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Albmagazin_Muensingen_2_2016

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1816 – das Jahr ohne Sommer<br />

Alb-Magazin Ausgabe 2/<strong>2016</strong><br />

Ein Vulkanausbruch mit weitreichenden Folgen<br />

Der Ausbruch des Vulkans Tambora in Indonesien im April 1815 verursachte weltweit Wetteranomalien. Sie führten<br />

im Jahr 1816 in Teilen Europas und Nordamerikas zum sogenannten Jahr ohne Sommer mit katastrophalen Missernten.<br />

Im damaligen Königreich Württemberg führte dies zu einer Hungersnot und einer Auswanderungswelle. Die Folge war<br />

jedoch auch ein tiefgreifender politischer und ökonomischer Wandel einer feudalistischen Gesellschaft.<br />

Eine Gouache von Gottlob Johann Edinger illustriert den Volksauflauf und das Freudenfest, als im Jahr 1817 die<br />

ersten beladenen Erntewagen in die Stadt Ravensburg einfahren<br />

Die Ernte verfault<br />

Das außergewöhnliche Wetter mit Dauerregen<br />

und niedrigen Temperaturen nimmt<br />

im Verlauf des Jahres seinen Fortgang,<br />

Schönwetterperioden bleiben aus. Vielerorts<br />

verfaulen die Saaten und das Heu,<br />

das Getreide gedeiht so schlecht, dass<br />

es oft nur noch als Viehfutter taugt. Chronisten<br />

notieren die schlechte Qualität der<br />

wenigen Kartoffeln, die aus dem Boden<br />

geholt werden. Zur Erntezeit in der zweiten<br />

Jahreshälfte sind in höheren Lagen wie der<br />

Alb die Felder manchmal schneebedeckt,<br />

in Weinbaugebieten erfrieren die im Oktober<br />

teils noch grünen Trauben.<br />

Die verheerenden Folgen deuten sich bereits<br />

früh an. Besonders hart trifft es dabei<br />

die Landbevölkerung. Wegen der Missernte<br />

werden bereits ab Mitte des Jahres<br />

die Wintervorräte verbraucht, Nutztiere<br />

sterben oder müssen wegen des Futtermangels<br />

geschlachtet werden. Auch in den<br />

Städten wird die Not spürbar und führt zu<br />

massiven Preissteigerungen. Wucher und<br />

Spekulationen mit Grundnahrungsmitteln<br />

nehmen zu und auch das alte Feindbild<br />

des „Kornjuden“, des jüdischen Getreidespekulanten,<br />

erlebt eine Renaissance.<br />

Eine Hungerkrise enormen Ausmaßes<br />

zeichnet sich ab.<br />

Im April des Jahres 1815 bricht der Vulkan<br />

Tambora auf der Insel Sumbawa im heutigen<br />

Indonesien aus. Eine gewaltige Explosion,<br />

die zwei Tage lang andauert und<br />

noch auf der 2600 Kilometer entfernten<br />

Insel Sumatra zu hören ist, erschüttert den<br />

Berg. Die unmittelbaren Folgen sind verheerend.<br />

Allein auf Sumbawa werden fast<br />

alle der 10 000 Einwohner getötet, in der<br />

gesamten Region sterben bis zu 90 000<br />

Menschen. Der vorher rund 4300 Meter<br />

hohe Tambora misst nur noch 2900 Meter.<br />

In Europa bleibt dies unbeachtet. Doch bereits<br />

zum Jahresbeginn 1816 deutet sich<br />

die Fernwirkung des Vulkanausbruchs an,<br />

die in Teilen Nordamerikas und Europas<br />

katastrophale Folgen nach sich ziehen<br />

sollte. Neben der kolossalen Menge von<br />

etwa 150 Kubikkilometern Gestein, Asche<br />

und Staub wird bei der Explosion sehr viel<br />

Schwefeloxid mehr als 20 Kilometer hoch<br />

in die Stratosphäre geschleudert. Dort<br />

bilden sich sogenannte Aerosole, winzige<br />

Tröpfchen aus Schwefelsäure und Wasser,<br />

die einen Teil der Sonnenwärme schlucken<br />

und sich sehr schnell um die Erde vertei-<br />

len. Unter diesem Schleier wird es merklich<br />

kühler.<br />

Kälte, Regen, Hagelschlag<br />

Insbesondere in der Schweiz, Teilen Bayerns,<br />

im Elsass und in Württemberg nimmt<br />

das Wetter einen anormalen Verlauf.<br />

Schnee und außergewöhnlich viel Regen<br />

bestimmen die ersten Wochen des Jahres,<br />

kurzzeitige grimmige Kälte wird schnell<br />

wieder von Wolkenbrüchen abgelöst. Zeitgenössische<br />

Berichte aus der Schweiz,<br />

aus Franken und Schwaben erzählen von<br />

Überschwemmungen, Erdrutschen, Gewittern<br />

und zerstörerischen Hagelschlägen.<br />

Es ist der Beginn des sogenannten Jahrs<br />

ohne Sommer.<br />

Erste Reformen<br />

Das Königreich Württemberg ist zu der<br />

Zeit nicht in der Lage, mit der Situation<br />

umzugehen. In der Folge der nach-napoleonischen<br />

politischen Neuordnung Mitteleuropas<br />

hat Württemberg zwar erhebliche<br />

territoriale Zuwächse erlebt, doch durch<br />

die voran gegangenen Kriege ist es verarmt,<br />

ökonomisch und politisch verharrt<br />

das Land in feudalistischer Vormoderne.<br />

Dies ändert sich mit der Regierungsübernahme<br />

durch König Wilhelm I. im November<br />

1816. Angesichts der Krise und<br />

drohender Unruhen bringen Wilhelm I.<br />

und seine Frau Katharina in rascher Folge<br />

einige tiefgreifende Reformen auf den<br />

Weg. Noch im Dezember 1816 wird eine<br />

„Zentralleitung der Wohltätigkeitsvereine“<br />

in Stuttgart gegründet, ab Januar 1817<br />

werden in allen Oberämtern solche Vereine<br />

installiert, um mit der Verteilung von<br />

Lebensmitteln und Brennmaterial, später<br />

auch Saatgut, die schlimmste Not zu lindern.<br />

Überdies werden Zollschranken für<br />

die Ausfuhr von Getreide errichtet und der<br />

Handel staatlich reglementiert.<br />

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