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365-MAGAZIN-No5-2016-17

Magazin 365 Tage fürs Leben Bundesverband-kinderhospiz e.V.

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KINDERHOSPIZARBEIT<br />

sigkeit abfloss. Er beobachtete kurz die Anzeige auf dem Monitor und<br />

war dann zufrieden. Ich sah ihn gelöster als noch vor der Operation,<br />

und wir unterhielten uns über die Reise. Er meinte, dass das lange Sitzen<br />

Emil während der Fahrt von New York nach Charleston gutgetan<br />

habe und er deswegen wohl länger nicht mehr erbrochen habe. Der<br />

Tumor verhindere den Abfluss des Liquors über den Hirnstamm, beim<br />

Aufrechtsitzen aber könne die Flüssigkeit dennoch abfließen. Und<br />

in der Tat sah ich Emils Gesichtszüge jetzt, nachdem der Hirndruck<br />

wieder geringer war, erstmals seit langem wieder frei von Schmerz.<br />

Nun verstand ich sein nächtliches Schreien während der Reise. Seine<br />

Kopfschmerzen mussten unermesslich gewesen sein. Es war schon<br />

lange Abend; am nächsten Tag sollte der Tumor entfernt werden. Am<br />

Vormittag konnte ich wiederkommen, um Emil erneut in den Operationssaal<br />

zu begleiten.<br />

Draußen in der Dunkelheit, in den kalten, harten Regentropfen,<br />

suchte ich nach einem Taxi. Mittags im Krankenwagen hatte ich mit<br />

dem Rücken zur Fahrtrichtung gesessen und durch den schmalen<br />

Spalt in den Milchglasscheiben kaum bekannte Orte sehen können.<br />

Als ich das Krankenhaus verließ, wusste ich nicht, wo in Berlin ich<br />

war. Der Taxifahrer hörte meine Telefonate, die ich mit meinem Bruder<br />

und meiner Mutter führte, und wünschte mir beim Aussteigen<br />

alles Gute.<br />

Zu Hause legte ich mich ins Bett und bewegte mich nicht. Ich ließ<br />

nur die Stille, die Dunkelheit und das Gewicht zweier Bettdecken auf<br />

mich wirken. Zum ersten Mal seit Emils Geburt schlief ich alleine in<br />

meiner Wohnung. Ich lag genau dort, wo ich ein Jahr und achtzehn<br />

Tage zuvor Cecilia tot im Bett liegend aufgefunden hatte. Fast schon<br />

war ich eingeschlafen, als ich doch noch im Internet nach Tumoren<br />

der hinteren Schädelgrube recherchierte. Bis zu diesem Zeitpunkt<br />

hatte mich noch die Überzeugung erfüllt, und auch einer Freundin<br />

hatte ich das so gesagt: »Jetzt muss nur der Tumor herausgeschnitten<br />

werden, und in ein paar Wochen geht Emil wieder in den Kindergarten.«<br />

Gleich traf ich auf Seiten, die dem Andenken an verstorbene<br />

Kinder gewidmet waren. Diese Seiten, mit ihrer Schilderung des langen<br />

Kampfes gegen den Krebs, an dessen Ende immer der Tod des<br />

Kindes stand, ließen meine Zuversicht in sich zusammenfallen, mit<br />

einem Mal und ganz körperlich.<br />

Wir bedanken uns herzlich bei Stefan Krauth und beim Rowohlt Verlag für<br />

die kostenfreie Abdruckgenehmigung für diesen Textauszug. Er stammt aus:<br />

Stefan Krauth, »Stummer Abschied. Erinnerung an Cecilia und Emil«<br />

© <strong>2016</strong> Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek.<br />

Die Hardcover-Ausgabe hat 224 Seiten und kostet 18,95 Euro.<br />

Die hier abgedruckten Illustrationen sind nicht dem Buch entnommen,<br />

sondern wurden eigens für dieses Magazin angefertigt.<br />

Spendenkonto Bundesverband Kinderhospiz e. V.: IBAN DE03 4625 0049 0000 0290 33, BIC WELADED1OPE<br />

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