Namibia: 25 Jahre unabhängig
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMENSCHWERPUNKT Namibia - 25 Jahre unabhängig: Befreiungsbewegung, Frauenpolitik, Völkermorddebatte, historische Fotos sowie Beiträge zu Literatur, Film und Musik // www.afrika-sued.org
Die Fachzeitschrift zum Südlichen Afrika. Afrika Süd liefert kritische Hintergrundanalysen, stellt konkrete Projekte vor und lässt Akteure zu Wort kommen. // THEMENSCHWERPUNKT Namibia - 25 Jahre unabhängig: Befreiungsbewegung, Frauenpolitik, Völkermorddebatte, historische Fotos sowie Beiträge zu Literatur, Film und Musik // www.afrika-sued.org
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Eine Analyse der Verfassungswirklichkeit<br />
kann jedoch nicht darüber hinwegsehen,<br />
dass die namibische Demokratie mehr und<br />
mehr autoritäre Züge annimmt. Seit <strong>Jahre</strong>n<br />
hat sich ein zunehmend autoritärer Regierungsstil<br />
eingebürgert, der die demokratischen<br />
Regeln und Institutionen missachtet<br />
oder übergeht, ohne diese existenziell infrage<br />
zu stellen. Das Regierungshandeln wird<br />
immer intransparenter oder intoleranter. So<br />
wird die Opposition, die allerdings nie in der<br />
Lage war, eine geschlossene Gegenmacht<br />
aufzubauen, im Parlament kaum gehört und<br />
übergangen. Bei wichtigen Debatten oder<br />
Abstimmungen erhält sie die notwendigen<br />
Informationen nur unvollständig oder so<br />
spät, dass eine öffentlichkeitswirksame Parlamentsarbeit<br />
kaum möglich ist. Bei öffentlichen<br />
Debatten, die durch die Presse oder<br />
von zivilgesellschaftlichen Gruppen initiiert<br />
werden und Regierungspolitik kritisieren,<br />
erscheinen Regierungsvertreter entweder<br />
gar nicht – eine besondere Form der Arroganz<br />
der Macht – oder sie melden sich später<br />
mit aggressiven Gegendarstellungen und<br />
Rechtfertigungen. Einzelpersonen werden<br />
zwar nicht direkt mit Freiheitsentzug verfolgt,<br />
wohl aber durch Drohungen, die ihren<br />
beruflichen Aufstieg oder ihre gesellschaftliche<br />
Akzeptanz betreffen, zum Schweigen<br />
gebracht.<br />
...doch Staat als Eigentum betrachtet<br />
Anstelle der ehemals weißen Machthaber<br />
im Apartheidstaat regiert jetzt eine<br />
schwarze Elite, die sich, gestützt auf den historischen<br />
Kompromiss aus der Gründerzeit<br />
mit wohlwollender Unterstützung des weißen<br />
Investitionskapitals und internationaler<br />
Förderung, zu einer neuen Staatsbourgeoisie<br />
entwickelt hat. Die Liste der Regelverletzungen<br />
ist lang: Sie reicht von einem unverhältnismäßig<br />
luxuriösem Lebensstil der<br />
Regierungsmitglieder über nepotistische<br />
Ämtervergabe und parteipolitische Manipulationen<br />
bis hin zu korrupter Amtsführung<br />
und skrupelloser Selbstbereicherung aus öffentlichen<br />
Ressourcen. Pointiert ausgedrückt<br />
betrachtet die Regierungspartei den Staat<br />
als ihr Eigentum, das nicht ordnungsgemäß<br />
verwaltet werden muss, sondern an dem<br />
man sich bedienen und bereichern kann. Indikatoren<br />
sind die ständige Aufblähung des<br />
Staatsapparates, insbesondere der Kosten<br />
der Regierungsführung, aber auch repräsentative<br />
Regierungsbauten, wiederholte Käufe<br />
von prestigeträchtigen Präsidentenjets oder<br />
eines aufwendigen Regierungsfuhrparks.<br />
Zugleich – und hier liegt das Skandalöse<br />
– werden zentrale Defizite des Regierungshandelns<br />
sichtbar: Das Land, reich an Bodenschätzen<br />
und Entwicklungsmöglichkeiten,<br />
weist nach wie vor enorme soziale Gegensätze<br />
auf, die Jugendarbeitslosigkeit liegt bei<br />
etwa 50 Prozent, die öffentlichen Dienstleistungen<br />
im Bildungs- und Gesundheitssektor<br />
lassen zu wünschen übrig. Maßnahmen<br />
zur sozio-ökonomischen Umverteilung werden<br />
nur sehr zögerlich angegangen, wie die<br />
Diskussionen zu BIG (Basic Income Grant),<br />
zum bedingungslosen Grundeinkommen,<br />
oder zur Landreform zeigen. Größere Anstrengungen<br />
zur Infrastrukturpolitik und<br />
zum Rohstoff abbau werden unternommen,<br />
die jedoch nur begrenzt einkommensschaffend<br />
und beschäftigungswirksam sind.<br />
Zwar nehmen die demokratischen Verfassungsorgane<br />
in <strong>Namibia</strong> ihre Kontrollaufgaben<br />
trotz der genannten autoritären<br />
Tendenzen durchaus wahr. Es mangelt nicht<br />
an öffentlicher Kritik, Untersuchungsausschüssen<br />
oder Kontrollorganen wie z.B. einer<br />
besonderen Stabsstelle zur Korruptionsbekämpfung,<br />
die von der Regierung selbst<br />
geschaffen wurde. Doch das wichtigste Organ<br />
demokratischer Mitbestimmung und<br />
Kontrolle, die regelmäßige Wahl der Volksvertreter,<br />
wodurch Regierungsmacht nur<br />
auf begrenzte Zeit legitimiert wird, zeigt<br />
aufgrund besonderer sozio-ökonomischer<br />
Bedingungen in <strong>Namibia</strong> wenig Wirkung.<br />
Die Swapo konnte ihre Führungsrolle als<br />
Regierungspartei in den letzten <strong>25</strong> <strong>Jahre</strong>n in<br />
regelmäßigen Wahlen nicht nur behaupten,<br />
sondern sogar ausbauen – von einer absoluten<br />
Mehrheit 1989 mit 57 Prozent zu einer<br />
Dreiviertelmehrheit, die 2014 sogar bei 80<br />
Prozent lag. Selbst wenn diese Wahlen über<br />
die Zeit hinweg nicht in jeder Hinsicht „frei<br />
und fair“ waren, an der demokratischen Legitimität<br />
so großer Mehrheiten kann kein<br />
Zweifel bestehen.<br />
Zwei Konfliktlinien<br />
Die „eingebauten Mehrheiten“ erklären<br />
sich aus den besonderen sozio-politischen<br />
Gegebenheiten und dem Dekolonisierungsverlauf<br />
des Landes. Zwei Konfliktlinien<br />
beeinflussen bis heute die politische Entwicklung.<br />
Die eine betrifft die ethnische<br />
und damit sozio-politische Differenzierung<br />
der Bevölkerung. Grob skizziert ist <strong>Namibia</strong><br />
als zweigeteiltes Land in die Unabhängigkeit<br />
gestartet. Im dicht besiedelten Norden<br />
des Landes machen die Oshiwambo-sprechenden<br />
Volksgruppen mehr als die Hälfte<br />
der Gesamtbevölkerung aus. Sie waren von<br />
der Landnahme der deutschen und später<br />
südafrikanischen Siedler nur indirekt (als<br />
Wanderarbeiter) betroffen, haben jedoch die<br />
Hauptlast des Befreiungskampfes getragen.<br />
Im weniger besiedelten Süden war eine Vielzahl<br />
von unterschiedlichen Sprachgruppen<br />
direkt in die südafrikanischen Apartheidstrukturen<br />
eingebunden und durchlief eine<br />
andere politische Sozialisation. Die soziopolitische<br />
Entwicklung seit der Unabhängigkeit<br />
wurde massiv von der Mehrheitsethnie<br />
aus dem Norden bestimmt, was zugleich<br />
erhebliche Migrationen in die Wachstumszentren<br />
des Südens zur Folge hatte. Die<br />
meisten Positionen im öffentlichen Leben<br />
sind von Ovambo besetzt, was zu Konflikten,<br />
nicht aber zu gewaltsamen Auseinandersetzungen<br />
mit anderen Ethnien führte. Abgesehen<br />
von einem sofort niedergeschlagenen<br />
Sezessionsversuch in der damaligen Caprivi-<br />
Region (1998) kann das Land auf eine friedliche<br />
Entwicklung zurückblicken.<br />
Die andere Konfliktlinie betrifft, parallel<br />
dazu, die politische Kultur. Schon während<br />
der Kolonialzeit hatten sich zwei Kulturen<br />
herausgebildet: zum einen ein eher monolithisches,<br />
ethno-politisches Blockdenken,<br />
zum anderen ein trotz oder gerade wegen<br />
der umstrittenen Apartheidideologie in politisch<br />
und ethnischer Hinsicht eher plurales<br />
Bewusstsein, in dem Konkurrenz und Widerspruch<br />
als politische Verhaltenskategorien<br />
alltäglich waren.<br />
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