30 Zoom Mein Bett. Eine Liebeserklärung. Kürzlich habe ich einen Film gesehen, der mir die Augen geöffnet hat. Es geht um einen Mann, ein genießerischer französischer Landwirt, der nach dem Tod seiner allzu fleißigen Frau beschließt: Ich bleibe ab jetzt im Bett!
Zoom 31 D ie Leute im Dorf reagieren erst besorgt, dann zunehmend irritiert und am Ende sehr wütend auf den Entschluss des Bauern, schließlich stellt er ihren Fleiß und damit ihre Weltanschauung infrage. (In einem noch emsigeren Land wie zum Beispiel Japan hätte man ihn wahrscheinlich gleich gelyncht). Aber das macht ihm nichts aus. Er richtet sich in seinem Bett ein. Alle wichtigen Dinge des Lebens hat er in Reichweite, die Tuba, Bücher, Nachttopf. Und wenn er Hunger bekommt, schickt er seinen treuen Hund mit einem kleinem Körbchen im Maul zum Einkaufen. So lebt er fröhlich vor sich hin und verschmäht sogar eine schöne junge Frau, die ihn ehelichen will, kurz vor der Hochzeit aber einen bedenklichen Ehrgeiz und Geschäftssinn durchscheinen lässt, der, der Bauer ahnt es, ihn bald wieder aus dem Bett treiben würde. Was für ein Vorbild. Ich habe eingangs geschrieben, dass dieser Film mir die Augen geöffnet hat und erkenne jetzt schon ein ganz klein wenig, dass diese Formulierung einen Widerspruch beinhaltet. Denn im Bett geht es ja zu einem nicht unerheblichen Anteil darum, die Augen zu schließen statt sie zu öffnen und die meisten würden mir auch zustimmen, wenn ich sage, dass das Bett an sich einer der schönsten Orte der Welt ist. Zugleich fristet das Bett im Alltag ein gewisses Schattendasein. Sicher, über Sex wird gern geredet und alle experimentellen Trends in diesem Bereich. Aufzügen, Büschen und Bordtoiletten zum Trotz dürfte das Bett weiterhin der Ort sein, an dem am meisten Liebe gemacht wird. Es ist auch akzeptiert, wenn wir im Büro kokett stöhnen und uns das Bett herbeiwünschen. Was aber, wenn ich morgen in einem Gespräch nebenbei sagen würde: Die letzten Tage war ich einfach nur im Bett? Das Imageproblem des Bettes: Es wird als Selbstzweck einfach nicht akzeptiert. Bestenfalls würde mein Gegenüber vermuten, dass ich einen heftigen Rausch ausschlafen musste, oder am Tag davor und auch in der Nacht durchgearbeitet habe. Wahrscheinlich würde er aber in einer hinteren Ecke seines Hirns denken: Dieser faule Sack! Wenn ich dann noch sagen würde, dass ich von nun an noch öfter im Bett bleiben werde, wird man vermuten, dass ich arbeitslos oder depressiv bin. Das ist eben das Imageproblem des Bettes: Es wird als Selbstzweck einfach nicht akzeptiert. Erst wenn man etwas sehr Anstrengendes geleistet hat, darf man sich darin zur Ruhe begeben. Oder wenn Wochenende ist, dann ist es akzeptiert. Aber wieso nicht ganz im Bett bleiben? Schließlich gibt es keinen Ort auf dieser Welt, in dem wir so viele schöne Stunden erleben. Wir liegen in unbeschreiblich schöner Wärme unter der Decke, selbst ein Pupser erfüllt uns mit einem behaglichen Gefühl, wir träumen jede Nacht Dinge, die, würde man sie verfilmen, Meisterwerke wären, vielleicht etwas dadaistische Meisterwerke, aber doch Meisterwerke. Wir müssen uns auch nicht anziehen, wir können so sein, wie wir wirklich sind. Eigentlich müsste es viel mehr Bett-Selfies auf Facebook geben, aber es gibt sie nicht. Eigentlich müsste es Autos geben, die statt Rücksitzen ein Bett eingebaut haben, aber dem ist nicht so. Warum nicht? Man sollte doch meinen, dass ein Ort, an dem wir geboren werden, an dem wir die ehrlichsten (oder auch unehrlichsten) Gespräche führen, an dem wir (wenn wir es tun) Kinder zeugen und an dem wir wahrscheinlich unseren letzten Atemzug tun werden. Dass ein solcher Ort populärer ist, dass es ganz normal ist, wenn man ihm entgegenstrebt und innig liebt. Wahrscheinlich sagt unser Bett viel mehr über uns aus als unser Auto, unsere Couch und mitunter sogar mehr als unser Beruf. Größer als unser Mut, mehr Zeit mit und in unseren Betten zu verbringen, ist nur die Angst davor, als faul zu gelten. Ich sage „zu gelten“ nicht „faul zu sein“, denn, dass jeder normale Mensch gerne faul ist, hat schon der große Philosoph Arthur Schopenhauer erkannt und elegant ausformuliert: Faulheit ist nur für den Geistlosen ein Makel, für den Denkenden dagegen ist sie eine notwendige Zuflucht vor der Hast der Welt. Dass wir fürchten, als faul zu gelten, hat viel mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Zwängen zu tun. Adam und Eva durften noch ungeniert faul sein, keiner nahm es ihnen übel, am wenigsten Gott. Aber seit dem Sündenfall ging es entspannungsethisch konsequent bergab. In einer Gesellschaft, die sich über größtenteils über Arbeit und Erfolg definiert, ist Faulheit gleichbedeutend mit Versagen. Wer im Bett liegen bleibt, der gründet kein Start-up, der erfindet kein Mittel gegen Krebs, der erobert keine Länder. Wahr ist allerdings auch : So was gelingt von denen, die jeden Morgen um sechs aufstehen, auch kaum einem. Wer dagegen öfter liegen bleibt, richtet meist auch keinen großen Schaden an. Hitler, Stalin, Trump – wären sie alle einfach im Bett geblieben und hätten die Welt und deren Eroberung gegen Muse und Genuss im Bett getauscht, wäre der Welt unendlich viel Leid erspart geblieben. Ein berühmter Denker, ich glaube es war Blaise Pascal, sagte: Das ganze Unglück der Menschen rührt daher, dass sie nicht ruhig in einem Zimmer zu bleiben vermögen. Man könnte Zimmer auch durch Bett ersetzen. Stellen wir uns einmal vor, wir würden alle im Bett bleiben. Gut, es gibt ein paar Leute, die lieber weiter zur Arbeit gehen sollten, Atomkraftwerksmitarbeiter, Ärzte, Bäcker, aber all die anderen Menschen, die keiner existenziell wichtigen Arbeit nachgehen, und das sind die meisten von uns, all die könnten sich ihr kleines Paradies auf der Matratze schaffen. Wir müssten natürlich von irgendetwas leben, das ist mir klar, aber in Zukunft wird es sowieso immer weniger Arbeit geben und wenn irgendwann das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt wird, könnten wir uns zumindest materiell auf unsere Bettexistenz konzentrieren. Natürlich würden wir dennoch ab und zu aufstehen, um einen Spaziergang zu machen, aufs Klo zu gehen, Essen zu kaufen (außer wir haben einen gut dressierten Hund), aber erstaunlich viele Dinge des Alltags erledigen wir allein aus Gewohnheit nicht im Bett. Diesen Artikel entstand von hinten bis vorne in meinem Bett. Nehmen wir diesen Artikel hier. Er entstand von hinten bis vorne in meinem Bett. (Ich habe übrigens festgestellt, dass man im Liegen sehr gut schreiben kann, das haben die alten Römer auch so gehalten und es hat ihnen nicht geschadet.) Ist er deswegen schlechter als ein Artikel, der am Schreibtisch entstand? Doch wohl eher nicht. Wenn die Digitalisierung einen Segen für uns bereit hält, wenn wir mal kurz vergessen, dass sie uns womöglich arbeitslos macht, dann den, dass wir nicht mehr zwingend aufstehen müssen, um zu arbeiten. Womöglich wird die Zukunft zum ersten Mal seit es intelligentes Leben gibt den Faulpelzen gehören. Endlich könnte Darwins „Survival of the fittest“ mit „Gemütlichkeit im Bett“ versöhnt werden. Wozu soll man denn noch aktivistisch herumrennen, wenn immer mehr mit ein paar Klicks und Tastenhauern und künstlicher Intelligenz und Robotern erledigt werden kann? Als Beschäftigungstherapie vielleicht, ja, das könnte man noch akzeptieren. Mal eben im Garten ein paar Kartoffeln ernten, gähnen, die dösende Katze grüßen und dann wieder ab in die Kiste und Bettgeschichte schreiben. Nur, dass man im Bett vergleichsweise wenige neue Menschen kennenlernt, das ist ein Nachteil, das gebe ich zu. Dafür habe ich auch keine Lösung, außer vielleicht, man lernt jemanden kennen, mit dem man dann gerne möglichst viel Zeit im Bett verbringt, das kommt dem Paradies dann schon wieder recht nah.