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365-MAGAZIN-No5-2016-17

Magazin 365 Tage fürs Leben Bundesverband-kinderhospiz e.V.

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KINDERHOSPIZARBEIT<br />

Er hatte sein ganzes Leben vor sich. Doch mit zehn<br />

Monaten stürzte Peter* und erlitt ein Schädelhirntrauma.<br />

Seitdem ist er schwer krank: Er hat Spastiken,<br />

epileptische Anfälle, Diabetes insipidus und kann seine<br />

Körpertemperatur nicht alleine steuern. Peter muss rund<br />

um die Uhr professionell versorgt und betreut werden.<br />

Der Dreijährige lebt als Einzelkind mit seinen Eltern<br />

Maria und Michael* in der Nähe von Freiburg. Sie müssen<br />

sogar nachts an Peters Bett wachen und waren froh, als<br />

die Krankenkasse ihnen eine nächtliche Kinderkrankenpflege<br />

bewilligte. »Doch es war ein Problem, geeignete<br />

Pflegekräfte zu bekommen«, sagt Maria. Drei Monate<br />

lang wurden sie und ihr Mann höchstens zweimal in der<br />

Woche nachts unterstützt. »Eine kräftezehrende Zeit, in<br />

der wir verzweifelt nach Hilfe und Entlastung suchten.«<br />

Obwohl ihnen mittlerweile 100 Stunden Behandlungspflege<br />

in der Woche zustehen, kommen die Kinderkrankenschwestern<br />

maximal dreimal in der Woche zu<br />

ihnen nach Hause. Lange waren die Nachtschichten<br />

nicht regelmäßig besetzt. Mittlerweile sind sie es – doch<br />

wenn jemand beim Pflegedienst urlaubs- oder krankheitsbedingt<br />

ausfällt, kann der Familie oft kein Ersatz<br />

geschickt werden.<br />

Nicht nur in der Kinderkrankenpflege, sondern auch in<br />

der Alten- und Krankenpflege fehlen Berechnungen der<br />

Bertelsmann-Stiftung zufolge zurzeit insgesamt rund<br />

40.000 Pflegekräfte. Trotzdem plant die Bundesregierung,<br />

diese drei Berufe ab 2018 in einer generalistischen<br />

Ausbildung zusammenzulegen, die dann für alle Schwerpunkte<br />

der Pflege qualifiziert. Wer sich dann auf einen<br />

Bereich spezialisieren will, muss sich zwei weitere Jahre<br />

fortbilden. Eltern, Kinder- und Jugendärzte und andere<br />

Experten befürchten, dass Kinder die Verlierer und<br />

Opfer dieser Reform sein werden – vor allem diejenigen<br />

mit lebensverkürzenden Erkrankungen, die eine spezialisierte<br />

Pflege brauchen. Bernd Meurer als Präsident<br />

des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste<br />

ist davon überzeugt, dass der Lehrstoff von drei Berufen<br />

nicht in drei Jahren zu schaffen ist. Auch Corinne<br />

Ruser als Geschäftsführerin des Bundesverbands Häusliche<br />

Kinderkrankenpflege hat Bedenken, dass die sich<br />

»bereits aktuell stellenden Herausforderungen in der<br />

Pflege von Kindern und Jugendlichen (…) und die damit<br />

verbundene Qualität nicht hinreichend berücksichtigt«<br />

werden. »Mir wird himmelangst, wenn ich an die Reformpläne<br />

denke«, sagt Maria, Peters Mutter. Schon in der<br />

Klinik »ist es ein großer Unterschied, ob eine Kinderkrankenschwester<br />

oder eine Krankenschwester Peter pflegt«.<br />

Doch qualifizierte Kinderkrankenschwestern sind schon<br />

jetzt Mangelware – und werden es mit der Reform umso<br />

mehr, sind Experten überzeugt. Das Zentrum für Kindermedizin<br />

im Olga-Hospital in Stuttgart beispielsweise<br />

kann manche Kinder nicht entlassen, weil die Eltern für<br />

Zuhause keinen Pflegedienst finden, der die Betreuung<br />

übernimmt. »Die Kinderkrankenpflegerinnen, die bei<br />

einem ambulanten Dienst arbeiten, tragen eine große<br />

Verantwortung für das Wohlergehen des Kindes und<br />

müssen diese zusätzliche seelische Belastung aushalten<br />

können«, sagt Michaela Müller, Pflegedienstleiterin im<br />

Kinderhospiz Stuttgart. Doch viele halten dieser Belastung<br />

nicht stand. Auch eine von Peters erfahrensten<br />

ambulanten Kinderpflegerinnen war nur eine Zeit lang<br />

gekommen. Sie ging zurück an eine Klinik, wo sie unter<br />

anderem immer schnell ein ärztliches Feedback einholen<br />

kann und auch sonst viele Vorteile erfährt. Andere<br />

Fachkräfte entscheiden sich für die Arbeit in Hospizen,<br />

weil sie dort im Team arbeiten können – und der Pflegeschlüssel<br />

besser ist als in Krankenhäusern.<br />

Die Pflegereform ist »ein Unding, denn mit ihr geht Qualität<br />

verloren«, sagt Michaela Müller. Das Vorhaben der<br />

Bundesregierung sei »unter anderem ein Versuch, die<br />

Altenpflege auf Kosten der Kinderkrankenpflege aufzuwerten«<br />

– auf Kosten von schwer kranken Kindern, die<br />

nur durch eine medizinische Spezialbetreuung und ein<br />

hohes Maß an Fachwissen und Praxiserfahrung adäquat<br />

versorgt werden können.<br />

Schon jetzt sei der Fachkräftemangel in der Pflege<br />

enorm, bestätigt Sebastian Pietsch vom Kinderpflegedienst<br />

Kidi in Villingen. Vor allem in ländlichen Gebieten<br />

müsse Kidi Anfragen oft ablehnen. »Die Reaktionen auf<br />

unsere Absagen reichen von Verständnis über Trauer bis<br />

hin zu Wut und Unverständnis«, so Pietsch. Dem Pflegeberuf<br />

fehle die gesellschaftliche Wertschätzung, deshalb<br />

sei es vor allem für junge Menschen unattraktiv, ihn überhaupt<br />

erlernen zu wollen. Daran seien die Pflegenden<br />

zum Teil auch selbst schuld, findet Michaela Müller, »weil<br />

sie in der Öffentlichkeit eher die negativen Aspekte des<br />

Berufs darstellen und so wenig von der Erfüllung erzählen,<br />

die dieser Beruf auch haben kann«. Beispielsweise in<br />

den Nächten, in denen Kinder wie Peter so professionell<br />

betreut sind, dass seine Eltern vertrauensvoll ein paar<br />

Stunden Schlaf finden.<br />

* Namen von der Redaktion geändert<br />

Die Autorin Ute Arndt arbeitet seit über zehn Jahren als Trauerrednerin<br />

und Trauerbegleiterin. Außerdem ist sie als Dozentin in<br />

diesem Bereich tätig und hat mehrere Bücher veröffentlicht.<br />

Spendenkonto Bundesverband Kinderhospiz e. V.: IBAN DE03 4625 0049 0000 0290 33, BIC WELADED1OPE 65

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