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s'Positive Magazin 01.2017

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MAFIA<br />

in die höchsten Kreise. Jeder beruft sich auf<br />

persönliche Beziehungen und Empfehlungen,<br />

erwidert bereitwillig einen Gefallen,<br />

weil man weiss, dass auf diesem System von<br />

Geben und Nehmen letztlich die ganze sizilianische<br />

Gesellschaft beruht. Jemandem<br />

einen Gefallen zu verweigern, kann tödlich<br />

sein.<br />

Dank der Mafialiteratur weiss ich, dass<br />

Corleone die unumstrittene «Hauptstadt der<br />

Mafia» ist. Berühmte Mafiosi wie Luciano<br />

Liggio, Salvatore Riina oder Bernardo Provenzano<br />

stammen aus dem Ort. Richtig berühmt<br />

geworden ist Corleone aber durch<br />

den eingangs erwähnten Film «Der Pate».<br />

In den Kaffee-Bars reden die Leute gerne mit den Besuchern.<br />

Zur Mafia allerdings haben sie nicht viel zu sagen.<br />

REISE INS HERZ DER FINSTERNIS<br />

Wie ist es dort, wo die Mafia herkommt, in<br />

Corleone auf Sizilien? Von wo sich die Mafia<br />

angeblich über die ganze Welt ausgebreitet<br />

hat? Die Reise nach Sizilien beginnt mit einem<br />

Flug nach Palermo und der Mietwagenübernahme<br />

auf dem Flughafen. Corleone<br />

liegt etwa 50 Kilometer südlich von Palermo<br />

und ist mit knapp 12 000 Einwohnern kleiner<br />

als Langenthal, aber wegen seiner ländlichen<br />

Struktur eher mit Langnau vergleichbar. Die<br />

Ortsbezeichnung setzt sich aus den Wörtern<br />

«Cuore» (Herz) und «Leone» (Löwe) zusammen<br />

und bedeutet «Löwenherz». Tatsächlich<br />

zeigt das Wappen der Stadt einen aufrechten<br />

Löwen auf rotem Grund.<br />

Ein Besucher sollte immer unvoreingenommen<br />

sein. Nehmen wir also an, ich wüsste<br />

nichts über die ganz besondere Bezie-<br />

ZUSATZINFOS<br />

Ja, es gibt die Mafia – in Russland<br />

Wir haben die Mafia in Corleone<br />

nicht gefunden. Aber die<br />

Mafia gibt es sehr wahrscheinlich<br />

doch. Zweimal bin ich mit<br />

der Mafia konfrontiert worden.<br />

Beide Male während der Eishockey-WM<br />

2000 in St. Petersburg.<br />

Zusammen mit einem<br />

amerikanischen und einem<br />

schwedischen Kollegen habe<br />

ich damals für den Internationalen<br />

Eishockeyverband Stories<br />

für dessen Webseite geschrieben.<br />

Die Russen erlitten an dieser<br />

WM die schlimmste Pleite ihrer<br />

Geschichte (11. Schlussrang),<br />

verloren sogar gegen die<br />

Schweiz und mussten in die<br />

Abstiegsrunde. Dabei war es<br />

nominell die beste Mannschaft<br />

seit dem Untergang der Sowjetunion.<br />

Die ganz grossen Stars aus der<br />

NHL waren angereist. Also versuchten<br />

wir herauszufinden,<br />

wie diese Pleite möglich werden<br />

konnte. Mein amerikanischer<br />

Kollege kennt NHL-Verteidiger<br />

Segej Gonchar. Also<br />

erkundigten wir uns bei ihm.<br />

Er erzählte, er wundere sich<br />

nicht über die schwachen<br />

Leistungen. Die meisten Jungs<br />

hätten ihre Frauen oder Freudinnen<br />

mit dabei und es gehe<br />

mehr um Einkäufe und gute<br />

Restaurants als um Hockey.<br />

So und ähnlich.<br />

Freundlich, aber bestimmt<br />

Die in englischer Sprache erscheinende<br />

Wochenzeitung<br />

«St. Petersburg Times» übernahm<br />

von uns diese Story. Am<br />

Tag, an dem die Geschichte in<br />

der Zeitung erscheint, fliegt<br />

krachend die Türe zu unserem<br />

Büro im Stadion auf. Zwei ganz<br />

schwere Jungs in schwarzen<br />

Lederjacken, mit mutzgeschorenem<br />

Haupthaar treten ein.<br />

Handfeuerwaffen beulen die<br />

Jacke. Aber sie reden leise und<br />

überaus freundlich und in gebrochenem<br />

Englisch. Sie sagen:<br />

«Story nicht Wahrheit». Mein<br />

US-Kollege ist aufgebracht, erklärt,<br />

er habe alle Aussagen<br />

auf Band. «Fuck Tape» sagt einer<br />

der beiden gefährlich leise<br />

und fordert uns freundlich auf,<br />

die Sache zu regeln. Dann verlassen<br />

sie das Büro, schlagen<br />

aber die Türe krachend zu.<br />

Was nun? Wir fragen unseren<br />

Chef Kimmo Leinonen. Er sagt:<br />

«Oh, da ist uns ein Fehler unterlaufen.»<br />

Mein amerikanischer<br />

Kollege begehrt auf:<br />

«Nein, wir haben keinen Fehler<br />

gemacht. Ich habe alles auf<br />

Band.» Der kluge Finne beruhigt:<br />

«Ich weiss, ich weiss.<br />

Aber hier schreibt niemand<br />

Leserbriefe. Also streuen wir<br />

Asche aufs Haupt und schreiben<br />

auf unserer Website ein<br />

kleines Dementi, das wir später<br />

wieder löschen.» Und so<br />

machten wir es: Die Story mit<br />

Sergej Gonchar sei ein bedauerliches<br />

Missverständnis, man<br />

habe ihn falsch verstanden.<br />

Das Dementi wird von der<br />

«St. Petersburg Times» übernommen.<br />

Noch am gleichen<br />

Tag stehen die zwei Herren<br />

wieder im Büro. Sie haben<br />

sogar angeklopft. Einer sagt:<br />

«Wir bedanken uns für die gute<br />

Zusammenarbeit. Wir wussten<br />

ja, dass Ihr Profis seid.»<br />

Beide lächeln und schlagen die<br />

Türe noch einmal krachend zu.<br />

Sizilien gefällt mir nicht nur<br />

wegen des wunderbaren Essens<br />

ein wenig besser als<br />

Russland. Und der friedliche<br />

Oberaargau sowieso.<br />

Foto: Shutterstock, Sergey Kelin<br />

24 s’Positive 1 / 2017

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