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DPFA - Diakonie Riesa-Großenhain gGmbH

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1991 haben wir uns mit unseren Kindern zusammengesetzt, um zu besprechen,<br />

ob auch sie mit nach Deutschland kommen wollen. Ohne Kinder wollten wir unter<br />

keinen Umständen fahren. Und wie wir dann all die Bürokratiehürden nehmen<br />

können. Es waren Fragen über Fragen - nach den Antworten musste man<br />

suchen.<br />

Im Juni 1991 haben wir unsere Anträge und auch Anträge unserer Kinder nach<br />

Moskau in die Botschaft gebracht, abgegeben und schon Ende Februar 1992<br />

haben wir den Aufnahmebescheid bekommen.<br />

Und so sind wir am 15. November 1992 aus Moskau nach München gekommen,<br />

von dort mit den Reisebussen nach Empfingen. Behördengänge, die ersten<br />

Freuden und die ersten Rückschläge. In Baden-Württemberg haben wir uns<br />

mühelos verständigen können, wir sprachen mit kleinen Ausnahmen denselben<br />

Dialekt, das hat uns ein Gefühl der Geborgenheit gegeben.<br />

Unseren Antrag, in Baden-Württemberg auch bleiben zu dürfen, hat man abgelehnt,<br />

nach Berlin zu kommen - genauso, obwohl wir in diesen beiden Ländern enge<br />

Verwandte haben. Dann mussten wir uns einfach hinfahren lassen, wohin es die<br />

Behörden für richtig hielten.<br />

So hat man uns nach neun Tagen im Empfingen wieder mit den Bussen nach<br />

Bärenstein gebracht und nach weiteren dreizehn Tagen nach Kmehlen. In<br />

Sachsen kam es uns die erste Zeit so vor, als ob man gar nicht verstanden wird<br />

18<br />

Erinnerungen von damals bis heute<br />

In diesem Jahr werden es fünfzehn Jahre, das wir, Jekaterina und Johannes<br />

Schäfer in Deutschland angekommen sind.<br />

Und immer wieder kommt die Frage, was war denn der Grund, so eine harte<br />

Entscheidung treffen zu müssen, um das Land, in dem man geboren ist und gut<br />

oder schlecht den größten Teil des Lebens gelebt hat, die Gräber der Vorfahren,<br />

der Eltern, der Brüder und Schwester verlassen zu müssen.<br />

Es ist die Aussichtslosigkeit. Die Aussichtslosigkeit in diesem Lande weiter als<br />

Deutsche mit deutscher Sprache und deutscher Kultur leben zu können, so wie<br />

es bis 1941 - gut oder schlecht - doch möglich war.<br />

Wir Russlanddeutschen stellten im Jahre 1989 an die Sowjetregierung einen<br />

letzten Apell, uns in die Gebiete an der Wolga zurück gehen zu lassen, uns die<br />

früheren deutschen Kolonien wieder aufbauen zu lassen. Diese liegen ja heute<br />

noch - besonders auf der Wiesenseite der Wolga - wie auch vor 200 Jahren<br />

brach und verlassen. Das Land fruchtbar zu machen, uns leben und arbeiten<br />

zu lassen, hat die damalige Regierung der Sowjetunion eindeutig und hart mit<br />

„nein“ beantwortet. Für uns war der zweite Weltkrieg auch fast fünfzig Jahre<br />

später immer noch nicht aus.<br />

Der Erlass der sowjetischen Regierung vom 28. August 1941 führte zur<br />

vollständigen Auflösung der Republik der Wolgadeutschen und am 6. September<br />

1941 hat man uns alle, aus Neu-Boaro, Lilienfeld und aus Fresental nach Urbach, die<br />

Eisenbahnstation, gebracht und am 7. September gegen Abend in die Viehwaggons<br />

je 40 Menschen samt Gepäck gesteckt und es ging los in die Verbannung, in<br />

die Ungewissheit, für viele in den Tod. Es gab keine Schlafmöglichkeiten, keine<br />

Toiletten, nichts. Die Toten wurden entlang der langen Strecke einfach liegen<br />

gelassen, man durfte sie weder beerdigen, noch sich von ihnen verabschieden.<br />

Am 22. September, nach über zwei qualvollen Wochen, sind wir in Tscherepanowo,<br />

Gebiet Nowosibirsk, angekommen und sind ausgeladen worden. Am nächsten<br />

Tag hat man uns in den Kolchosen willkürlich verteilt. Es durften nicht mehr als<br />

3 bis 6 Familien in einem Dorf leben. Am nächsten Tag mussten die Eltern und<br />

älteren Kinder sofort auf die Arbeit.<br />

In unserer Familie lebten fünf Kinder und das sechste Kind war unterwegs. Es ist<br />

am 22. November 1941 zur Welt gekommen. Und alles, was man hatte, war das,<br />

was man am Leibe hatte und das, was aus dem Gepäck noch übrig geblieben<br />

war.<br />

Am 28. März 1942 war es dann auch für unseren Vater soweit: man zog ihn in die<br />

Trudarmee ein und die Mutter, Marie-Kathrine Schäfer, geborene Koch, blieb<br />

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