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De:Bug 169

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TM404<br />

TM404<br />

[KONTRA-MUSIK]<br />

ULRICH SCHNAUSS<br />

A LONG WAY TO FALL<br />

[SCRIPTED REALITIES]<br />

01 Ulrich Schnauss<br />

A Long Way To Fall<br />

Scripted Realities<br />

02 TM404<br />

TM404<br />

Kontra-Musik<br />

03 FaltyDL<br />

Hardcourage<br />

Ninja Tune<br />

04 Indigo<br />

Celestial EP<br />

Apollo<br />

05 Professor Inc<br />

Protensive Apodicticity<br />

Bad Animal<br />

06 Map.ache<br />

Ulfo<br />

Kann<br />

07 Will Saul & October<br />

Light Sleeper<br />

Aus Music<br />

08 Jamie Lidell<br />

Jamie Lidell<br />

Warp<br />

09 Walker Bernard<br />

Sweatshop Spaceship EP<br />

Serialism Records<br />

10 P16.D4<br />

Passagen<br />

Monotype Records<br />

11 <strong>De</strong>an Blunt<br />

The Narcissist II<br />

World Music / Hippos In Tanks<br />

12 Moony Me<br />

Diffusing Memories EP<br />

Abstract Theory<br />

13 The Analog Roland Orchestra<br />

Home Versions<br />

Ornaments<br />

14 Lee Gamble<br />

Dutch Tvashar Plumes<br />

PAN<br />

15 Herbert<br />

Bodily Functions Remixes<br />

Accidental<br />

16 Peaking Lights<br />

Lucifer In Dub<br />

Domino<br />

17 James Creed<br />

Top Pocket EP<br />

Odd Socks<br />

18 Solofour<br />

Jakco<br />

<strong>De</strong>note Records<br />

19 Darkstar<br />

News From Nowhere<br />

Warp<br />

20 Black Jazz Consortium<br />

Codes And Metaphors<br />

Soul People Music<br />

21 Ossie<br />

Ignore<br />

Hyperdub<br />

22 Barker & Baumecker<br />

Remixes<br />

Ostgut Ton<br />

23 Ducktails<br />

The Flower Lane<br />

Domino<br />

24 Benedikt Frey<br />

<strong>De</strong>linquencies<br />

Lopasura<br />

25 Marcel <strong>De</strong>ttmann<br />

Linux<br />

50 Weapons<br />

Bei diesem Projektnamen sollten bei den meisten ein paar rote Lämpchen<br />

angehen. TM404 ist ein weiteres Pseudonym des produktiven Schweden Andreas<br />

Tilliander, den man vor allem als Mokira kennt, mit Alben auf Raster-Noton,<br />

Mille Plateaux, Type oder neuerdings beim Malmöer Techno-Label Kontra.<br />

Als TM404 hat er sich ein neues Konzept überlegt und macht, wie man<br />

sich schon denken kann, dem Analog Roland Orchestra ernsthafte Konkurrenz,<br />

zumindest was die Menge an kleinen Roland-Drumcomputern und -Synthesizern<br />

angeht, die Herr Tilliander offensichtlich besitzt. Sein Ansatz ist natürlich<br />

ein völlig anderer. Es hat ihn zwar nicht davon abgehalten, diese Platte hier aufzunehmen,<br />

aber TM404 ist von Tilliander eigentlich als Live-Projekt gedacht,<br />

als Hardware-Show und 303-Ballett. In zahlreichen YouTube-Videos kann man<br />

zuschauen, wie Tilliander seine neuen Tracks macht: Mindestens drei Exemplare<br />

(Tilliander muss ein reicher Mann sein) der TB-303-Bassmaschine sind<br />

immer im Einsatz, dazu gesellen sich mal eine 808, mal eine 606 oder auch<br />

gleich zwei davon, eine 202 oder die 707, das lässt sich unschwer an den Titeln<br />

der Tracks ablesen: <strong>De</strong>r erste lautet "303 303 303 606", Nummer vier<br />

etwa "303 303 303 303 707 808". Schön nerdig. Was Tilliander gemacht hat,<br />

ist alle Songs live in Echtzeit aufzunehmen, alles One-Take ohne nachträgliches<br />

Arrangement. Wenn das auch stimmt, hat er jedenfalls gute Arbeit geleistet,<br />

alles sitzt halbwegs fest am richtigen Fleck. Man muss kein Roland-<br />

Maestro sein um zu erahnen, wie dieses Album klingt - extrem skelettiert. Die<br />

ganze Numerologie manifestiert sich perfekt in einem irgendwie mathematischen<br />

Maschinensound, dem die vielen Acid-Kisten trotzdem einen sehr vielschichtigen<br />

Groove mitgeben. Ganz selten nur übernimmt eine 808-Kickdrum<br />

die Führung (wo, das steht im Tracknamen), ansonsten schwelgt man<br />

in einem aus Meer aus Dub und Techno und alles ist dunkel, verrauscht und<br />

knackig. Manche Tracks sind eher lautmalerisch, manche haben einen richtigen<br />

Dub-Reggae-Vibe, manche sind veritable Bretter, nur etwas trantütig und<br />

eben nicht genug euphorisch aufgebrezelt. Ansatzweise verbreitet Tilliander<br />

dieselbe trostlos schöne, verbogene Stimmung, wie sie Lee Gamble auf seinen<br />

letzten beiden PAN-Platten zelebriert hat, an jeder Ecke auf TM404 winken<br />

uns aber vor allem Rhythm and Sound zu. Vielleicht sollte sich Tilliander<br />

mal ein paar Gastsänger einladen. Zugegeben, die grundlegende Idee dieses<br />

Projekts ist nicht unbedingt ein Schocker. Wahrscheinlich sind unzählige Platten<br />

so oder ähnlich gemacht worden in den letzten Jahrzehnten. Trotzdem ist<br />

es ein kleines Statement für die kleinen Plastikkisten, für die Möglichkeiten<br />

oder eher Unmöglichkeiten, die einem etwas Selbsteinschränkung gibt, und<br />

das meint vor allem den Verzicht auf Rechner und Software. Vielleicht will uns<br />

Tilliander auch nur neidisch machen auf sein Roland-Arsenal. Er hat übrigens<br />

auch noch 505en und 909en, aber die hätten laut eigener Aussage seinen minimalistischen<br />

Rahmen gesprengt. Fun Fact zum Ende, für die, die es noch<br />

nicht wissen: Eine 404 hat Roland nie gebaut, weil "Vier" im Japanischen ein<br />

Homonym für "Tod" ist.<br />

MD<br />

Es folgt die übliche Verkrampfung: Viele Worte über Musik, die das Wort<br />

schon längst, von Anfang an überwunden hat. Das ist nichts Neues hier, aber<br />

"A Long Way To Fall" von Ulrich Schnauss ist eine dieser Platten, die vollkommen<br />

sprachlos machen. Weil sie nicht über offensichtliche Kontexte funktioniert<br />

wie das gemeine House-Album, keinem fettgedruckten Narrativ folgt<br />

wie viele Songwriter-Alben oder sich an einer konkreten Thematik abarbeitet.<br />

Schnauss ist auch kein Experimentierer, der seinen Ausdruck in möglichst absurden<br />

Strukturen sucht. Natürlich hat er einen Plan, will etwas mitteilen, das<br />

auch ganz unmittelbar bei uns ankommt, aber in jeder Sekunde so herrlich<br />

vage bleibt, dass man Schnauss' Songs nur ganz schwer dingfest machen<br />

kann. Alles was zunächst bleibt, ist das Gefühl, dass hier alles richtig ist. Electronica<br />

der alten Schule, die die Melancholie bis auf den letzten Tropfen Schönheit<br />

ausquetscht. "A Long Way To Fall" ist Schnauss' erstes klassisches Soloalbum<br />

seit 2007, als er mit "Goodbye" seiner Vorstellung einer Verschmelzung<br />

von Elektronik und Indie, von Downtempo-Electronica und Shoegaze-Rock der<br />

frühen 90er, vermutlich am nächsten kam. Andererseits verlor er dabei auch<br />

ein Stück weit den synthetischen Zauber, der seine ersten beiden Langspieler,<br />

vor allem "A Strangely Isolated Place", so bescheiden majestätisch hat klingen<br />

lassen. Schnauss hat früher auch Techno und Drum and Bass produziert und<br />

spielt Keyboards bei der (im weitesten Sinne) Indie-Band Engineers, mit deren<br />

Mark Peters Schnauss noch 2012 ein weiteres Gitarren-Synthesizer-Fusion-Album<br />

aufgenommen hat, das stimmungsmäßig gar nicht weit von seinem<br />

neuen Album entfernt ist. Überhaupt: Auch wenn Schnauss jetzt in Sachen Instrumentierung<br />

und Sound wieder mehr an seine frühen Alben anschließt, hat<br />

er doch in keinem Augenblick seinen introvertierten Stil geändert, seine Vision,<br />

wie prachtvoll seine traurigen Tracks klingen sollen und umgekehrt. Ulrich<br />

Schnauss' Alben sind der konstante Versuch, sein Inneres nach außen zu stülpen,<br />

immer glaubwürdig, immer vereinnahmend. An frühere Alben anschließen<br />

meint, und das sagt der in London lebende Kieler selbst, den Synthesizer<br />

als das zu feiern, was er ist: ein rundum perfektes Instrument, das sich weder<br />

verstecken, noch seine elektronische Natur verleugnen soll. Schnauss fährt<br />

auf "A Long Way To Fall" seinen ganzen Synthie-Park auf, Vocals gibt es nur<br />

in kleinen Sample-Dosen und wir hören ein paar der besten Stücke, Melodien<br />

und verschachtelten Harmoniedecken, die Schnauss je produziert hat. Die elegischen<br />

Pads von Tangerine Dream, Boards Of Canada in noch dickere Beat-<br />

Watte gepackt und sehr sampfpfotige Adaptionen von Bassmusik. Über einzelne<br />

Tracks reden? Überflüssig, Schnauss komponiert seine Stücke zu einem<br />

großen Ganzen zusammen, und klingt stellenweise wie eine Miniatur-Ausgabe<br />

von Hans Zimmer, Rain-Man-Ära. Dass das alles ein bisschen mehr nach Gestern<br />

als nach Morgen klingt, geschenkt. Dieses Gestern ist aber so schwammig,<br />

dass "A Long Way To Fall" am Ende nur nach einem klingt: Ewigkeit.<br />

MD<br />

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