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stichwortartig notiert werden. Mit der Kamera sucht <strong>Piller</strong><br />
das Banale, die alltäglichen Nebensachen des Lebens und<br />
entdeckt das sich vielerorts Wiederholende. Dabei geht es<br />
nicht darum, einen bestimmten Ausschnitt der äußeren<br />
Welt zu rekonstruieren und vorzuführen. Vielmehr stellt<br />
er mit seinen Beobachtungen die Konstruktion einer<br />
erweiterten Vorstellung von Wirklichkeit als eine Möglichkeit<br />
bereit, um darin bisherige Erfahrungen und Wissensbestände<br />
zu integrieren und neu zu bewerten. Hierbei<br />
kann der Umgang mit der Natur wieder an Bedeutung<br />
gewinnen. Die Aufmerksamkeit und Freude am Kleinen,<br />
an Reduktionen und Fragmenten wird geweckt. Verschüttetes<br />
wird freigelegt und Spuren, die zur Rekonstruktion<br />
eines Zusammenhangs, aber auch zur Konstruktion eines<br />
Neuen führen können, werden festgehalten. Der meist<br />
teleologische Blick des Betrachters konzentriert sich<br />
nunmehr auf Details, die den eigentlichen Gegenstand<br />
oder einen Landschaftsausschnitt entweder in Formen,<br />
Strukturen und Muster aufgehen oder aus humorvoller<br />
Perspektive heraus als merk-würdig erkennen lassen.<br />
Wie schon im Warburgschen Bildatlas angeregt, stellt<br />
sich mit der Eröffnung neuer visueller und verbaler<br />
Kontexte durch <strong>Piller</strong>s Bildwelten die Frage nach dem<br />
Lebenssinn der Dinge sowie die Frage nach der Bedeutung<br />
symbolischer Grundformen, ihrer Funktion und Wirkung,<br />
um den je aktuellen Gehalt zu reflektieren. Kollektive<br />
und individuelle Erinnerung sind die Themen, wozu<br />
der Betrachter aufgerufen ist, in den Chiffren des Alltags<br />
das Gesehene zu ergänzen, im Banalen das Größere zu<br />
erraten, aus dem Stückwerk auf das Ganze zu schließen<br />
und dabei neue Kontexte zu erfassen. Aus diesem Filtersystem<br />
retrospektiver Besonnenheit heraus und mit den<br />
Mitteln von ruhiger Schau und humoriger Ergriffenheit<br />
lässt sich Menschheits- und Kulturgeschichte nicht ausschließlich<br />
als fortschreitende Entwicklung wahrnehmen.<br />
Sie bewegt sich eher zwischen den Polen von Beständigkeit<br />
und Unbeständigkeit, von Ordnung und Chaos, von<br />
kollektivem und individuellem Bewusstsein.<br />
8<br />
Gora Jain<br />
1967 geboren; promovierte Kunstwissenschaftlerin.<br />
Tätig als Kuratorin, Autorin und Hochschullehrbeauftragte<br />
in Hamburg und Kiel. Freie Mitarbeiterin an der Hamburger<br />
Kunsthalle sowie Vorstandsvorsitzende im „Forum für<br />
Nachlässe von Künstlerinnen und Künstlern“. Zahlreiche<br />
künstlerisch-wissenschaftliche Forschungsprojekte sowie<br />
Veröffentlichungen zur Kunst des 20./21. Jahrhunderts.<br />
Anmerkungen<br />
1 Siehe hierzu unter dem Stichwort Humor, in: Historisches<br />
Wörterbuch der Philosophie, Bd.3, J.Ritter u.a. (Hgg.),<br />
Darmstadt 1974, Sp.1232-34 und in: Ästhetische Grundbegriffe,<br />
Bd. 3, K.Barck u.a. (Hgg.), Stuttgart 2001, S.66ff.<br />
2 Siehe hierzu: Archiv <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Von Erde schöner, Frankfurt/M.<br />
2004. Auf den Foto-Rückseiten befinden sich Kugelschreibernotizen<br />
der Verkäufer mit den kaufablehnenden<br />
Kommentaren der Menschen, denen sie die Fotos anboten,<br />
z.B.: „kein Interesse an Bildern“, „von Erde schöner“,<br />
„Frau wollte, aber Haus zu teuer“, „dafür bekommt man<br />
ein halbes Moped“, „macht es sich selber“ oder einfach<br />
„gestorben“. Diese für sich genommen schon sehr unterhaltsamen<br />
und aufschlussreichen Hinweise beschreiben<br />
typische Gesprächssituation und Reaktionen zwischen<br />
Vertreter und Hausbesitzer. Den Kommentar „Von (der) Erde<br />
(aus gesehen) schöner“ wählte <strong>Piller</strong> als Titel für dieses<br />
Archiv und die es abschließende Publikation.<br />
3 Siehe hierzu: Archiv <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Zeitung, Zürich 2007.<br />
Ursprünglich war die Veröffentlichung der Bilderreihen aus<br />
dem Archiv als Künstlerbuch in zwanzig Einzelbänden<br />
geplant, wovon zehn Bände erschienen. Die weitere Einzelband-Produktion<br />
wurde eingestellt und stattdessen die<br />
Arbeit am Archiv mit der genannten umfassenden Publikation<br />
abgeschlossen. Aus den über 7000 zusammengetragenen<br />
Fotos ist darin eine Auswahl von 1583 Bildern in 40<br />
Kategorien enthalten.<br />
Noch im Aufbau bzw. in der Bearbeitung befindet sich das<br />
Sammelgebiet Bombenentschärfer.<br />
4 Ebd., S.3.<br />
5 Archiv <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong> nimmt Schaden: Schweizer Landschaften,<br />
C. Keller (Hg.), Zürich 2007.<br />
6 Allein das Firmenarchiv umfasst etwa 15000 Negative, die<br />
in 11 Ordnern angelegt waren. Diese Bilder wurden in den<br />
1950-1970er Jahren von beauftragten Fotografen hergestellt,<br />
die den Alltag der Firma begleiteten. Von den meisten Negativen<br />
existierten bislang keine Abzüge. Siehe Archiv <strong>Peter</strong><br />
<strong>Piller</strong>: Materialien (A): Dauerhaftigkeit / Duurzaamheid,<br />
Frankfurt/Rotterdam 2005 und <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Nijverdal/Hellendoorn,<br />
Zürich 2007.<br />
7 <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Teilzeitkraft (Bürozeichnungen), Ch. Keller<br />
(Hg.), Leipzig 2007, S. 2. Siehe auch den Katalog: <strong>Peter</strong><br />
<strong>Piller</strong>: Vorzüge der Absichtslosigkeit, Ausst.-Kat. Siegen,<br />
Frankfurt 2005.<br />
8 O. Marquard: Aesthetica und Anaesthetica. Philosophische<br />
Überlegungen, Paderborn u.a. 1989, S. 54.<br />
9 Siehe hierzu: peter piller: speiseeiswagen im wendehammer<br />
(peripheriewanderung ruhrgebiet), Hamburg 1997 und<br />
Archiv <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>: Materialien (B), Peripheriewanderung<br />
Bonn, Frankfurt 2007. In den Publikationen lässt sich nachvollziehen,<br />
dass <strong>Piller</strong> 1996 das Ruhrgebiet im Zeitraum vom<br />
20. Juli bis zum 26. September in 31 Streckenabschnitten<br />
umwanderte und dabei 337 Kilometer zurücklegte. Seine<br />
Peripheriewanderung im Sommer 2006 unternahm er in<br />
acht Etappen entlang der Besiedlungsgrenze Bonns.<br />
Fotonachweis<br />
© <strong>Peter</strong> <strong>Piller</strong>, VG-Bildkunst Bonn,<br />
courtesy Galerie Michael Wiesehöfer, Köln