Antony Gormley - Weltkunst

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Künstler Kritisches Lexikon der Gegenwartskunst erscheint viermal jährlich mit insgesamt 28 Künstlermonografien auf über 500 Text- und Bild-Seiten und kostet im Jahresabonnement einschl. Sammelordner und Schuber € 148,–, im Ausland € 158,–, frei Haus. www.weltkunst.de Postanschrift für Verlag und Redaktion Zeitverlag Beteiligungs GmbH & Co. KG Nymphenburger Straße 84 D-80636 München Telefon 0 89/12 69 90-0 Telefax 0 89/12 69 90-11 Bankkonto: Commerzbank Stuttgart Konto-Nr. 525 55 34, BLZ 600 400 71 ›Künstler‹ erscheint in der Zeitverlag Beteiligungs GmbH & Co. KG Geschäftsführer Thomas Brackvogel, Dr. Rainer Esser Verlagsleiter Boris Alexander Kühnle Gründungsherausgeber Dr. Detlef Bluemler/Prof. Lothar Romain † Redaktion Hans-Joachim Müller Dokumentation Andreas Gröner Ständiger Redaktionsbeirat Dr. Eduard Beaucamp, Frankfurt/Main Dr. Christoph Brockhaus, Duisburg Prof. Dr. Johannes Cladders, Krefeld Prof. Rolf-Gunter Dienst, Baden-Baden Prof. Dr. Helmut Friedel, München Rainer Haarmann, Neuwittenbek/Kiel Prof. Dr. Wulf Herzogenrath, Bremen Prof. Klaus Honnef, Bonn Prof. Dr. Georg Jappe, Köln/Hamburg Prof. Dr. Jens Chr. Jensen, Hamburg Dr. Petra Kipphoff, Hamburg Dr. Ralph Köhnen, Bochum Prof. Kasper König, Köln Dr. Jochen Poetter, Köln Prof. Dr. Wieland Schmied, A-Vorchdorf Prof. Dr. Manfred Schneckenburger, Köln Prof. Dr. Uwe M. Schneede, Hamburg Dr. Pamela C. Scorzin, I-Mailand Dr. Dierk Stemmler, Mönchengladbach Prof. Dr. Karin Stempel, Kassel Prof. Dr. Eduard Trier, Bonn Dr. Rolf Wedewer, Leverkusen Dr. Christoph Zuschlag, Heidelberg/Berlin Prof. Dr. Armin Zweite, Düsseldorf Grafik Michael Müller Abonnement und Leserservice Zeitverlag Beteiligungs GmbH & Co. KG Nymphenburger Straße 84 Postfach 19 09 18 D-80609 München Telefon 0 89/12 69 90-0 ›Künstler‹ ist auch über den Buchhandel erhältlich Prepress Franzis print & media GmbH, München Druck Aumüller Druck KG, Regensburg Die Publikation und alle in ihr enthaltenen Beiträge und Abbildungen sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © Zeitverlag Beteiligungs GmbH & Co. KG, München 2006 Cover Critical Mass II, 1995 Gusseisen, 60 lebensgrosse Teile courtesy der Künstler und Jay Jopling/ White Cube ISSN 0934-1730 »Meine Arbeiten liegen an dem Punkt zwischen Ursprung und Werden. Zwischen Tod und Leben gibt es ein Moment der Stasis und der Stille, eine Zeit zum Nachdenken. Die Bildhauerei kann diese Zeit nutzen.« A. G. , o.J. Foto: Pete Moss/courtesy der Künstler und Jay Jopling/White Cube
Dörte Zbikowski über Antony Gormley Wenn Antony Gormley in Bezug zu Henry Moore oder Edvard Munch gesetzt wird2, so sagt dies nicht nur etwas über die Bedeutung des britischen Bildhauers im nationalen wie internationalen Kontext aus, sondern ist auch inhaltlich zu werten. Gormleys zentrales Thema ist der menschliche Körper, in dem sich Befindlichkeiten ausdrücken, noch ehe sie ins Bewusstsein vordringen. Mit Moore teilt er neben der Nähe von Natur und Figur das Interesse am Wechselspiel zwischen innerer und äußerer Form. Gormley setzt all dies als eine dynamische Beziehung von Raum innerhalb und außerhalb des Körpers um. Mit Munch verbindet ihn die psychologische Durchdringung von Mensch und Raum. Hier wie dort liegt der Schwerpunkt auf einer Erfassung von Empfindungen, die nicht durch erzählerische Mittel darstellbar sind. Entsprechend versteht er den menschlichen Körper als Gefühlsträger, im Gegensatz zu Objekten, die von Wissen und Denkvorgängen zeugen. Ausgehend von sich selbst, also seinem eigenen Körper und seinen eigenen Erfahrungen und Gefühlen, will er Skulpturen schaffen, die etwas über das Leben an sich erzählen. »Für mich«, so Gormley, »ist die beste Kunst diejenige, die einen beharrlich dazu bringt, sich von ihr abzuwenden und die Existenz mit Fähigkeiten zu betrachten, über die man vorher nicht verfügte.«3 Bekannt geworden ist Gormley Anfang der 1980er Jahre mit seinen lebensgroßen Bleifiguren, die ebenso vertraut wie befremdlich wirken. Stehend, sitzend, liegend, kauernd, kniend, schreitend verkörpern sie menschliche Haltungen. Sie scheinen im Akt des Handelns innezuhalten oder ruhend über ihr Dasein zu reflektieren. Gormley sucht innere Befindlichkeiten darzustellen, worauf auch die Titel hinweisen. Hockende nennt er zum Beispiel ›Box (Behältnis)‹ (1983) und ›Night (Nacht)‹ (1983), einen Liegenden mit hochgestreckten Armen ›Reach (Ausstrecken/Erfassen)‹ (1983/84), einen mit leicht angehobenen Armen ›Rise (Aufstehen)‹ (1983-85). Stehende sind zumeist in Bewegung erfasst, so etwa ›Address (Hinwenden/Mitteilung)‹ (1984), der leicht vorgebeugt in die Knie geht, oder ›Moment (Augenblick)‹ (1985), eine Figur auf Zehenspitzen. Daneben gibt es Figuren mit überproportionierten Gliedern, so ›Field (Bereich)‹ (1984/85) mit raumgreifend ausgestreckten Armen in dreifacher Länge oder ›Tree (Baum)‹, eine stehende Figur mit einem Hals in doppelter Körperlänge, der den Kopf raumerfahrend emporhebt. Andere Arbeiten wie ›Land, Sea and Air II (Land, Meer und Luft II)‹ (1982) bestehen aus drei Figuren in unterschiedlichen Posen, wobei die drei Grundhaltungen Stehen, Knien, Kauern die drei Elemente verkörpern. Ähnlich zeigen die drei Skulpturen von ›Three Places (Drei Orte, Stellungen)‹ (1983) einen Handlungsablauf. Zuweilen erzählt Gormley Geschichten, indem er Figuren mit Accessoires kombiniert. In ›Home (Haus/Zuhause)‹ (1984) liegt Mit körperlichen Mitteln von geistigen Zuständen sprechen1 die Figur mit seitlich ausgestreckten Armen auf dem Rücken, nimmt also eine durchaus offene, entspannte Haltung ein, aber ihr Kopf steckt in einem kleinen Terrakotta-Haus, das gerade mal so groß ist, dass er hineinpasst. Das Haus, Sinnbild der Geborgenheit, wird hier zum Ausdruck einer klaustrophobischen Erfahrung. Das Gefühl der Angst, verstanden als Existenz- oder Lebensangst, vermittelt sich auch in anderen Figuren (›Box‹, 1983; ›Untitled‹, 1983/84), wozu ihre grundsätzliche Isoliertheit, ihre Abkapselung vom Umraum entschieden beiträgt. Die Ummantelung aus Blei ist eine Hülle, die die Figur nicht nur erstarren lässt, sondern auch vor äußeren Einflüssen verschließt. Über sein Konzept sagt Gormley, es sei der »Versuch, eine Skulptur von innen heraus, unter Verwendung meines Körpers als Instrument und Material zu schaffen.«4 Allen Figuren liegt sein eigener Körper zugrunde. Er formt Teil für Teil in Gips ab, verstärkt sie mit Glasfaser und fügt sie zusammen. Durch dieses »Skelett« kann die Haltung der Figur präzise bestimmt werden. Mit getriebenen und aneinandergelöteten Bleiplatten umhüllt er sie sodann. Dieser Prozess bleibt in den Lötnähten sichtbar. Sie sind zugleich Hinweis auf die Zeitlichkeit und die Möglichkeit leichter Verschiebungen von körperlicher Haltung und Ausdrucksweise. Die Umhüllung ist eine glatte Haut in der eintönigen Anti-Farbe Grau. In der fertigen Skulptur umschließt der Bleimantel, worauf auch die Materialangaben der Skulpturen explizit verweisen, Luft. Diese ist gleichwohl als Lebensessenz zu verstehen. Zuweilen kann sie durch Löcher in Mund, Nase, Ohr oder Augen zirkulieren – oder als aufwärtsstrebende Energie entweichen – und verweist einmal mehr auf ein Innen und Außen (z.B. ›Land, Sea and Air II‹, 1982). Blei gilt seit der Antike als zauberkräftiges Metall, in den Religionen erscheint es als Wandlungssubstanz, und in der Alchemie kommt ihm die Bedeutung einer materia prima zu. In der Kunst wurde Blei seit den 1960er Jahren vielfach verwendet (Jannis Kounellis, Joseph Beuys), doch erst Gormley hat es zu seinem wesentlichen Material gemacht. »Ich verwende Blei aus folgenden Gründen: es isoliert und ist leicht zu bearbeiten, obwohl es ein sehr dichtes Metall ist. Es hat die Fähigkeit, eine einmal angenommene Form zu behalten und ist für das Auge und radioaktive Strahlen undurchdringlich.«5 Das Material schmiegt sich der Körperform an, nimmt ihr aber auch ihre Individualität. Auf Feingliederungen wie Gesichtszüge, Finger oder Zehen kann Gormley verzichten, da die Pose den Ausdruck bestimmt und ohnehin keine Assoziationen an bestimmte Personen heraufbeschworen werden sollen. Ablenkende Details werden geglättet, es sei denn, es kommt dem Künstler gerade auf das herausfordernde Herausstrecken der Zunge an wie in der späteren Arbeit ›Address (Hinwenden/Mitteilung)‹ von 1984. Grundsätzlich aber wird die Figur verallgemeinert, anonymisiert, und erhält – nicht zuletzt auch 3
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