Bobinger Gesichten Juni 2016
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SO GEHT’S BOBINGEN ZUA<br />
ERINNERUNGEN<br />
SelteneGästeimPalast-Hotel<br />
Die Autorin Lotte Prechter-Kahle wuchs als Enkeltochter des seinerzeit<br />
in Bobingen Dienst tuenden fürstlich-fuggerischen Revierjägers<br />
Maximilian Kahle auf. Die Familie des Revierjägers mit neun Kindern<br />
hatte Quartier im Unteren Schlösschen und es mit dem schmalen<br />
Verdienst des Vaters nicht immer leicht. Die Erlebnisse und Erinnerungen<br />
ihrer Familie verarbeitete Lotte Prechter-Kahle in einigen Erzählungen,<br />
die die damalige Zeit widerspiegeln und in den nächsten Ausgaben<br />
der „<strong>Bobinger</strong> Geschichte(n)“ zu lesen sein werden. Die Erzählungen<br />
bekamen die „<strong>Bobinger</strong> Geschichte(n)“ von Cilly Kahle, deren Vater<br />
der „Gustl“ war und die Miez war ihre Tante Maria.<br />
Inningen,durch das damals noch<br />
ländliche Göggingen.Schließlich<br />
kamen sie müde und voller Durst<br />
im Fuggerhaus in der Maximilianstraße<br />
an, schlichen schüchtern<br />
durch das vornehme Portal des<br />
Hauses und gaben bei der Jungfer<br />
Köchin ihren Rehschlegel ab.<br />
EinTrinkgeld<br />
zumLohn<br />
Das Untere Schlösschen in Bobingen war Heimat von Gustl und Miez.<br />
Von Lotte Prechter-Kahle<br />
Ich glaube,ich habe es schon einmal<br />
erzählt,dass mein Großvater<br />
als Förster des Fürsten Fugger im<br />
alten Schlössl zu Bobingen wohnte.Bei<br />
siebzig Goldmark Monatseinkommen<br />
und neun Kindern<br />
bedurfte es damals schon drakonischer<br />
Sparmaßnahmen, damit<br />
die Kasse im alten Schlössl einigermaßen<br />
stimmte. Eine dieser<br />
„Notverordnungen“ war, dass<br />
sämtliche Kinderschuhe am ersten<br />
Mai spurlos verschwanden<br />
und erst wieder am 15.September<br />
zumVorschein kamen.<br />
Bild: Anja Fischer<br />
Es passierte aber nicht selten,dass<br />
man in der fürstlichen Küche, sei<br />
es auf dem nahen Schloss Wellenburg<br />
oder im altehrwürdigen<br />
Fuggerhaus zu Augsburg Wildbret<br />
brauchte. Dafür war der<br />
Förster von Bobingen zuständig.<br />
Für den Transport waren genug<br />
Kinder da und es wurde immer<br />
schön ordentlich abgewechselt,<br />
denn eine Fußreise in die Stadt<br />
kam gleich hinter der Weihnachtsfreude.<br />
Das Geld für die<br />
Fahrt mit der Eisenbahn wurde<br />
selbstverständlich eingespart und<br />
so traten an einem schönen Sommermorgen<br />
der Gustl und die<br />
Miez barfuß den zwölf Kilometer<br />
langen Weg nach Augsburg an,<br />
denn auf dem fürstlichen Speisezettel<br />
sollte demnächst Rehschlegel<br />
stehen. Also machten sich die<br />
zwei – nein,nicht auf die Socken,<br />
sondern nach oft geübter Sitte,<br />
barfuß auf die große Reise. Dem<br />
flinken Lauf derWertach entlang,<br />
führte der Weg vorbei am Dorf<br />
„Ihr seid aber brav … recht heiß<br />
gewesen, gell, da habt ihr ein<br />
Trinkgeld, kauft euch irgendwo<br />
eine Limonade!“ So sprach die<br />
fürstliche Küchenfee und überreichte<br />
ihnen eine Mark. Eine<br />
ganze Mark! Das war für die zwei<br />
aus dem alten Schlössl zu damaliger<br />
Zeit ein Vermögen. Die beiden<br />
Barfüßler überlegten sich<br />
draußen auf der Straße nicht lange,wo<br />
sie einkehren wollten,sondern<br />
lenkten ihre unbekleideten<br />
Füße pfeilgrad auf das Palasthotel<br />
„Drei Mohren“,das seit eh und je<br />
als Augsburgs exklusivstes Hotel<br />
galt.Ha,warum auch nicht – hatten<br />
sie nicht das Vermögen von<br />
einer Mark im Sack?<br />
Entschlossen tippelten der Gustl<br />
und das Miezerl durch das gewaltige<br />
Portal, betraten unverzagt einen<br />
gold- und silberblitzenden<br />
Saal und versanken in traumhaften<br />
Sesseln. Doch kaum hatten<br />
sie die staubbedeckten Beine unter<br />
dem feinenTisch ausgestreckt,<br />
da kam auch schon ein schwarzbefrackter<br />
Ober angesaust,wedelte<br />
unheilvoll mit seiner schneeweißen<br />
Serviette und fragte geharnischt:<br />
„Was wollt denn ihr<br />
zwei da?“ „Eine Limonad!“ kam<br />
44 BOBINGER GESCHICHTE(N), Band 6,<strong>Juni</strong> <strong>2016</strong>