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ler nach eigenen erkenntnisleitenden Prinzipien in Ausstellungen<br />
und Künstlerbuch-Publikationen zusammen.<br />
Mit den Veröffentlichungen ist dann ein Sammelgebiet<br />
hinreichend erschlossen bzw. „geklärt“ und gilt zum jetzigen<br />
Zeitpunkt als abgeschlossenes Archiv.<br />
Luftbilder<br />
Wohn- und Lebenskultur als Spiegel der Zeit: Im Jahr 2002<br />
übernahm <strong>Piller</strong> aus einem Firmennachlass etwa 20.000<br />
Luftaufnahmen von Einzelhäusern. Bundesweit wurden<br />
zwischen 1979 und 1983 zahlreiche Wohnsiedlungen überflogen,<br />
um großformatige Luftbilder von neuerbauten<br />
Eigenheimen herzustellen und an die Hausbesitzer zu verkaufen.<br />
Die mehrmalige Sichtung dieses Konvoluts leicht<br />
vergilbter Abzüge und Negative führte <strong>Piller</strong> aus etwa<br />
12.000 Aufnahmen zu 23 alphabetisch gekennzeichneten<br />
Sammelgebieten. In einer umfas-<br />
senden Publikation wurden diese<br />
Einsichten zusammengestellt, und<br />
damit waren die Arbeiten am Luftbilderarchiv<br />
abgeschlossen. 2<br />
<strong>Piller</strong> fokussiert seinen Blick auf<br />
das Daneben, sucht nach Ähnlichem im Nebensächlichen<br />
und entdeckt es aus der Luftperspektive heraus. Die<br />
ganze Wohn- und Lebenskultur einmal von oben betrachtet,<br />
ermöglicht Distanz zum eigentlichen Motiv: dem<br />
Eigenheim. Dadurch lassen sich die Fotos nach neuen,<br />
von <strong>Piller</strong> bestimmten strukturellen Kriterien sortieren,<br />
die die Entdeckung von ähnlichen Nebensächlichkeiten<br />
als vordergründiges, immer wiederkehrendes Motiv freilegen.<br />
Die daraus entstehenden Bild-Reihungen werden<br />
mit einem Titel versehen, der das Augenmerk auf eben<br />
dieses Detail am Rande lenkt. So zeigt beispielsweise die<br />
Folge Behelfsheime die in Gärten aufgestellten Zelte für<br />
das sommerliche Ritual des Übernachtens im Freien. In<br />
der Reihe Zungen hängen rote Bettdecken zum Lüften aus<br />
Fenstern heraus und in Schlafende Häuser sind Behausungen<br />
mit am hellen Tag heruntergelassenen Jalousien<br />
zum vermeintlichen Schutz gegen Eindringlinge während<br />
der urlaubsbedingten Abwesenheit zu sehen. Die Pfade<br />
(Abb. 1) beschreiben die gartengestalterische Kreativität<br />
vieler Hausbesitzer, sich merkwürdige Plattenwege um ihr<br />
Haus herum oder durch ihren Garten als Verbindungspfad<br />
zum Gartenhäuschen oder Komposthaufen anzulegen.<br />
Diese kleinen Details am Rande geben Aufschluss über<br />
Handlungsweisen und darüber, wie sich Menschen ihr<br />
Lebensterrain erschließen und einrichten. Die im neuen<br />
Kontext erscheinenden Luftaufnahmen werden zu Zeugnis-<br />
<strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong><br />
sen menschlicher Gepflogenheiten, die durch ihre besondere<br />
Bündelung eine subtile Komik enthalten. Die Materialfülle<br />
macht das Nebeneinander des Immergleichen und<br />
vielerorts Wiederkehrenden gegenwärtig. <strong>Piller</strong>s deduktives<br />
Vorgehen, aus dem Allgemeinen das Einzelne herauszufiltern,<br />
lässt das zunächst nebensächlich anmutende<br />
Detail als etwas allgemein Verbindendes erscheinen.<br />
Die Bilder-Serien entfalten sich zudem wie Dokumente<br />
einer Lebenskultur und -ästhetik innerhalb einer bestimmten<br />
Zeitspanne. So repräsentieren sie den Ende der 1970er<br />
Jahre erkennbaren wirtschaftlichen Wohlstand, welcher<br />
sich im Hausbauboom insbesondere der bürgerlichen Mittelschicht<br />
manifestierte. Hinzu kommen bestimmte gestalterische<br />
Details an Haus- und Dachformen oder die neben<br />
dem Eigenheim abgestellten pastellfarbenen Autotypen<br />
(heute als Oldtimer geltend), welche die Wohn- und Lebens-<br />
Mit der Komik der endlosen Wiederholung erstellt<br />
<strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong> ein neutrales, gleichwohl kritisch<br />
hinterfragendes Porträt der bürgerlichen Gesellschaft.«<br />
kultur im Spiegel einer vergangenen Zeit wiedergeben.<br />
Neben architektonisch-ästhetischen Besonderheiten treten<br />
weitere landschaftliche, kulturhistorische oder gesellschaftlich<br />
relevante Auffälligkeiten, worin Geschichte durch<br />
bestimmte Setzungen innerhalb einer Lebenskultur zum<br />
Vorschein kommt. Dennoch können bestimmte Handlungsweisen<br />
als überzeitliche Phänomene bis in die Gegenwart<br />
transferiert werden – Rituale des Trivialen wie das samstägliche<br />
Rasenmähen oder Autowaschen, aus denen eine<br />
ganze Phänomenologie des generationenübergreifenden<br />
Alltags entsteht.<br />
Mit dieser Komik der endlosen Wiederholung erstellt <strong>Piller</strong><br />
ein neutrales, gleichwohl kritisch hinterfragendes Porträt<br />
der bürgerlichen Gesellschaft, ohne diese dabei zu werten<br />
oder zu verurteilen. Seine aus der Dualperspektive im Kleinen<br />
entsprungene humoristische Wahrnehmung korrespondiert<br />
mit einem spezifischen Vergnügen, eine an einem<br />
Objekt bemerkte Widersprüchlichkeit zu offenbaren und<br />
die Lächerlichkeit herauszuheben. Es bleibt dem Betrachtenden<br />
überlassen, inwieweit er sich mit den vertrauten<br />
Gewohnheiten des Durchschnittsbürgers identifiziert oder<br />
sich von ihnen distanziert.<br />
Zeitungsbilder<br />
Bildjournalismus in Medien- und Nachrichtenkultur versus<br />
fotografische Authentizität: Was zunächst Produkt<br />
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