Neue Szene Augsburg_2017-01
Das Stadtmagazin für Augsburg.
Das Stadtmagazin für Augsburg.
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
Zoom<br />
29<br />
Eigentlich sollte es ein politisches Interview mit Linus<br />
Förster werden, es hätte im November erscheinen<br />
sollen. Ein wenig Stadtpolitik, ein bisschen Landespolitik<br />
und ein Blick auf die Welt, die aus den Fugen<br />
ist. Eine Stunde vor dem Interviewtermin rief der Büroleiter<br />
Försters in der Redaktion der <strong>Neue</strong>n <strong>Szene</strong><br />
an und sagte mit belegter Stimme ab: Terminschwierigkeiten.<br />
Bis auf weiteres keine Zeit. Melden uns<br />
wieder wegen neuem Termin.<br />
Linus Förster selbst reagiere nicht auf Rückfragen<br />
und Mails. Ungewöhnlich für Förster, der normalerweise<br />
zuverlässig erreichbar ist. Diesmal lag der<br />
Fall anders, denn kurz davor hatte die Staatsanwaltschaft<br />
<strong>Augsburg</strong> die Wohnung und Büroräume Försters<br />
durchsucht. Der offizielle Grund: illegale Filmaufnahmen<br />
und Körperverletzung.<br />
Zuerst brachte die <strong>Augsburg</strong>er Online-Zeitung DAZ<br />
die Meldung. Ohne Details, ohne Spekulationen.<br />
Försters Stellungnahme war routiniert. Die Ermittlungen<br />
haben einen rein privaten Hintergrund, er<br />
werde mit der Staatsanwaltschaft kooperieren und<br />
sehe den Ermittlungen mit Gelassenheit entgegen.<br />
Dabei herrschte im Fall Förster sehr schnell eines sicher<br />
nicht: Gelassenheit.<br />
Die <strong>Augsburg</strong>er Allgemeine verhielt sich zunächst ein<br />
paar Stunden ruhig, doch dann kamen die Hintergrundinformationen<br />
in voller Wucht und ohne Rücksichtnahme<br />
auf das oft zitierte und selten respektierte<br />
Prinzip der Unschuldsvermutung. Detailliert wurde<br />
geschildert, wie Förster mit einer Prostituierten in<br />
Streit geriet, weil er sie ohne ihr Wissen filmen wollte,<br />
wie es zum Gerangel kam, zur Anzeige, zu den Ermittlungen,<br />
zur Hausdurchsuchung. Bemerkenswert gut<br />
informiert deutete die <strong>Augsburg</strong>er Allgemeine zudem<br />
an, die Ermittler hätten „dubiose Fotos“ gefunden,<br />
der Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten Edathy<br />
wurde vergleichsweise in den Raum gestellt, dieser<br />
wurde wegen Besitz von Kinderpornos angeklagt, das<br />
Verfahren wurde gegen Zahlung von 5000 EUR eingestellt.<br />
Schnell dementierte der Anwalt Försters, dass<br />
es bei den Ermittlungen um Kinderpornographie ginge.<br />
Aber der Verdacht stand im Raum und spätestens<br />
in diesem Moment war jedem politischen Beobachter<br />
klar, dass Förster politisch und gesellschaftlich tot ist,<br />
wenn sich nicht sehr schnell herausstellen sollte, dass<br />
er vollkommen unschuldig ist.<br />
Förster tauchte erstmal ab. Die <strong>Augsburg</strong>er SPD berief<br />
eilig eine Krisensitzung ein. Es ging um Schadensbegrenzung.<br />
Man gab sich bestürzt. Vertraute<br />
darauf, dass rechtlich geklärt würde, ob die Vorwürfe<br />
zutreffen. Hinter den Kulissen wartete man freilich<br />
darauf, dass Förster Konsequenzen zieht. Mindestens<br />
sollte er seine Ämter ruhen lassen, besser noch von<br />
ihnen zurücktreten. An seine Unschuld glaubte kaum<br />
jemand und in der Öffentlichkeit geht es in solchen<br />
Situationen darum, möglichst schnell eine Brandmauer<br />
zwischen sich und dem Beschuldigten zu ziehen.<br />
Keine Partei will einen Sexualstraftäter als Parteichef<br />
und Landtagsabgeordneten in ihren Reihen haben,<br />
ob verurteilt oder verdächtigt, macht im medialen<br />
Schlagzeilensturm keinen großen Unterschied.<br />
Unkonventioneller Politiker, jugendlich<br />
im Auftreten<br />
Aber wieso schien der Fall so schnell so klar zu liegen?<br />
Linus Förster war schon immer ein unkonventioneller<br />
Politiker. Sehr jugendlich im Auftreten, Sänger<br />
in einer Band, Schauspieler bei der <strong>Augsburg</strong>er Theatergruppe<br />
„Bluespots Productions“ und ein Freund<br />
der Frauen. Wer ihn mochte, fand das sympathisch.<br />
Kein grauer, glattgebügelter Karrierehengst mit dem<br />
Charisma einer Büroklammer. Nah an den Menschen,<br />
umgänglich, locker. Wer ihn nicht mochte, fand gerade<br />
diese Eigenschaften verdächtig. Parteifeinde<br />
raunten immer wieder, dass er als Landtagsabgeordneter<br />
nicht viel bewegen würde, dass er in erster<br />
Linie Künstler mit einem gutbezahlten Zweitjob in<br />
der Politik sei, dass seine Nähe zu jungen Menschen,<br />
zum Künstlermilieu anrüchig sei, es wurde über Beziehungen<br />
zu Genossinen getuschelt. Man versuchte<br />
ihm die Landtagskandidatur streitig zu machen, er<br />
rettete sich mit einer hauchdünnen Mehrheit auf der<br />
Nominierungsveranstaltung. Förster war seitdem politisch<br />
angeschlagen, erledigt war er noch nicht.<br />
Das bedeutet natürlich nicht, dass es sich bei den<br />
jüngsten Vorgängen um eine politische Intrige handelt,<br />
gleichwohl ist unübersehbar, dass die mediale<br />
Hinrichtung Försters bemerkenswert schnell und aufwendig<br />
vollzogen wurde. Nach ein paar Tagen legte<br />
der Beschuldigte seine Parteiämter nieder, auch sein<br />
Landtagsmandat, selbst aus der SPD trat er aus. Das<br />
ließ eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder wurde<br />
ihm klargemacht, dass er in der Partei nicht mehr<br />
erwünscht sei, völlig unabhängig von der Unschuldsvermutung.<br />
Oder Förster wusste, dass bei den Ermittlungen<br />
die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sich<br />
erhärten und womöglich ausweiten würden.<br />
Musste er zu diesem Zeitpunkt wirklich zurücktreten,<br />
sein Mandat niederlegen, seine Partei verlassen? Es<br />
war abermals die <strong>Augsburg</strong>er Allgemeine, die Position<br />
bezog und, noch vor dem Gericht, ein Urteil sprach.<br />
Die Frage beim Fall Förster sei, so ein Kommentator,<br />
keine rechtliche, sondern eine moralische. Eine<br />
überraschende These. Wenn man dieser Logik folgte,<br />
wären die rechtlichen Vorwürfe gegen Förster nicht<br />
ausreichend für einen Rücktritt, die moralischen Aspekte<br />
würden diesen aber durchaus rechtfertigen.<br />
Vor der amtlichen Feststellung einer Schuld wurde<br />
demnach aus dem Bauch und dem Herzen schon einmal<br />
moralisch geurteilt. Nicht nur in Parteikreisen<br />
und der Zeitung, auch in den sogenannten sozialen<br />
Medien erhob sich ein Shitstorm.<br />
Man kann vieles von dem nicht zitieren, was Förster<br />
dort vorgeworfen wurde und was für grausame<br />
Bestrafungen und Foltermethoden sich viele für ihn<br />
dort wünschten. Auf jeden Fall zeigt der Fall Förster<br />
eindringlich, dass das Prinzip der Unschuldsvermutung<br />
noch nie so wichtig war wie heute, wo das<br />
Urteil der Öffentlichkeit tausendfach, in kürzester<br />
Zeit und auf den verschiedensten Kanälen und Plattformen<br />
gesprochen wird, lange bevor der eigentliche<br />
juristische Prozess der Wahrheitsfindung begonnen<br />
hat. Damit ist noch nichts über die Schuld oder die<br />
Unschuld Förster ausgesagt.<br />
„Freiheit ist das, was die anderen nicht<br />
über dich wissen!“<br />
Es kann, Stand heute, sein, dass er am Ende als völlig<br />
unschuldiger Mann rehabilitiert werden wird. Ebenso<br />
gut kann es sein, dass alle Vorwürfe, die gegen ihn<br />
im Raum stehen, zutreffen und er von einem Gericht<br />
dafür verurteilt wird. Die soziale, wirtschaftliche und<br />
politische Strafe trifft Förster indes schon jetzt.<br />
Nach langem Schweigen war Förster bereit, mit der<br />
<strong>Neue</strong>n <strong>Szene</strong> über das Geschehene zu reden. Im<br />
Gespräch zeigte sich, dass er nicht verstand, wieso<br />
gegen ihn so „intensiv und so hart“ ermittelt werde,<br />
während man bei „betrunkenen und prügelnden CSU-<br />
Politikern“ nicht einmal deren Namen nennen würde.<br />
Trotzig postete er auf Facebook ein neues Profilbild,<br />
auf dem er vor einer vergitterten Tür zu sehen ist,<br />
sein neues Titelfoto zeigte eine Auswahl von Porträtfotos,<br />
die ihn als Kind, Heranwachsender, junger<br />
Mann und aktuell zeigen, dazu den Spruch: „Freiheit<br />
ist das, was die anderen nicht über dich wissen!“<br />
Die Freiheit Försters ist inzwischen allerdings Vergangenheit.<br />
Kurz nach dem Gespräch wurde er<br />
verhaftet wegen „schweren sexuellen Missbrauchs<br />
einer widerstandsunfähigen Person, Verletzung des<br />
höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen,<br />
vorsätzlicher Körperverletzung und Besitzes<br />
kinderpornographischer Schriften“, so die Staatsanwaltschaft<br />
<strong>Augsburg</strong>.