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Das Sandspiel in der Gestalttherapie mit Kindern und Erwachsenen

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an<strong>der</strong>en, die Ältesten zuerst, wie <strong>der</strong> Evangelist vermutlich nicht ohne Genugtuung an-<br />

führt.<br />

Über die zweimalige Bemerkung, dass Jesus <strong>mit</strong> dem F<strong>in</strong>ger auf die Erde schrieb,<br />

haben schon viele Theologen gerätselt – <strong>mit</strong> mäßigem Erfolg. Manche me<strong>in</strong>en, dass <strong>der</strong><br />

biblische Schriftsteller Johannes se<strong>in</strong>e Erzählung <strong>mit</strong> dem Propheten Jeremia <strong>in</strong> Verb<strong>in</strong>-<br />

dung br<strong>in</strong>gen wollte, von dem <strong>der</strong> Ausspruch überliefert ist: „Alle, die dich verlassen,<br />

werden zuschanden, die sich von dir abwenden, werden <strong>in</strong> den Staub geschrieben.“ 36<br />

Dann wäre die Reaktion Jesu e<strong>in</strong>e Zeichenhandlung, die man als vernichtendes Urteil<br />

über die Schriftgelehrten <strong>und</strong> Pharisäer deuten kann.<br />

Wenn ich den Evangelientext als Gestalttherapeut auf mich wirken lasse, drängt<br />

sich e<strong>in</strong>e an<strong>der</strong>e Auslegung <strong>in</strong> den Vor<strong>der</strong>gr<strong>und</strong>. Dazu darf man den biblischen H<strong>in</strong>ter-<br />

gr<strong>und</strong> nicht vergessen: Die Pharisäer <strong>und</strong> Schriftgelehrten wollen Jesus e<strong>in</strong>e Aussage<br />

entlocken, die <strong>in</strong> jedem Fall tödlich ist. Sagt er „Moses hat recht“, wird die Frau gestei-<br />

nigt. Sagt er „Moses hat nicht recht“, stellt er öffentlich dessen religiöse Autorität <strong>in</strong><br />

Frage <strong>und</strong> liefert sich selbst dem Todesurteil aus.<br />

Angesichts dieser Brisanz ist die Reaktion Jesu umso bemerkenswerter: Er unter-<br />

bricht die Law<strong>in</strong>e <strong>der</strong> Gewalt, die <strong>in</strong> diesem Moment über ihn here<strong>in</strong>bricht, durch e<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>fache Handlung. Er sagt nichts, bückt sich nie<strong>der</strong>, schreibt <strong>mit</strong> dem F<strong>in</strong>ger auf die<br />

Erde, <strong>in</strong> den Staub, <strong>in</strong> den Sand, wie immer <strong>der</strong> Boden dort ausgesehen haben mag.<br />

Die oft gestellte Frage, ob Jesus etwas Bestimmtes geschrieben hat, ist nicht zu<br />

beantworten <strong>und</strong> letztlich unerheblich. <strong>Das</strong> Wichtigste ist für mich <strong>in</strong> diesem Zusam-<br />

menhang Folgendes: Jesu Gegner for<strong>der</strong>n e<strong>in</strong>e Antwort, die sie aber nicht sofort be-<br />

kommen. Vermutlich hat Jesus noch gar ke<strong>in</strong>e Antwort. Die Situation ist auch extrem<br />

schwierig <strong>und</strong> angespannt. Es geht wie schon erwähnt <strong>in</strong> mehrfacher Weise um Leben<br />

<strong>und</strong> Tod. Die Tatsache, dass Jesus schweigt <strong>und</strong> <strong>mit</strong> dem F<strong>in</strong>ger <strong>in</strong> <strong>der</strong> Erde schreibt<br />

o<strong>der</strong> zeichnet, ist vielleicht das Entscheidende <strong>in</strong> <strong>der</strong> Szene. Da<strong>mit</strong> steigt Jesus bewusst<br />

aus <strong>der</strong> verbalen Kommunikation aus. Er grenzt sich ab gegenüber <strong>der</strong> Wut <strong>der</strong> Men-<br />

schen um ihn herum, die sowohl <strong>der</strong> Frau als auch ihm selbst nach dem Leben trachten.<br />

Er geht zu Boden, nimmt Kontakt <strong>mit</strong> <strong>der</strong> Erde auf, sammelt sich, klärt se<strong>in</strong>e Gedanken,<br />

f<strong>in</strong>det Halt, f<strong>in</strong>det zu sich selbst, <strong>und</strong> er f<strong>in</strong>det zu e<strong>in</strong>er Wahrheit, die er dann auch auf-<br />

recht aussprechen kann: „Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Ste<strong>in</strong> auf sie.“ Dieser<br />

Satz hat e<strong>in</strong>e unglaubliche Wirkung.<br />

36 Jeremia 17,13.<br />

16

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