WIRTSCHAFT+MARKT 4/2016
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46 | W+M POLITIK<br />
Mindestlohn für Flüchtlinge?<br />
Heike Werner (LINKE), Thüringer Ministerin<br />
für Arbeit, Soziales, Gesundheit, Frauen und<br />
Familie.<br />
Michael Theurer (FDP), Landesvorsitzender der FDP<br />
Baden-Württemberg und Mitglied des Europäischen<br />
Parlaments.<br />
„Ja”<br />
Flüchtlingen den Mindestlohn<br />
vorzuenthalten, wäre ökonomisch<br />
und sozial falsch. Eine<br />
wesentliche Voraussetzung für das Gelingen der<br />
gesellschaftlichen Integration von Flüchtlingen ist<br />
die Bereitschaft der einheimischen Bevölkerung,<br />
die Flüchtlinge bei uns aufzunehmen. Diese hängt<br />
auch von den Regeln ab, die wir zur Grundlage der<br />
Integration machen. Eine Ausnahme beim Mindestlohn<br />
würde in den Augen derer, die heute zum Mindestlohn<br />
arbeiten, leicht als Signal verstanden, dass<br />
Flüchtlinge leichter einen Arbeitsplatz bekommen,<br />
ja vielleicht sogar „ihren“ Arbeitsplatz bekommen,<br />
weil ein Unternehmen einem Flüchtling zwei oder<br />
drei Euro weniger zahlen könnte. Das wäre ein fatales<br />
Signal und es wäre Wasser auf die Mühlen der<br />
rechten Scharfmacher. Im Sinne des sozialen Friedens<br />
und einer gelingenden Integration der Menschen,<br />
die bei uns Schutz suchen, dürfen wir diesen<br />
Weg nicht beschreiten. Auch ökonomisch hätte<br />
die Ausnahme der Flüchtlinge einen Pferdefuß.<br />
Ein gut funktionierender Wettbewerb basiert darauf,<br />
dass die miteinander in Konkurrenz stehenden<br />
Unternehmen unter gleichen Bedingungen agieren.<br />
Ausnahmen beim Mindestlohn, das gilt für Langzeitarbeitslose,<br />
Jugendliche und für Flüchtlinge gleichermaßen,<br />
bedeuten, dass sich einzelne Unternehmen<br />
einen leistungslosen Wettbewerbsvorteil<br />
verschaffen können, indem sie diesen Menschen<br />
einen Dumpinglohn zahlen. In einem Land wie<br />
der Bundesrepublik, dessen Wirtschaft über die<br />
Qualität ihrer Produkte punktet und nicht über<br />
Dumpingpreise, ist dies nicht wünschenswert.<br />
„Nein”<br />
Der Mindestlohn schließt<br />
Flüchtlinge aus. Wir müssen<br />
das Mindestlohngesetz<br />
dringend flexibilisieren, weil Flüchtlinge<br />
sonst dauerhaft vom deutschen Arbeitsmarkt<br />
ausgeschlossen sind. Nicht alle Flüchtlinge,<br />
die zu uns kommen, sind Ingenieure oder Ärzte.<br />
Ein Großteil der Menschen ist nicht ausreichend<br />
ausgebildet, um den Anforderungen unseres<br />
Arbeitsmarktes zu entsprechen. Wir müssen<br />
es ihnen ermöglichen, Orientierungspraktika<br />
in deutschen Betrieben zu absolvieren, die<br />
im Zweifel auch länger als nur sechs Monate<br />
dauern und trotzdem nicht mit dem Mindestlohn<br />
bezahlt werden. Wir können nicht die gleichen<br />
Qualitätsansprüche an die Ausbildung von<br />
Flüchtlingen stellen, die wir an die Ausbildung<br />
von in Deutschland ausgebildeten Facharbeitern<br />
haben. Ein Flüchtling braucht Zeit und Möglichkeiten,<br />
um sich durch Zusatzqualifizierungen zur<br />
Fachkraft zu entwickeln. Es ist dann aber ganz<br />
verständlich, dass ein Arbeitgeber nicht den gleichen<br />
Stundenlohn zahlen möchte, den er einem<br />
gut ausgebildeten Facharbeiter zahlt. Arbeitsministerin<br />
Nahles hat mit ihren Reformen den Arbeitsmarkt<br />
verrammelt und bürokratisiert. Das ist<br />
aber der falsche Weg: Wir müssen Flüchtlingen<br />
Perspektiven aufzeigen. Nur so bekommen wir die<br />
Menschen in Arbeit, wo sie in der Zusammenarbeit<br />
mit Kollegen leichter Deutsch lernen und besser<br />
integriert werden, als wenn sie in Flüchtlingsheimen<br />
versauern. Nur so können wir eine Integrationskrise<br />
verhindern.<br />
Fotos: Delf Zeh (links), Thierry Monasse/Freie Demokratische Partei (rechts)<br />
<strong>WIRTSCHAFT+MARKT</strong> | 4/<strong>2016</strong>