
Es war bei den Poppern immer schon wichtiger<br />
Bestandteil, die Klamotten auch noch abgewetzt zu<br />
tragen, um die Wertigkeit der Sachen zur Schau zu stellen.<br />
Um diese Elite-Stylecodes zu erkennen, brauchte man auch<br />
einen gewissen Bildungshintergrund. Geschmack und Stil<br />
werden da bestenfalls decodiert, dienen aber immer noch<br />
auch als ganz klassisches Herrschaftsinstrument, im Sinne<br />
von: Wir können es uns leisten, etwas richtig Gutes zu tragen.<br />
Christian Kracht ist ja immer noch eine Art Popper, der trägt<br />
das Understatement des V-Ausschnitt-Cashmere-Pullovers.<br />
»Techno war ein Wendepunkt,<br />
plötzlich war es in Ordnung zu<br />
sagen: Zur Loveparade kleb'<br />
ich mir Sonnenblumen auf<br />
die Titten.«<br />
Funktioniert der Hipster als Jugendkultur, oder ist er als<br />
Person dafür zu indifferent?<br />
Das Phänomen lässt sich jugendkulturell einordnen und<br />
auch ziemlich genau eingrenzen. 2 ging es los und bis<br />
21 hat sich ein wiedererkennbarer Style und auch eine<br />
spezifische Haltung entwickelt. Gleichzeitig sind die Hipster<br />
älter, da gibt es folglich auch ganz andere Bedürfnisse als<br />
bei den, sagen wir mal "richtigen" Jugendlichen.<br />
Die Haltung des Hipsters basiert auf dem Fundament<br />
der Ironie. Eine zeitgemäße Strategie sich gegenüber<br />
der Konsumwelt und der Ausdifferenzierung der<br />
Gesellschaft zu positionieren?<br />
Könnte man sagen, der Hipster ist ja genau innerhalb<br />
dieser Phänomene entstanden. Hipstertum ist eine Internetund<br />
Konsumkultur, das lässt sich so einfach nicht trennen.<br />
Und die Kritik am Hipster kommt nicht mehr von den<br />
Eltern, der Hipster selbst schimpft vielmehr selbsthassend<br />
auf den Hipster.<br />
Da gibt es auch eine Parallele zu den Poppern, im Beitrag<br />
dazu bezeichnet Christiane Frohmann das als "Phänomen<br />
der Extimität", das besagt, dass man eigene Eigenschaften<br />
am liebsten abspalten will: "Nein, ich bin nicht so, ich finde<br />
die ganz schlimm!"<br />
Welchen Einfluss hat das Internet generell auf das<br />
Verhältnis von Jugendkultur und Mode?<br />
Einerseits werden wohl Trends extremer, aber generell<br />
sind etwa Fashionblogs eher der Mainstream-Mode zuzurechnen,<br />
da fehlt der subkulturelle Zusammenhang.<br />
These: Es gibt keine großen Jugendkulturen mehr, sondern<br />
nur noch die Nischen des Internets, denn dort verliert<br />
sich das starke Bedürfnis sich "gegen" eine andere<br />
soziale Gruppe abzugrenzen.<br />
So ähnlich sagen das meine Studentinnen auch, das<br />
finde ich ganz traurig. Und ich glaube auch nicht, dass das<br />
stimmt. Bei Mode gibt es allgemein zwei Funktionen, man<br />
versucht dazuzugehören und sich gleichzeitig von anderen<br />
abzugrenzen. Bei der Bekleidungspraxis der Jugendkulturen<br />
ist das noch mal verschärft. Das Geltungsbedürfnis ist oft<br />
noch höher, gleichzeitig gibt es den Wunsch zu einer Gruppe<br />
zu gehören. Das wird sich so schnell nicht ändern.<br />
Wir bleiben bei den Studentinnen! Wenn man davon ausgeht,<br />
dass es keinen Underground mehr gibt, sondern<br />
nur noch die Oberfläche des sozialen Netzwerkes, dann<br />
gibt es weder einen Ort noch einen Grund sich ostentativ<br />
und gegen jemand anderen in lokalen Kleingruppen zusammenzuschließen,<br />
es ist alles immer gleich vernetzt.<br />
Da geht es eben um die <strong>De</strong>finition von Jugendkulturen,<br />
wie viel Bedeutung man ihnen zuspricht und wie man politische<br />
Relevanz definiert. Style als Element ist wichtiger<br />
geworden, und das ist nach wie vor ein Feld, auf dem unheimlich<br />
viel ausgetragen wird. Mini-Movements wie<br />
etwa New Grave oder auch Witch House haben eben<br />
subtilere Codes und sind schnelllebiger. Das fing in den<br />
9ern mit Techno an, der einen Wendepunkt markierte,<br />
da Techno eben viel anschlussfähiger war und sich<br />
einer Mainstream-Kultur geöffnet hat. Davor war es die<br />
schlimmste Unterstellung, wenn einem jemand gesagt<br />
hat, dass man Freizeit- oder Wochenendpunk ist. Aber seit<br />
Techno ist es vollkommen in Ordnung zu sagen: "Ich fahr zur<br />
Loveparade, da kleb' ich mir Sonnenblumen auf die Titten."<br />
Jetzt hat man eben für unterschiedliche Events unterschiedliche<br />
Garderobe. Die Jugendlichen leben ganz gut<br />
vor, dass die Identitäten fließender geworden sind. Wer<br />
flexibel sein muss, wechselt dann eben auch öfter mal<br />
seinen Style, der Mechanismus ist aber nach wie vor der<br />
Gleiche.<br />
Das fühlt man auch bei dem Anblick des Covers von<br />
"Cool Aussehen". <strong>De</strong>r junge Mann darauf sieht aus wie<br />
so ein Metal-Typ oder Axl Rose, die Tätowierung ist aber<br />
eher eine indifferente, offene Welle.<br />
Das Cover kommt aus der Fotostrecke von Rico Scagliola<br />
und Michael Meier. Die beiden Fotografen erklären im<br />
Interview, es gehe den Jugendlichen darum, "now" zu sein,<br />
das sei das Lebensgefühl. Und vor einiger Zeit war "now"<br />
eben noch dauerhafter, da konnte man die gleiche Frisur<br />
eben etwas länger tragen.