09.12.2012 Aufrufe

10% - VSETH - ETH Zürich

10% - VSETH - ETH Zürich

10% - VSETH - ETH Zürich

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

grÜn<br />

14<br />

Fahrt ins grüne<br />

Erlebnisbericht oder das Polykum auf Abwegen.<br />

Eine Groteske in 5 Akten. Fünf dödel an einem ort im nirgendwo: Alice Schwarzer, die Couragie<br />

Von Oriana Schällibaum<br />

Personen:<br />

alice Schwarzer (Ivana)<br />

Die Beobachtende (Oriana)<br />

Die Couragierte (Magdalena)<br />

Der denker (Raphael)<br />

Der enthusiastische (Lucas)<br />

Der Fotograf (Hannes)<br />

g (absent)<br />

H (desertiert)<br />

i (beurlaubt)<br />

J (unsichtbar)<br />

d. k. (Die doppelte Kontingenz)<br />

Zeit: Sonntag, 8. März 2009<br />

Handlung: Nebensächlich.<br />

Jegliche Ähnlichkeit mit lebenden Personen ist<br />

höchst unwahrscheinlich.<br />

1. akt – ’Cross the green mountain<br />

Teils verkatert, teils müde, teils erwartungsvoll<br />

lässt sich eine Gruppe von sechs jungen Leuten<br />

im Linienbus von Wetzikon nach Oetwil am See<br />

hin und her schütteln. Wohin fahren sie? Was<br />

erwartet sie? Im Gerüttle und Geschaukle des<br />

Buses an dem grauen Sonntagvormittag sieht<br />

die Landschaft, die draussen vorbeizieht, wenig<br />

vielversprechend aus.<br />

E (enthusiastisch): Da! Grün! Eine Wiese.<br />

B (mürrisch): Pah! Ich bin schon ganz grün im<br />

Gesicht. Mir wird übel beim Busfahren.<br />

F (unterbricht sie): Da! Das Ortsschild! Wir<br />

sind da!<br />

Aufregung, alle drängeln sich ans Fenster, nur<br />

A liest seelenruhig weiter ihren Luhmann. In<br />

«Grüningen, Stedtli» stolpert die Gruppe aus<br />

dem Bus, schaut sich um. Ein mittelalterlicher,<br />

enger Platz, ein weisses Haus, offenbar die<br />

Zehntenscheune der Landvogtei seit 1552, ein<br />

grosses Riegelhaus. Niemand zu sehen.<br />

C (skeptisch): Hm. Das ist also der Ort, der<br />

herhalten muss für unsere Grün-Ausgabe.<br />

A (murmelt): Wessen Idee war das bloss. Und<br />

wo ist das Restaurant.<br />

F (kramt in seinen Unterlagen): Gemeinde<br />

Grüningen: 2886 Einwohner, durchschnittliches<br />

Reineinkommen natürliche Personen<br />

57654 CHF. Anteil SVP in den Nationalratswahlen<br />

2007 43,5 Prozent, Grüne 9,4 Prozent,<br />

Grünliberale 6,6 Prozent. 837 Motorfahrzeuge<br />

pro 1000 Einwohner, Altpapier pro<br />

Kopf: 62 Kilogramm.<br />

D (etwas abseits von den anderen, staunt die<br />

Häuser an, nachdenklich): Wir sind an einem<br />

Ort im Nirgendwo gelandet.<br />

2. akt – die kirche<br />

In der Ratlosigkeit, die sich breit macht, versucht<br />

der Enthusiastische die Gruppe zu motivieren:<br />

E: Die Jagd nach Sehenswürdigkeiten ist eröffnet!<br />

Da geht’s zum Schloss. Bestimmt aus<br />

dem 13. Jahrhundert. Ha, imposant!<br />

Umfassungsmauern umgeben die Burg, gegen<br />

Süden ist der Schlossgraben aufgefüllt. Vom<br />

Kirchenvorplatz bietet sich eine fantastische<br />

Aussicht auf die flachwellige Talsenke zwischen<br />

Pfannenstiel und Bachtel. Angrenzend an das<br />

Schloss: Die Kirche, ein unspektakulärer Bau,<br />

nach einem Brand wiederaufgebaut 1977. Die<br />

Kirchglocken läuten ohrenbetäubend. Die sechs<br />

Neugierigen wagen sich durch das Portal.<br />

A: Hey! Der Pfarrer ist schwarz!<br />

D: Tatsächlich? Die Leute sind progressiv<br />

hier.<br />

B: Weltoffen, geradezu.<br />

F: Das ist übrigens der Vikar, nicht der<br />

Pfarrer.<br />

C: Was nützt diese Weltoffenheit, wenn keine<br />

Weltenbürger mehr da sind? Knappe zehn<br />

Kirchgänger haben wir gesehen.<br />

3. akt – Bestandesaufnahme<br />

Entlang der Stedtligasse, Richtung Osten.<br />

A (bewundernd): Die Grüninger Salzwaage!<br />

C (buchstabiert interessiert einen Spruch<br />

an einem versteckten Hauseingang): «Man<br />

trachtet so sehr nach Reichtum und Ehr,<br />

und wenn man’s erwirbt, so lässt man’s und<br />

stirbt.»<br />

D (philosophisch): Aha. Das ist charakteristisch<br />

für Grüningens Schicksal, das von vergangener<br />

Blüte und bitterer Moderne erzählt.<br />

E (begeistert): Ey! Eine Ampel! (Sie wechselt<br />

von Rot auf blinkendes Orange. E ist enttäuscht.<br />

Kein Grün.)<br />

F (trocken): Ein Beautysalon. Stilsicherer Vorstadtsmief.<br />

Die sieben machen rechtsumkehrt und spazieren<br />

zurück, am Friedhof vorbei, zur Brücke,<br />

unter welcher der Aabach in einem verhältnismässig<br />

wilden Tobel sprudelt. Vogelzwitschern.<br />

Polykum Nr.7/08–09 Bilder: Hannes Hübner

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!