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Peter Piller - Weltkunst

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<strong>Piller</strong> innergedankliche respektive unausgesprochene<br />

„Büroregeln“, die besagen: Im Gegenüber den feinsinnigen<br />

Privatmenschen vermuten, Um die eigene Ersetzbarkeit<br />

wissen, Verkatert nichts erzählen oder Kollegialen Berührungen<br />

entgehen. Solche selbstauferlegten Regeln wirken<br />

in Kombination mit der Schaffung kleiner privater<br />

Nischen (Leeres Büroversteck) wie Überlebensstrategien<br />

gegen Monotonie und Risiken im Arbeitsalltag. Skizzen<br />

des Büroumfeldes in sparsamer Ausführung machen auf<br />

skurrile Details wie verwelkende Zimmerpflanzen, den<br />

obligatorischen Schokoladenweihnachtsmann oder auf<br />

das neben dem Monitor sitzende Teddy-Maskottchen aufmerksam.<br />

Gedanken über zwischenmenschliche Beziehungen und<br />

über Leben und Handeln des Chefs (Abb. 6: Fluch und<br />

Beschimpfung des Chefs – unkenntlich gemacht), über stereotype<br />

Verhaltensweisen von Kollegen (die in der Vorstellung<br />

auch außerhalb des Arbeitsplatzes stattfinden),<br />

über Tages- und Arbeitsabläufe, beengende Raumsituationen<br />

und billiges Mobiliar ergänzen das Portrait einer<br />

Büro-Alltagskultur. Nicht zuletzt entwickeln sich daraus<br />

flüchtig skizzierte Phantasien wie na, Hälfte des Lebens,<br />

trunken vor Küssen? (Abb. 4–7), Gedankenspiele über die<br />

arme Wurstverkäuferin, die den ganzen Tag kein Tageslicht<br />

sieht, ich aber sehe die Topfpflanze im Innenhof! oder ein<br />

Tagtraum vom eigenen Büro auf dem Rückweg vom Klo.<br />

Zudem verweisen in die Tischkante geritzte Erinnerungen<br />

(Fuck Kapitalism) an die political correctness von vor fünfzehn<br />

Jahren und Anliegen wie der in kafkaeske Textform<br />

gebrachte Versuch um eine Gehaltserhöhung oder der<br />

Kommentar Ich arbeite bis ich es mir leisten kann zu gehen<br />

auf <strong>Piller</strong>s persönliche Auseinandersetzung mit seiner zu<br />

diesem Zeitpunkt bestehenden Doppelexistenz zwischen<br />

Künstler- und Angestelltendasein.<br />

All diese Bekundungen erwachsen aus der Monotonie<br />

des alltäglichen Tuns heraus. Dadurch, dass sie in <strong>Piller</strong>s<br />

Notizen gesammelt und auf das Einzelne konzentriert<br />

wahrgenommen werden können, ergibt sich ein facettenreiches<br />

Porträt unserer Alltagskultur. Dabei deckt<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong> wohl auf, aber wertet oder verurteilt nicht,<br />

erfasst die Dinge vielmehr gänzlich unaufgeregt und vor<br />

allem humorvoll. Unweigerlich lösen seine Arbeiten ein<br />

Schmunzeln aus, wenn wieder einmal bewusst wird, wieviel<br />

Komik im Alltag und wie der Teufel im Detail stecken.<br />

Um mit Odo Marquard zu sprechen: „Komisch ist und<br />

zum Lachen bringt, was im offiziell Geltenden das Nichtige<br />

und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden<br />

lässt.“ 8 Beides findet sich in den Bürozeichnungen.<br />

<strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong><br />

Es sind Einblicke in Bräuche und Verhaltensweisen, die<br />

spezifisch deutsch anmuten, aber gerade in der Bewusstmachung<br />

der Details allgemeinmenschliches Verhalten<br />

vielerorts kennzeichnen. Bei intensiver Betrachtung der<br />

Blätter ergeben sich immer neue Zusammenhänge, ohne<br />

dass dies von <strong>Piller</strong> vorgegeben wird. Subtil werden Veränderungen<br />

einer bestehenden Struktur erkennbar, die<br />

die „zehn Jahre später ängstlich gewordenen Kollegen“<br />

zu spüren bekommen. Überzeitliche Erzählstrukturen<br />

entstehen, hierbei bezieht der Betrachter seine eigenen<br />

Vorstellungen, Erfahrungen und auch kulturellen<br />

Hintergründe ein und ergänzt die lakonischen, augenblickshaften<br />

Protokolle um die je eigene Geschichte.<br />

Das Auf-sich-Zurückgeworfen-Sein eröffnet prekäre wie<br />

humorvolle Momente für eine kritische Reflexion des Alltäglichen<br />

und Banalen.<br />

Künstlerische Feldforschung<br />

Neben der analysierenden Beschäftigung mit den Bildwelten<br />

der Massenmedien und den Alltagsbeobachtungen<br />

im unmittelbaren Umfeld verschafft sich <strong>Piller</strong> durch<br />

mehrwöchige „Peripheriewanderungen“ einen ästhetisch<br />

forschenden Zugang zur Lebenswelt. Auch hierbei<br />

sind Monotonie und verspürte Langeweile stimulierende<br />

Merkmale für seine Entdeckungen. „Plätze der absoluten<br />

Unwichtigkeit“ (P.P.) werden zur Beobachtungsstation,<br />

dort erfolgen Feldforschung und Begehung eines Terrains<br />

mit Rückbesinnung auf den Menschen als Spezies und<br />

Individuum. Diese Vorgehensweise ist im wahrsten Sinne<br />

des Wortes ein Über-den-Rand-Hinausblicken und führte<br />

den Künstler bislang um Hamburg (1993 und 2001), das<br />

Ruhrgebiet (1996) und Bonn (2006) herum. 9 Hierbei entstanden<br />

Zeichnungen, schriftliche Notizen und Fotografien,<br />

womit er sein erkundendes Erfahren einer Welt- und<br />

Selbstaneignung wie in einem Tagebuch dokumentiert<br />

(Abb. 8 a+b). Die Spezifik der unterschiedlichen Darstellungsformen<br />

unterstreicht die Wirkung des jeweils visuell<br />

abzubildenden oder verbal zu beschreibenden Eindrucks.<br />

Die flüchtig skizzierten Zeichnungen kartieren territoriale<br />

Besonderheiten aus unterschiedlichen Perspektiven,<br />

umreißen vage die Grenzen der Schauplätze, umrahmen<br />

oder zeigen die Konturlinien der dort vorhandenen Dinge.<br />

In den vom Tonband abgenommenen schriftlichen Protokollen<br />

werden zunächst Ort, Bewegungsraum und zurückgelegte<br />

Distanz in Kilometerangaben exakt festgehalten.<br />

Daraus ergibt sich ein zeitlicher Rahmen, innerhalb dessen<br />

Detailbeobachtungen von Begebenheiten und Begegnungen<br />

sowie Gefühle, Gedanken und Atmosphärisches<br />

7

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