13.01.2017 Aufrufe

Bobinger Gesichten Juni 2016

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

SO GEHT’S BOBINGEN ZUA<br />

ERINNERUNGEN<br />

SelteneGästeimPalast-Hotel<br />

Die Autorin Lotte Prechter-Kahle wuchs als Enkeltochter des seinerzeit<br />

in Bobingen Dienst tuenden fürstlich-fuggerischen Revierjägers<br />

Maximilian Kahle auf. Die Familie des Revierjägers mit neun Kindern<br />

hatte Quartier im Unteren Schlösschen und es mit dem schmalen<br />

Verdienst des Vaters nicht immer leicht. Die Erlebnisse und Erinnerungen<br />

ihrer Familie verarbeitete Lotte Prechter-Kahle in einigen Erzählungen,<br />

die die damalige Zeit widerspiegeln und in den nächsten Ausgaben<br />

der „<strong>Bobinger</strong> Geschichte(n)“ zu lesen sein werden. Die Erzählungen<br />

bekamen die „<strong>Bobinger</strong> Geschichte(n)“ von Cilly Kahle, deren Vater<br />

der „Gustl“ war und die Miez war ihre Tante Maria.<br />

Inningen,durch das damals noch<br />

ländliche Göggingen.Schließlich<br />

kamen sie müde und voller Durst<br />

im Fuggerhaus in der Maximilianstraße<br />

an, schlichen schüchtern<br />

durch das vornehme Portal des<br />

Hauses und gaben bei der Jungfer<br />

Köchin ihren Rehschlegel ab.<br />

EinTrinkgeld<br />

zumLohn<br />

Das Untere Schlösschen in Bobingen war Heimat von Gustl und Miez.<br />

Von Lotte Prechter-Kahle<br />

Ich glaube,ich habe es schon einmal<br />

erzählt,dass mein Großvater<br />

als Förster des Fürsten Fugger im<br />

alten Schlössl zu Bobingen wohnte.Bei<br />

siebzig Goldmark Monatseinkommen<br />

und neun Kindern<br />

bedurfte es damals schon drakonischer<br />

Sparmaßnahmen, damit<br />

die Kasse im alten Schlössl einigermaßen<br />

stimmte. Eine dieser<br />

„Notverordnungen“ war, dass<br />

sämtliche Kinderschuhe am ersten<br />

Mai spurlos verschwanden<br />

und erst wieder am 15.September<br />

zumVorschein kamen.<br />

Bild: Anja Fischer<br />

Es passierte aber nicht selten,dass<br />

man in der fürstlichen Küche, sei<br />

es auf dem nahen Schloss Wellenburg<br />

oder im altehrwürdigen<br />

Fuggerhaus zu Augsburg Wildbret<br />

brauchte. Dafür war der<br />

Förster von Bobingen zuständig.<br />

Für den Transport waren genug<br />

Kinder da und es wurde immer<br />

schön ordentlich abgewechselt,<br />

denn eine Fußreise in die Stadt<br />

kam gleich hinter der Weihnachtsfreude.<br />

Das Geld für die<br />

Fahrt mit der Eisenbahn wurde<br />

selbstverständlich eingespart und<br />

so traten an einem schönen Sommermorgen<br />

der Gustl und die<br />

Miez barfuß den zwölf Kilometer<br />

langen Weg nach Augsburg an,<br />

denn auf dem fürstlichen Speisezettel<br />

sollte demnächst Rehschlegel<br />

stehen. Also machten sich die<br />

zwei – nein,nicht auf die Socken,<br />

sondern nach oft geübter Sitte,<br />

barfuß auf die große Reise. Dem<br />

flinken Lauf derWertach entlang,<br />

führte der Weg vorbei am Dorf<br />

„Ihr seid aber brav … recht heiß<br />

gewesen, gell, da habt ihr ein<br />

Trinkgeld, kauft euch irgendwo<br />

eine Limonade!“ So sprach die<br />

fürstliche Küchenfee und überreichte<br />

ihnen eine Mark. Eine<br />

ganze Mark! Das war für die zwei<br />

aus dem alten Schlössl zu damaliger<br />

Zeit ein Vermögen. Die beiden<br />

Barfüßler überlegten sich<br />

draußen auf der Straße nicht lange,wo<br />

sie einkehren wollten,sondern<br />

lenkten ihre unbekleideten<br />

Füße pfeilgrad auf das Palasthotel<br />

„Drei Mohren“,das seit eh und je<br />

als Augsburgs exklusivstes Hotel<br />

galt.Ha,warum auch nicht – hatten<br />

sie nicht das Vermögen von<br />

einer Mark im Sack?<br />

Entschlossen tippelten der Gustl<br />

und das Miezerl durch das gewaltige<br />

Portal, betraten unverzagt einen<br />

gold- und silberblitzenden<br />

Saal und versanken in traumhaften<br />

Sesseln. Doch kaum hatten<br />

sie die staubbedeckten Beine unter<br />

dem feinenTisch ausgestreckt,<br />

da kam auch schon ein schwarzbefrackter<br />

Ober angesaust,wedelte<br />

unheilvoll mit seiner schneeweißen<br />

Serviette und fragte geharnischt:<br />

„Was wollt denn ihr<br />

zwei da?“ „Eine Limonad!“ kam<br />

44 BOBINGER GESCHICHTE(N), Band 6,<strong>Juni</strong> <strong>2016</strong>

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!