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grÜn<br />
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Fahrt ins grüne<br />
Erlebnisbericht oder das Polykum auf Abwegen.<br />
Eine Groteske in 5 Akten. Fünf dödel an einem ort im nirgendwo: Alice Schwarzer, die Couragie<br />
Von Oriana Schällibaum<br />
Personen:<br />
alice Schwarzer (Ivana)<br />
Die Beobachtende (Oriana)<br />
Die Couragierte (Magdalena)<br />
Der denker (Raphael)<br />
Der enthusiastische (Lucas)<br />
Der Fotograf (Hannes)<br />
g (absent)<br />
H (desertiert)<br />
i (beurlaubt)<br />
J (unsichtbar)<br />
d. k. (Die doppelte Kontingenz)<br />
Zeit: Sonntag, 8. März 2009<br />
Handlung: Nebensächlich.<br />
Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist<br />
höchst unwahrscheinlich.<br />
1. akt – ’Cross the green mountain<br />
Teils verkatert, teils müde, teils erwartungsvoll<br />
lässt sich eine Gruppe von sechs jungen Leuten<br />
im Linienbus von Wetzikon nach Oetwil am See<br />
hin und her schütteln. Wohin fahren sie? Was<br />
erwartet sie? Im Gerüttle und Geschaukle des<br />
Buses an dem grauen Sonntagvormittag sieht<br />
die Landschaft, die draussen vorbeizieht, wenig<br />
vielversprechend aus.<br />
E (enthusiastisch): Da! Grün! Eine Wiese.<br />
B (mürrisch): Pah! Ich bin schon ganz grün im<br />
Gesicht. Mir wird übel beim Busfahren.<br />
F (unterbricht sie): Da! Das Ortsschild! Wir<br />
sind da!<br />
Aufregung, alle drängeln sich ans Fenster, nur<br />
A liest seelenruhig weiter ihren Luhmann. In<br />
«Grüningen, Stedtli» stolpert die Gruppe aus<br />
dem Bus, schaut sich um. Ein mittelalterlicher,<br />
enger Platz, ein weisses Haus, offenbar die<br />
Zehntenscheune der Landvogtei seit 1552, ein<br />
grosses Riegelhaus. Niemand zu sehen.<br />
C (skeptisch): Hm. Das ist also der Ort, der<br />
herhalten muss für unsere Grün-Ausgabe.<br />
A (murmelt): Wessen Idee war das bloss. Und<br />
wo ist das Restaurant.<br />
F (kramt in seinen Unterlagen): Gemeinde<br />
Grüningen: 2886 Einwohner, durchschnittliches<br />
Reineinkommen natürliche Personen<br />
57654 CHF. Anteil SVP in den Nationalratswahlen<br />
2007 43,5 Prozent, Grüne 9,4 Prozent,<br />
Grünliberale 6,6 Prozent. 837 Motorfahrzeuge<br />
pro 1000 Einwohner, Altpapier pro<br />
Kopf: 62 Kilogramm.<br />
D (etwas abseits von den anderen, staunt die<br />
Häuser an, nachdenklich): Wir sind an einem<br />
Ort im Nirgendwo gelandet.<br />
2. akt – die kirche<br />
In der Ratlosigkeit, die sich breit macht, versucht<br />
der Enthusiastische die Gruppe zu motivieren:<br />
E: Die Jagd nach Sehenswürdigkeiten ist eröffnet!<br />
Da geht’s zum Schloss. Bestimmt aus<br />
dem 13. Jahrhundert. Ha, imposant!<br />
Umfassungsmauern umgeben die Burg, gegen<br />
Süden ist der Schlossgraben aufgefüllt. Vom<br />
Kirchenvorplatz bietet sich eine fantastische<br />
Aussicht auf die flachwellige Talsenke zwischen<br />
Pfannenstiel und Bachtel. Angrenzend an das<br />
Schloss: Die Kirche, ein unspektakulärer Bau,<br />
nach einem Brand wiederaufgebaut 1977. Die<br />
Kirchglocken läuten ohrenbetäubend. Die sechs<br />
Neugierigen wagen sich durch das Portal.<br />
A: Hey! Der Pfarrer ist schwarz!<br />
D: Tatsächlich? Die Leute sind progressiv<br />
hier.<br />
B: Weltoffen, geradezu.<br />
F: Das ist übrigens der Vikar, nicht der<br />
Pfarrer.<br />
C: Was nützt diese Weltoffenheit, wenn keine<br />
Weltenbürger mehr da sind? Knappe zehn<br />
Kirchgänger haben wir gesehen.<br />
3. akt – Bestandesaufnahme<br />
Entlang der Stedtligasse, Richtung Osten.<br />
A (bewundernd): Die Grüninger Salzwaage!<br />
C (buchstabiert interessiert einen Spruch<br />
an einem versteckten Hauseingang): «Man<br />
trachtet so sehr nach Reichtum und Ehr,<br />
und wenn man’s erwirbt, so lässt man’s und<br />
stirbt.»<br />
D (philosophisch): Aha. Das ist charakteristisch<br />
für Grüningens Schicksal, das von vergangener<br />
Blüte und bitterer Moderne erzählt.<br />
E (begeistert): Ey! Eine Ampel! (Sie wechselt<br />
von Rot auf blinkendes Orange. E ist enttäuscht.<br />
Kein Grün.)<br />
F (trocken): Ein Beautysalon. Stilsicherer Vorstadtsmief.<br />
Die sieben machen rechtsumkehrt und spazieren<br />
zurück, am Friedhof vorbei, zur Brücke,<br />
unter welcher der Aabach in einem verhältnismässig<br />
wilden Tobel sprudelt. Vogelzwitschern.<br />
Polykum Nr.7/08–09 Bilder: Hannes Hübner