Neue Szene Augsburg_2017-01
Das Stadtmagazin für Augsburg.
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<strong>Augsburg</strong>s<br />
1000 Meisterwerke<br />
Geistreiche Blicke auf eine verkannte Stadt<br />
von Professor Dr. Spätzle<br />
Tag&Nacht 19<br />
19<br />
Gute Vorsätze sind ein wenig wie hübsche<br />
Frauen, die man noch nicht kennt. Man hat<br />
eine recht genaue Vorstellung von ihnen,<br />
malt sich aus, wie es mit ihnen sein wird,<br />
was für ein großartiger Mensch man sein<br />
wird, wenn man sie für sich hat, wie glücklich<br />
das Leben sein wird. Das Problem bei<br />
beiden ist nur: So nahe die Sehnsucht ist, so<br />
fern ist die Erfüllung. Das kann einen in den<br />
Wahnsinn treiben, wenn man zuviel darüber<br />
nachdenkt, zum Glück tut man das aber nur<br />
selten, man verdrängt die Sehnsucht meist<br />
erfolgreich. Allein gegen Ende des Jahres,<br />
wenn man Bilanz zieht, wird man melancholisch.<br />
Dann tauchen vor dem inneren Auge in<br />
flinker Abfolge die Triumphe und die Niederlagen<br />
der letzten zwölf Monate auf und man<br />
denkt sich: Ach, herrje! Man wüsste so gut,<br />
was gut für einen wäre und erkennt immer<br />
wieder, dass dieses Wissen uns oft eher martert,<br />
als dass es uns bereichert.<br />
Das ist eben auch so eine Tragik des Menschseins.<br />
Sehnsucht und Erfüllung sind gefährlich.<br />
Daran dachte ich, als ich im Bismarckviertel die<br />
naturfreundliche Papiertüte im Mülleimer sah.<br />
Gerade im Bismarckviertel! Man sollte meinen,<br />
dass dort, im Hort der verantwortungsbewussten<br />
Öko-Hipster gute Vorsätze und Vernunft<br />
besonders gedeihen. Die Umwelt! Was wären<br />
wir nur ohne sie? Wahrscheinlich tot. Kein<br />
sehr erstrebenswerter Zustand. Wie gut ist es<br />
da, wenn man die Welt mittels Einkaufstüte<br />
rettet und dann abends auf der Couch sitzt<br />
und sich denkt: Ach, herrje! Schon wieder ein<br />
bisschen dem Planeten etwas Gutes getan,<br />
das ist schon schön.<br />
Aber es ist halt auch manchmal etwas mühsam.<br />
Seltsam. Gut zu sein ist überraschend<br />
oft mühsam. Man sollte denken, dass in einem<br />
guten Leben in einer guten Umwelt das<br />
Gutsein ein Kinderspiel ist, dass man dagegen<br />
viel mehr Anstrengungen unternehmen<br />
muss, wenn man etwas Böses tun will, zum<br />
Beispiel eine Plastiktüte kaufen. Aber in<br />
uns lauert eben doch etwas Rebellisches, ja,<br />
etwas Böses, das uns ganz leise zuflüstert:<br />
Scheiß auf die Vernunft, sei wild!<br />
So wird es sich wohl auch im Bismarckviertel<br />
zugetragen haben. Ich kann es mir gut<br />
vorstellen. Ein junger Familienvater in atmungsaktiver<br />
„North Face“-Jacke und sich<br />
des guten Vorsatzes die Natur zu schützen<br />
durchaus bewusst, hatte Streit mit seiner<br />
wunderschönen Frau, die gerne bei den Lokalhelden<br />
ihr veganes Süppchen isst und<br />
diesen wunderschönen zuversichtlich-unbeirrbaren<br />
Blick hat, den nur umweltbewusste<br />
Frauen haben können. Er hatte Streit mit ihr.<br />
Vielleicht hat er unachtsam eine der vielen<br />
ungeschriebenen sozial-ökologischen Regeln<br />
verletzt, oder er war, wie die meisten<br />
Männer, einfach schlampig im Haushalt und<br />
wütend rennt er aus der Altbauwohnung,<br />
die Papierumwelttüte noch in der Hand. Er<br />
rennt auf die Straße, schimpft in sich hinein,<br />
streunt durchs Viertel und will irgendwas kaputt<br />
machen. Aber was? Er ist ja, Streit hin,<br />
Streit her, ein verantwortungsvoller Mensch,<br />
er kann keinen Seitenspiegel kaputtreten<br />
und laut schreien auch nicht, weil man das<br />
nicht tut, und da merkt er, dass er diese neue<br />
Papiertüte noch in der Hand hat und dann<br />
reitet ihn der Teufel und er marschiert zum<br />
nächsten Mülleimer und wirft sie einfach hinein.<br />
Peng. Dann schaut er sich schnell um,<br />
ob ihn nicht jemand gesehen hat, keiner da,<br />
zum Glück, er nickt zufrieden und geht wieder<br />
heim zu Frau und Kind und kann stolz auf<br />
sein rebellisches, ungezähmtes Ich sein.