Bahnsport 12/2016

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BAHNSPORT-LEGENDEN Lenggries gilt allgemein als Mekka des deutschen Skisports. Wer erinnert sich nicht an Martina Ertl oder Hilde Gerg? Beide machten durch ihre Erfolge den Ort in den bayerischen Alpen weltbekannt. So wundert es nicht, dass auch Georg Gilgenreiner, der nur wenige hundert Meter vom Skigebiet am Brauneck aufgewachsen ist, seine ersten Erfahrungen in Sachen Geschwindigkeit auf der Skipiste machte. Immerhin zum bayerischen Meister in der Kombination hat er es in seiner Juniorenklasse gebracht. Eine Skisportkarriere schien also vorprogrammiert, bis ihn ein Sturz bei einem Abfahrtslauf stoppte: „Kreuzbandriss“, war die niederschmetternde Diagnose. „Die Ärzte meinten, ich sollte das Skifahren ab sofort bleiben lassen“, erinnert sich Georg heute. Er musste sich also einen neuen Sport suchen und wurde schon bald fündig. Als er ein Grasbahnrennen in Schaftlach (in der Nähe vom Tegernsee) besuchte, packte ihn sofort das Rennsportfieber. „Des muass i unbedingt probiern“, sagte sich der damals 19-Jährige. Wie gut, dass es zu dieser Zeit (1968) im benachbarten Bad Tölz einen Händler für Bahnsportprodukte gab. Peter Knott bezog übrigens viele seiner Teile aus dem Versandhandel: In dieser Zeit wurde (man höre und staune!) im Neckermann-Katalog eine „Flachbahn-Rennmaschine“ angeboten. Georg Gilgenreiners erstes Bike bestand also aus „Neckermann-Teilen“ und einem Rahmen von Helmut Walch (ein erfolgreicher Bahnfahrer der 1960er-Jahre). Erste Fahrversuche wurden auf einer Wiese vor dem elterlichen Bauernhof unter Walchs persönlicher Aufsicht unternommen. Der heute 68-Jährige erinnert sich an die gut gemeinten Tipps des Österreichers: „Des Gspü muass rutschen.“ Im April 1969 war es dann soweit: Der Schore (so nennen ihn seine Freunde bis heute) gab auf der legendären 700-Meter-Bahn im Münchener BBM-Stadion sein Renndebüt. Mit seinen drei Laufsiegen setzte er gleich ein dickes Ausrufezeichen, verpasste aber wegen Getriebeproblemen das Podest um Haaresbreite. Noch im Herbst des selbigen Jahres konnte er dennoch seine ersten beiden Siegerpokale einheimsen. Bei den Grasbahnrennen in Rosenheim und Stadt Steinach (zwei Orte, die längst von der Bahnsportlandkarte verschwunden sind) ließ er alle Konkurrenten hinter sich. Nach zwei erfolgreichen Jahren als Fahrer der Ausweisklasse (heute: B-Lizenz) betrat der Oberbayer 1971 die internationale Bühne. „Das war eine enorme Umstellung“, sagt er heute. Beinahe unvorstellbar: Bei den meisten offenen Rennen musste man damals eine Vorqualifikation in Form einer fliegenden Runde bestreiten. In Plattling, beim Sandbahnrennen, gab es einmal 36 (!) Nennungen für 18 Startplätze, wie sich Georg heute erinnert: „Soweit ich denken kann, bin ich zum Glück nie durch das Raster gefallen.“ Schon bald feierte er seinen ersten Sieg als I-Lizenz-Fahrer. Wiederum auf einer Bahn, die nur noch in alten Fotoalben existiert: Schauplatz war das 600-Meter-Oval in Montagnana (Italien). Spätestens von da an war mit einem Georg Gilgenreiner immer zu rechnen! Siegerpokale hat er während seiner Karriere viele gewonnen, der Schore. Wer bei ihm in Lenggries zu Gast ist, kann die schönsten Stücke in seinem Haus bewundern. Besonders auffallend: Ein „goldener Schleifschuh“ auf einem Marmorsockel. Erkämpft hat er ihn irgendwann in den 1970er-Jahren in Bopfingen. Wo wir wieder beim Thema sind: Legendäre Bahnen, die es schon seit Jahrzehnten nicht mehr gibt! Georg Gilgenreiner Erhard Wallenäffers Bahnsport-Legenden vergangener Jahre Zweiter wurde damals kein Geringerer als Dave Jessup, seines Zeichens Weltklassefahrer aus „Good Old England“, wie sich Georg erinnert: „Ich muss zugeben: Der Dave kam zu spät nach Bopfingen. So verpasste er seinen ersten Lauf und der Weg zu diesem schönen Pokal war für mich frei.“ Gewonnene Trophäen sind die sichtbaren Zeichen, die von einer erfolgreichen Rennsportkarriere übrigbleiben. Es sind aber die Erinnerungen an so manche kuriose Begebenheit, die uns Fans besonders interessieren. Georg Gilgenreiner fällt spontan ein Erlebnis mit dem Nationalteam vom 8. Juni 1975 ein: „In Civitanova mussten wir in der ersten Runde zur Mannschafts-WM gegen die gastgebenden Italiener sowie gegen Österreich und die Niederlande antreten. Bei unseren ersten Läufen hatten wir große Probleme mit unseren Motoren. Kaum Leistung und ständig diese Zündaussetzer! Irgendwann hat mein gerissener Teamkollege Hans Wassermann gemerkt, was hier gespielt wurde: Es gab komischerweise zwei Fässer mit Methanol. Eines für die Italiener und das zweite für die drei anderen Teams. Unser Treibstoff war mit Wasser gestreckt! Die haben damals wirklich mit allen Tricks gearbeitet. Gewonnen haben wir dann aber trotzdem.“ Schon in den 1970er-Jahren zählte Georg Gilgenreiner also zur Elite der deutschen Speedwayfahrer. Seine absolute Glanzzeit erlebte er aber zu Beginn des nächsten Jahrzehnts. Am 12. Oktober 1980 trug er sich in die Liste der deutschen Speedwaymeister ein. Das Finale in Norden nahm dabei einen kuriosen Verlauf, wie sich der Lenggrieser erinnert: „Der Egon (Müller) war bei unserem direkten Duell ausgefallen und kam so mit vier Laufsiegen auf insgesamt 12 Punkte. Ich hätte aber auch so gegen ihn gewonnen – an dem Tag war ich einfach gut drauf! Bis zu meinem letzten Auftritt blieb ich also ungeschlagen, sodass mir ein weiterer Punkt zum Titel gereicht hätte. Hier war ich bis in die letzte Runde in Führung gelegen, als das Unfassbare passierte: Plötzlich streikte mein Motorrad! Mein Glück war, dass mein Gegner Karl Maier zeitgleich zu Sturz kam, sodass ich für meinen fehlenden Punkt das Bike in Richtung Ziellinie schieben konnte. Kurz davor warteten meine bayerischen Fahrerkollegen auf mich. Das Ganze war mir sehr unangenehm, aber letztlich ging es nur noch um mein Maximum. Die Zuschauer allerdings, fanden das gar nicht lustig und beschimpften uns auf übelste Art und Weise.“ Welcher deutsche Speedwayfahrer kann schon von sich behaupten, Edelmetall bei einem WM- Finale gewonnen zu haben? Im Hause Gilgenreiner gehören sogar zwei Bronzemedaillen zum Inventar: Zusammen mit den Kollegen des Nationalteams konnte er sowohl in Olching (1981 – ein Punkt hinter Vizeweltmeister England!) als auch im Londoner White-City-Stadion (1982) jeweils beim Team-WM-Finale die 3. Stufe des Podiums erklimmen. Für uns deutsche Fans kaum zu glauben, in Zeiten, in denen wir uns freuen, wenn unsere Jungs die erste Qualifikationsrunde überstehen! Weniger Glück hatte Georg Gilgenreiner auf den großen Ovalen: Zweimal war er für ein Langbahnweltfinale qualifiziert. Zu einer Medaille reichte es aber nicht. „Der 4. Platz war schon fast mein Markenzeichen“, scherzt der 68-Jährige heute. 1981 in Radgona (Ex-Jugoslawien) verlor er das Stechen um Platz 3 gegen den Schweden Anders Michanek. „Der hat sich für diesen Entscheidungslauf das Motorrad von Peter Collins geliehen und auch einen neuen Reifen verwendet, was gar nicht erlaubt war“, erinnert er sich. Seine persönliche „Langbahn-Sternstunde“ erlebte der Bayer außerhalb der WM. Es war der 28. Mai 1981: Angetrieben von einem „Bären“, siegte der damals 32-Jährige sensationell beim Vatertagsrennen in Herxheim. Richtig gelesen! Georg fuhr mit einem Leihmotor namens „Bär1“ von Hans Zierk zum Sieg. Die Motorenlegende aus Lehrte schrieb persönlich den Namen mit einem Filzstift auf das Godden-Aggregat, wie sich der Schore noch heute erinnert. „Der ging wie die Hölle! Nicht einmal Egon Müller, der zu der Zeit als unschlagbar galt, konnte da mithalten.“ Für den Überraschungssieg gab es übrigens auch noch eine Extra-Prämie. Ein Fan versuchte, den Schore vor dem Rennen zusätzlich zu motivieren: „Wenn du den Egon anstreichst, bekommst du 400 Mark.“ „Ich hab’ es nicht ernstgenommen, aber der Kerl machte nach der Siegerehrung tatsächlich sein Versprechen wahr“, erzählt Georg. Mitte der 80er-Jahre konnte Georg Gilgenreiner also auf eine erfolgreiche Bahnsportkarriere zurückblicken. Den Schleifschuh an den Nagel zu hängen, war für das Ende des Jahres 1984 geplant. Er war schon dabei, sich auf die Zeit nach seiner Laufbahn vorzubereiten. Doch alles kam anders. Der 10. Juni des Jahres sollte sein Leben für immer verändern. Lesen Sie im nächsten Heft: Georg Gilgenreiner spricht über seinen schweren Sturz in Zarnovica und darüber, wie er seither sein Leben auf bewundernswerte Weise meistert. GEORG GILGENREINERS GRÖSSTE ERFOLGE SPEEDWAY - Bundesliga-Clubs: MC Krumbach (Deutscher Meister 1975 und 1976), MSC Ruhpolding Deutscher Meister: 1980 Bronzemedaille-Team-WM: 1981, 1982 Weltfinalist-Best-Pairs-WM: 1981 (7. Platz mit Egon Müller) LANGBAHN - Deutscher Vizemeister: 1982 Weltfinalist: 1981 (Platz 4), 1982 (Platz 5) 14 BAHNSPORT AKTUELL Dezember '16
Speedway-DM 1982 in Bremen-Arsten: Georg Gilgenreiner vor Erich Schäfferer und Peter Nieder WM-Quali in Ruhpolding 1983: Miroslaw Berlinski, Guiseppe Marzotto und der Schore (v.l.) kamen durch Beim Speedway in Rodenbach ZITAT „Mit einem Motor, der g’scheid angeschoben hat, hat’s auf der Langbahn schon auch großen Spaß gemacht.“ Georg Gilgenreiner, auf die Frage, ob er lieber Speedway oder Langbahn fuhr? 1981 und 1982 gab es eine Bronzemedaille für Georg Gilgenreiner (links) in der Team- WM (hier mit seinen Mannschaftskameraden Manfred Poschenrieder, Egon Müller, Alois Wiesböck und Georg Hack (v.l.) Paar-WM 1982 in Vojens: Zusammen mit Egon Müller (innen) gegen die Finnen Kai Niemi und Ari Koponen Langbahn-WM in Esbjerg: Gilgenreiner (14) vor Ole Olsen (7), Ivan Mauger (11), Anders Michanek (18), Georg Hack (6) und Jiri Stancl (4) ... man beachte die Zuschauerkulisse Best-Pairs-WM-Semifinale 1981 in Norden: Georg besiegte mit Egon Müller sogar die Fahrer aus Neuseeland und Großbritannien Bahnsport aktuell: Schon immer seine Lieblingslektüre Mit Dauerrivale Bruce Penhall bei einem Rennen in Kalifornien Dezember '16 BAHNSPORT AKTUELL 15
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