146 Spielzeit der Dresdner Philharmonie
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Arnold Schönberg und Anton Webern,<br />
Vorherige Doppelseite: Robert-Christian Schuster, Fagott<br />
Igor Strawinski und Sergei Rachmaninow,<br />
Emmerich Kálmán und Kurt Weill<br />
bilden dabei nur die Spitze eines Eisbergs<br />
von Tausenden Musikern, die durch<br />
Berufsverbote verdrängt wurden. Einige<br />
wie Viktor Ullmann o<strong>der</strong> Pavel Haas bezahlten<br />
ihre Wi<strong>der</strong>standskraft auch mit<br />
dem Leben.<br />
Einrichtungen waren, war es für die Machthaber relativ leicht,<br />
sich einen Überblick über politisch unliebsame Musiker zu<br />
verschaffen. Nach neueren Studien haben bis zu 4000 Musiker<br />
Deutschland und die vom Naziregime besetzten Län<strong>der</strong> und<br />
Gebiete verlassen müssen. Bei weitem nicht alle schätzten die<br />
gefährliche Situation richtig ein o<strong>der</strong> hatten schlicht die Mittel,<br />
um sich an<strong>der</strong>swo ein neues Leben mit weitschweifigen Netzwerken<br />
aufzubauen. Einige wie Viktor Ullmann o<strong>der</strong> Pavel Haas<br />
bezahlten ihre Wi<strong>der</strong>standskraft mit dem Leben.<br />
Und nicht allen, die ins Exil gingen, war damit automatisch das<br />
Paradies auf Erden beschieden. Erich Wolfgang Korngold etwa<br />
schlug sich nach einer Wun<strong>der</strong>kindkarriere und großen Erfolgen<br />
in den Zwanzigerjahren mit Filmmusikkompositionen in Hollywood<br />
durch und fasste – an<strong>der</strong>s als etwa Hanns Eisler – nach<br />
seiner Rückkehr ins Europa <strong>der</strong> dogmatischen Neutöner nie<br />
wie<strong>der</strong> Fuß. Seine Emigration hatte ihn nicht nur dem pragmatischen,<br />
quasi industriellen Komponieren in die Arme getrieben,<br />
son<strong>der</strong>n führte auch zu einer Flucht in den Eklektizismus – fast<br />
als Beschwörung einer guten alten Zeit, über die die Geschichte<br />
nun unwi<strong>der</strong>ruflich hinweggegangen war. „Ich bin zwei Mal<br />
vertrieben worden“, bekannte Korngold bitter kurz vor seinem<br />
Tod 1957. Erst in den letzten Jahrzenten wird seine Musik mit<br />
reichlich historischem und wohl auch musikideologischem Abstand<br />
wie<strong>der</strong>entdeckt.<br />
Exilanten – ob nun aus politischen o<strong>der</strong> wirtschaftlichen<br />
Gründen – hat es natürlich auch zu an<strong>der</strong>en<br />
Zeiten gegeben. Allein dass Mozart mehrfach seine<br />
Wohnorte wechselte, vor allem weil er sich mit<br />
<strong>der</strong> Obrigkeit nicht verstand, könnte man schon<br />
als frühe Form <strong>der</strong> Flucht bezeichnen. Seine einschneidendsten<br />
Auswirkungen hatte <strong>der</strong> Zwang<br />
zur Ab- und Auswan<strong>der</strong>ung für Musiker jedoch im<br />
20. Jahrhun<strong>der</strong>t. Vor gravierenden Problemen stand<br />
man ja nicht nur in Nazideutschland, son<strong>der</strong>n auch<br />
in Sowjetrussland, in <strong>der</strong> Tschechoslowakei o<strong>der</strong><br />
auch in <strong>der</strong> DDR. Arnold Schönberg und Anton<br />
Webern, Igor Strawinski und Sergei Rachmaninow,<br />
Emmerich Kálmán und Kurt Weill bilden nur die<br />
Spitze eines Eisbergs von Tausenden vertriebenen<br />
Musikern. Dmitri Schostakowitsch zum Beispiel<br />
kämpfte immer wie<strong>der</strong> mit sich, die Sowjetunion aufgrund<br />
<strong>der</strong> stalinistischen Repressalien zu verlassen<br />
und blieb dann – an<strong>der</strong>s als etwa Sergei Prokofjew,<br />
Sofia Gubaidulina o<strong>der</strong> Alfred Schnittke – doch in<br />
<strong>der</strong> möglicherweise hoffnungslosen Illusion, in seiner<br />
geliebten Heimat etwas bewegen zu können. Im<br />
Ergebnis läuft sein Werk immer wie<strong>der</strong> Gefahr, von<br />
allen politischen Seiten bis heute zum Teil mutwillig<br />
missdeutet, zumindest aber oft fehlinterpretiert zu<br />
werden. Mikis Theodorakis dagegen, mehrfach Häftund<br />
Flüchtling, wird bis heute in Griechenland trotz<br />
aller Berufsverbote und Verbannungen, egal unter<br />
welchem politischen System, wie ein Nationalheiliger<br />
verehrt.<br />
Viel hängt davon ab, in welches Land die Musiker<br />
emigrieren und welche Strukturen eines Musikbetriebs<br />
sie dort vorfinden, ob sie sich also anpassen<br />
können o<strong>der</strong> nicht. Das Israel Philharmonic Orchestra<br />
etwa, eine Exilanten-Gründung von 1936, wird<br />
inzwischen von zahlreichen jüdischen Musikern be-<br />
reichert, die nach 1991 massenhaft aus Russland kamen. Damit<br />
rechnen, dass man überall mit offenen Armen empfangen wird,<br />
kann jedoch niemand. Im vergangenen Herbst gab das Syrian<br />
Expat Philharmonic Orchestra, ein Zusammenschluss syrischer<br />
Flüchtlinge, die einst in ihrer Heimat professionelle Musiker<br />
waren, in Bremen sein erstes Konzert. Ob sie sich willkommen<br />
fühlen würden in, sagen wir, Dresden?<br />
Lebenswege, Lebenswan<strong>der</strong>ung<br />
Klar ist jedenfalls, dass das Reisen bisher noch jeden Künstler<br />
(und sein Werk) geprägt hat, vielleicht sogar thematisch bestimmt,<br />
ob nun als kreieren<strong>der</strong> o<strong>der</strong> ausführen<strong>der</strong> Meister. Dabei<br />
entwickelte das Unterwegssein abseits <strong>der</strong> Bildungsmotivation<br />
eines Heinrich Schütz o<strong>der</strong> Johann Wolfgang von Goethe,<br />
abgesehen auch von <strong>der</strong> Abenteuerlust eines Jules Vernes o<strong>der</strong><br />
Alexan<strong>der</strong> von Humboldt o<strong>der</strong> des schlichten Expansions- und<br />
Eroberungsdrangs eines Christopher Columbus eine stark metaphorische<br />
Wechselwirkung mit allen Künsten. Das Reisen war<br />
stets Inspirationsquell wie auch selbst Inhalt. So diktiert Wilhelm<br />
Müller dem unerreichten Franz Schubert aus <strong>der</strong> Winterreise<br />
ins Notenblatt: „Einen Weiser seh‘ ich stehen / Unverrückt<br />
vor meinem Blick; / Eine Straße muss ich gehen, / Die noch<br />
keiner ging zurück.“<br />
Es ist kein Zufall, dass gerade die psychologische Tiefe in <strong>der</strong><br />
Musik Schuberts erst im 20. Jahrhun<strong>der</strong>t wertgeschätzt wurde,<br />
weil sie die traumatischen Erlebnisse, die Verlorenheit einer Generation<br />
zweier Weltkriege vorwegzunehmen schien. Auch im<br />
21. Jahrhun<strong>der</strong>t ist die Todessehnsucht <strong>der</strong> Romantik aufgrund<br />
ihres Reichtums an Assoziationen die genussvolle Höchstform<br />
sehr vieler Musikliebhaber. Sie bezieht sich stark auf<br />
die Metaphorik <strong>der</strong> Reise als Lebensweg, <strong>der</strong> irgendwann<br />
ans Ende führt und damit seinen Höhepunkt<br />
erreicht wie Caspar David Friedrichs die Sächsische<br />
Schweiz durchmessen<strong>der</strong> „Wan<strong>der</strong>er über dem Nebelmeer“.<br />
Der Suchende, <strong>der</strong> sich wan<strong>der</strong>nd das Gebirge<br />
erschließt und damit die Sehnsucht nach <strong>der</strong><br />
weltenwandelnden Apotheose erfüllt, hat das Höchste<br />
entdeckt, den Gipfel erklommen, dem Himmel so<br />
nah. Der faustische Augenblick, den man festhalten<br />
möchte, bildet den Schluss <strong>der</strong> Wan<strong>der</strong>ung. Einer<br />
höheren Erkenntnis opfert sich <strong>der</strong> Reisende selbst,<br />
wie es Johann Gabriel Seidl dichtete und Carl Loewe<br />
in seiner berühmten Ballade <strong>der</strong> lebensbegleitenden<br />
und schließlich stehenbleibenden Uhr vertonte:<br />
„Dann müsst‘ ich zum Meister wan<strong>der</strong>n, / Der wohnt<br />
am Ende wohl weit, / Wohl draußen, jenseits <strong>der</strong><br />
Erde, / Wohl dort in <strong>der</strong> Ewigkeit!“