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Peter Piller - Weltkunst

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stichwortartig notiert werden. Mit der Kamera sucht <strong>Piller</strong><br />

das Banale, die alltäglichen Nebensachen des Lebens und<br />

entdeckt das sich vielerorts Wiederholende. Dabei geht es<br />

nicht darum, einen bestimmten Ausschnitt der äußeren<br />

Welt zu rekonstruieren und vorzuführen. Vielmehr stellt<br />

er mit seinen Beobachtungen die Konstruktion einer<br />

erweiterten Vorstellung von Wirklichkeit als eine Möglichkeit<br />

bereit, um darin bisherige Erfahrungen und Wissensbestände<br />

zu integrieren und neu zu bewerten. Hierbei<br />

kann der Umgang mit der Natur wieder an Bedeutung<br />

gewinnen. Die Aufmerksamkeit und Freude am Kleinen,<br />

an Reduktionen und Fragmenten wird geweckt. Verschüttetes<br />

wird freigelegt und Spuren, die zur Rekonstruktion<br />

eines Zusammenhangs, aber auch zur Konstruktion eines<br />

Neuen führen können, werden festgehalten. Der meist<br />

teleologische Blick des Betrachters konzentriert sich<br />

nunmehr auf Details, die den eigentlichen Gegenstand<br />

oder einen Landschaftsausschnitt entweder in Formen,<br />

Strukturen und Muster aufgehen oder aus humorvoller<br />

Perspektive heraus als merk-würdig erkennen lassen.<br />

Wie schon im Warburgschen Bildatlas angeregt, stellt<br />

sich mit der Eröffnung neuer visueller und verbaler<br />

Kontexte durch <strong>Piller</strong>s Bildwelten die Frage nach dem<br />

Lebenssinn der Dinge sowie die Frage nach der Bedeutung<br />

symbolischer Grundformen, ihrer Funktion und Wirkung,<br />

um den je aktuellen Gehalt zu reflektieren. Kollektive<br />

und individuelle Erinnerung sind die Themen, wozu<br />

der Betrachter aufgerufen ist, in den Chiffren des Alltags<br />

das Gesehene zu ergänzen, im Banalen das Größere zu<br />

erraten, aus dem Stückwerk auf das Ganze zu schließen<br />

und dabei neue Kontexte zu erfassen. Aus diesem Filtersystem<br />

retrospektiver Besonnenheit heraus und mit den<br />

Mitteln von ruhiger Schau und humoriger Ergriffenheit<br />

lässt sich Menschheits- und Kulturgeschichte nicht ausschließlich<br />

als fortschreitende Entwicklung wahrnehmen.<br />

Sie bewegt sich eher zwischen den Polen von Beständigkeit<br />

und Unbeständigkeit, von Ordnung und Chaos, von<br />

kollektivem und individuellem Bewusstsein.<br />

8<br />

Gora Jain<br />

1967 geboren; promovierte Kunstwissenschaftlerin.<br />

Tätig als Kuratorin, Autorin und Hochschullehrbeauftragte<br />

in Hamburg und Kiel. Freie Mitarbeiterin an der Hamburger<br />

Kunsthalle sowie Vorstandsvorsitzende im „Forum für<br />

Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern“. Zahlreiche<br />

künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsprojekte sowie<br />

Veröffentlichungen zur Kunst des 20./21. Jahrhunderts.<br />

Anmerkungen<br />

1 Siehe hierzu unter dem Stichwort Humor, in: Historisches<br />

Wörterbuch der Philosophie, Bd.3, J.Ritter u.a. (Hgg.),<br />

Darmstadt 1974, Sp.1232-34 und in: Ästhetische Grundbegriffe,<br />

Bd. 3, K.Barck u.a. (Hgg.), Stuttgart 2001, S.66ff.<br />

2 Siehe hierzu: Archiv <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Von Erde schöner, Frankfurt/M.<br />

2004. Auf den Foto-Rückseiten befinden sich Kugelschreibernotizen<br />

der Verkäufer mit den kaufablehnenden<br />

Kommentaren der Menschen, denen sie die Fotos anboten,<br />

z.B.: „kein Interesse an Bildern“, „von Erde schöner“,<br />

„Frau wollte, aber Haus zu teuer“, „dafür bekommt man<br />

ein halbes Moped“, „macht es sich selber“ oder einfach<br />

„gestorben“. Diese für sich genommen schon sehr unterhaltsamen<br />

und aufschlussreichen Hinweise beschreiben<br />

typische Gesprächssituation und Reaktionen zwischen<br />

Vertreter und Hausbesitzer. Den Kommentar „Von (der) Erde<br />

(aus gesehen) schöner“ wählte <strong>Piller</strong> als Titel für dieses<br />

Archiv und die es abschließende Publikation.<br />

3 Siehe hierzu: Archiv <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Zeitung, Zürich 2007.<br />

Ursprünglich war die Veröffentlichung der Bilderreihen aus<br />

dem Archiv als Künstlerbuch in zwanzig Einzelbänden<br />

geplant, wovon zehn Bände erschienen. Die weitere Einzelband-Produktion<br />

wurde eingestellt und stattdessen die<br />

Arbeit am Archiv mit der genannten umfassenden Publikation<br />

abgeschlossen. Aus den über 7000 zusammengetragenen<br />

Fotos ist darin eine Auswahl von 1583 Bildern in 40<br />

Kategorien enthalten.<br />

Noch im Aufbau bzw. in der Bearbeitung befindet sich das<br />

Sammelgebiet Bombenentschärfer.<br />

4 Ebd., S.3.<br />

5 Archiv <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong> nimmt Schaden: Schweizer Landschaften,<br />

C. Keller (Hg.), Zürich 2007.<br />

6 Allein das Firmenarchiv umfasst etwa 15000 Negative, die<br />

in 11 Ordnern angelegt waren. Diese Bilder wurden in den<br />

1950-1970er Jahren von beauftragten Fotografen hergestellt,<br />

die den Alltag der Firma begleiteten. Von den meisten Negativen<br />

existierten bislang keine Abzüge. Siehe Archiv <strong>Peter</strong><br />

<strong>Piller</strong>: Materialien (A): Dauerhaftigkeit / Duurzaamheid,<br />

Frankfurt/Rotterdam 2005 und <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Nijverdal/Hellendoorn,<br />

Zürich 2007.<br />

7 <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Teilzeitkraft (Bürozeichnungen), Ch. Keller<br />

(Hg.), Leipzig 2007, S. 2. Siehe auch den Katalog: <strong>Peter</strong><br />

<strong>Piller</strong>: Vorzüge der Absichtslosigkeit, Ausst.-Kat. Siegen,<br />

Frankfurt 2005.<br />

8 O. Marquard: Aesthetica und Anaesthetica. Philosophische<br />

Überlegungen, Paderborn u.a. 1989, S. 54.<br />

9 Siehe hierzu: peter piller: speiseeiswagen im wendehammer<br />

(peripheriewanderung ruhrgebiet), Hamburg 1997 und<br />

Archiv <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Materialien (B), Peripheriewanderung<br />

Bonn, Frankfurt 2007. In den Publikationen lässt sich nachvollziehen,<br />

dass <strong>Piller</strong> 1996 das Ruhrgebiet im Zeitraum vom<br />

20. Juli bis zum 26. September in 31 Streckenabschnitten<br />

umwanderte und dabei 337 Kilometer zurücklegte. Seine<br />

Peripheriewanderung im Sommer 2006 unternahm er in<br />

acht Etappen entlang der Besiedlungsgrenze Bonns.<br />

Fotonachweis<br />

© <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>, VG-Bildkunst Bonn,<br />

courtesy Galerie Michael Wiesehöfer, Köln

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