28 Zoom Der Fall Linus Förster Das tragische Ende einer politischen Karriere Als die Staatsanwaltschaft gegen ihn ermittelte, trat der bisherige SPD-Landtagsabgeordnete von allen politischen Ämtern zurück. Ein Blick auf das tragische Ende einer ungewöhnlichen politischen Karriere. Von Marcus Ertle
Zoom 29 Eigentlich sollte es ein politisches Interview mit Linus Förster werden, es hätte im November erscheinen sollen. Ein wenig Stadtpolitik, ein bisschen Landespolitik und ein Blick auf die Welt, die aus den Fugen ist. Eine Stunde vor dem Interviewtermin rief der Büroleiter Försters in der Redaktion der <strong>Neue</strong>n <strong>Szene</strong> an und sagte mit belegter Stimme ab: Terminschwierigkeiten. Bis auf weiteres keine Zeit. Melden uns wieder wegen neuem Termin. Linus Förster selbst reagiere nicht auf Rückfragen und Mails. Ungewöhnlich für Förster, der normalerweise zuverlässig erreichbar ist. Diesmal lag der Fall anders, denn kurz davor hatte die Staatsanwaltschaft <strong>Augsburg</strong> die Wohnung und Büroräume Försters durchsucht. Der offizielle Grund: illegale Filmaufnahmen und Körperverletzung. Zuerst brachte die <strong>Augsburg</strong>er Online-Zeitung DAZ die Meldung. Ohne Details, ohne Spekulationen. Försters Stellungnahme war routiniert. Die Ermittlungen haben einen rein privaten Hintergrund, er werde mit der Staatsanwaltschaft kooperieren und sehe den Ermittlungen mit Gelassenheit entgegen. Dabei herrschte im Fall Förster sehr schnell eines sicher nicht: Gelassenheit. Die <strong>Augsburg</strong>er Allgemeine verhielt sich zunächst ein paar Stunden ruhig, doch dann kamen die Hintergrundinformationen in voller Wucht und ohne Rücksichtnahme auf das oft zitierte und selten respektierte Prinzip der Unschuldsvermutung. Detailliert wurde geschildert, wie Förster mit einer Prostituierten in Streit geriet, weil er sie ohne ihr Wissen filmen wollte, wie es zum Gerangel kam, zur Anzeige, zu den Ermittlungen, zur Hausdurchsuchung. Bemerkenswert gut informiert deutete die <strong>Augsburg</strong>er Allgemeine zudem an, die Ermittler hätten „dubiose Fotos“ gefunden, der Fall des SPD-Bundestagsabgeordneten Edathy wurde vergleichsweise in den Raum gestellt, dieser wurde wegen Besitz von Kinderpornos angeklagt, das Verfahren wurde gegen Zahlung von 5000 EUR eingestellt. Schnell dementierte der Anwalt Försters, dass es bei den Ermittlungen um Kinderpornographie ginge. Aber der Verdacht stand im Raum und spätestens in diesem Moment war jedem politischen Beobachter klar, dass Förster politisch und gesellschaftlich tot ist, wenn sich nicht sehr schnell herausstellen sollte, dass er vollkommen unschuldig ist. Förster tauchte erstmal ab. Die <strong>Augsburg</strong>er SPD berief eilig eine Krisensitzung ein. Es ging um Schadensbegrenzung. Man gab sich bestürzt. Vertraute darauf, dass rechtlich geklärt würde, ob die Vorwürfe zutreffen. Hinter den Kulissen wartete man freilich darauf, dass Förster Konsequenzen zieht. Mindestens sollte er seine Ämter ruhen lassen, besser noch von ihnen zurücktreten. An seine Unschuld glaubte kaum jemand und in der Öffentlichkeit geht es in solchen Situationen darum, möglichst schnell eine Brandmauer zwischen sich und dem Beschuldigten zu ziehen. Keine Partei will einen Sexualstraftäter als Parteichef und Landtagsabgeordneten in ihren Reihen haben, ob verurteilt oder verdächtigt, macht im medialen Schlagzeilensturm keinen großen Unterschied. Unkonventioneller Politiker, jugendlich im Auftreten Aber wieso schien der Fall so schnell so klar zu liegen? Linus Förster war schon immer ein unkonventioneller Politiker. Sehr jugendlich im Auftreten, Sänger in einer Band, Schauspieler bei der <strong>Augsburg</strong>er Theatergruppe „Bluespots Productions“ und ein Freund der Frauen. Wer ihn mochte, fand das sympathisch. Kein grauer, glattgebügelter Karrierehengst mit dem Charisma einer Büroklammer. Nah an den Menschen, umgänglich, locker. Wer ihn nicht mochte, fand gerade diese Eigenschaften verdächtig. Parteifeinde raunten immer wieder, dass er als Landtagsabgeordneter nicht viel bewegen würde, dass er in erster Linie Künstler mit einem gutbezahlten Zweitjob in der Politik sei, dass seine Nähe zu jungen Menschen, zum Künstlermilieu anrüchig sei, es wurde über Beziehungen zu Genossinen getuschelt. Man versuchte ihm die Landtagskandidatur streitig zu machen, er rettete sich mit einer hauchdünnen Mehrheit auf der Nominierungsveranstaltung. Förster war seitdem politisch angeschlagen, erledigt war er noch nicht. Das bedeutet natürlich nicht, dass es sich bei den jüngsten Vorgängen um eine politische Intrige handelt, gleichwohl ist unübersehbar, dass die mediale Hinrichtung Försters bemerkenswert schnell und aufwendig vollzogen wurde. Nach ein paar Tagen legte der Beschuldigte seine Parteiämter nieder, auch sein Landtagsmandat, selbst aus der SPD trat er aus. Das ließ eigentlich nur zwei Schlüsse zu: Entweder wurde ihm klargemacht, dass er in der Partei nicht mehr erwünscht sei, völlig unabhängig von der Unschuldsvermutung. Oder Förster wusste, dass bei den Ermittlungen die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft sich erhärten und womöglich ausweiten würden. Musste er zu diesem Zeitpunkt wirklich zurücktreten, sein Mandat niederlegen, seine Partei verlassen? Es war abermals die <strong>Augsburg</strong>er Allgemeine, die Position bezog und, noch vor dem Gericht, ein Urteil sprach. Die Frage beim Fall Förster sei, so ein Kommentator, keine rechtliche, sondern eine moralische. Eine überraschende These. Wenn man dieser Logik folgte, wären die rechtlichen Vorwürfe gegen Förster nicht ausreichend für einen Rücktritt, die moralischen Aspekte würden diesen aber durchaus rechtfertigen. Vor der amtlichen Feststellung einer Schuld wurde demnach aus dem Bauch und dem Herzen schon einmal moralisch geurteilt. Nicht nur in Parteikreisen und der Zeitung, auch in den sogenannten sozialen Medien erhob sich ein Shitstorm. Man kann vieles von dem nicht zitieren, was Förster dort vorgeworfen wurde und was für grausame Bestrafungen und Foltermethoden sich viele für ihn dort wünschten. Auf jeden Fall zeigt der Fall Förster eindringlich, dass das Prinzip der Unschuldsvermutung noch nie so wichtig war wie heute, wo das Urteil der Öffentlichkeit tausendfach, in kürzester Zeit und auf den verschiedensten Kanälen und Plattformen gesprochen wird, lange bevor der eigentliche juristische Prozess der Wahrheitsfindung begonnen hat. Damit ist noch nichts über die Schuld oder die Unschuld Förster ausgesagt. „Freiheit ist das, was die anderen nicht über dich wissen!“ Es kann, Stand heute, sein, dass er am Ende als völlig unschuldiger Mann rehabilitiert werden wird. Ebenso gut kann es sein, dass alle Vorwürfe, die gegen ihn im Raum stehen, zutreffen und er von einem Gericht dafür verurteilt wird. Die soziale, wirtschaftliche und politische Strafe trifft Förster indes schon jetzt. Nach langem Schweigen war Förster bereit, mit der <strong>Neue</strong>n <strong>Szene</strong> über das Geschehene zu reden. Im Gespräch zeigte sich, dass er nicht verstand, wieso gegen ihn so „intensiv und so hart“ ermittelt werde, während man bei „betrunkenen und prügelnden CSU- Politikern“ nicht einmal deren Namen nennen würde. Trotzig postete er auf Facebook ein neues Profilbild, auf dem er vor einer vergitterten Tür zu sehen ist, sein neues Titelfoto zeigte eine Auswahl von Porträtfotos, die ihn als Kind, Heranwachsender, junger Mann und aktuell zeigen, dazu den Spruch: „Freiheit ist das, was die anderen nicht über dich wissen!“ Die Freiheit Försters ist inzwischen allerdings Vergangenheit. Kurz nach dem Gespräch wurde er verhaftet wegen „schweren sexuellen Missbrauchs einer widerstandsunfähigen Person, Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen, vorsätzlicher Körperverletzung und Besitzes kinderpornographischer Schriften“, so die Staatsanwaltschaft <strong>Augsburg</strong>.