ENGAGEMENT UND ERWERBSARBEIT IN EUROPA - BBE
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forum 1 | roth: aktivierende arbeitsmarktpolitik und engagement<br />
– bunte Kombinationen von ehrenamtlicher,<br />
hauptamtlicher und workfare-Beschäftigung<br />
– nur Ausdruck tastender Anfänge ist oder ein<br />
Strukturmerkmal wird, bleibt abzuwarten.<br />
• Besonders auffällig sind ungleichzeitige Engagemententwicklungen<br />
in den neuen Bundesländern.<br />
So zeichnet sich ein gegenläufiger Trend<br />
ab. Während in den in Sachen Erwerbsarbeit<br />
erfolgreicheren Ländern (Sachsen und Brandenburg)<br />
die Engagementquoten steigen, sind<br />
sie in den weniger erfolgreichen Ländern (Sachsen-Anhalt<br />
und Mecklenburg-Vorpommern)<br />
rückläufig. Besonders für Sachsen-Anhalt ist<br />
auffällig, dass sich die gut in den Arbeitsmarkt<br />
integrierten Bevölkerungsgruppen eher vom<br />
freiwilligen Engagement fernhalten und es womöglich<br />
eher als prekären Beschäftigungsmarkt<br />
für die workfare-Bevölkerung wahrnehmen –<br />
und nicht zuletzt deshalb meiden.<br />
• Aber das veränderte Verhältnis von freiwilligem<br />
Engagement und Erwerbsarbeit gehört eher zu<br />
den verdrängten Themen der Engagementpolitik.<br />
Arbeitslose zählen – im Unterschied zu Kindern,<br />
Jugendlichen oder Älteren – nicht zur bevorzugten<br />
Zielgruppe der Engagementförderung. Es findet<br />
sich z. B. kein entsprechender Abschnitt im jüngsten<br />
Freiwilligensurvey. Die Möglichkeiten eines<br />
produktiven Zusammenspiels von Erwerbsarbeit<br />
und freiwilligem Engagement liegen außerhalb<br />
des Wahrnehmungshorizonts einer auf Zwang<br />
getrimmten workfare-Politik. Dies dürfte auch<br />
eine der Ursachen sein, weshalb einem zwangsflankierten<br />
und oft auch deshalb auf Ablehnung<br />
stoßenden Programm der „Bürgerarbeit“ der<br />
Vorzug gegeben wurde – ohne Not, denn alle Erfahrungen<br />
mit Ein-Euro-Jobs etc. zeigen, dass es<br />
keines Zwangs bedarf, um Interesse an sinnvoller<br />
gemeinnütziger Tätigkeit zu wecken.<br />
3. kOntrastierende thesen zu den auswirkungEn<br />
dEr aktiviErEndEn arbEitsmarktpOlitik<br />
auf freiwilliges engageMent<br />
Der Interpretationsrahmen für das Verhältnis von<br />
aktivierender Arbeitsmarktpolitik und Engagement<br />
lässt zwei diametral entgegengesetzte Blickrichtungen<br />
zu, die hier thesenartig zugespitzt werden.<br />
Entweder: Erfolgreiche Aktivierung fördert die Inklusion<br />
in den Arbeitsmarkt und sorgt so längerfristig<br />
dafür, dass sich die individuellen Chancen zum<br />
Engagement vergrößern, weil arbeitslosigkeitsbe-<br />
46<br />
dingte Barrieren reduziert werden. Ein-Euro-Jobs,<br />
Bürgerarbeit oder prekäre Beschäftigungsverhältnisse<br />
stellen lediglich Übergangsformen auf dem<br />
Wege in die Erwerbsarbeit dar – eine Perspektive,<br />
die nicht nur von den Protagonisten des „Förderns<br />
und Forderns“ vertreten, sondern auch von einem<br />
Teil der Betroffenen erhofft wird. Zudem entstehen<br />
durch die Aktivierung zuweilen neue Dienstleistungsbereiche<br />
(wie z. B. in der Kooperation von<br />
Freiwilligenagentur, Jobcenter und Diakonie in Halberstadt),<br />
wodurch die Erwerbschancen gesteigert<br />
werden. Schließlich kann auch das Ehrenamt profitieren,<br />
wenn ein Klebeeffekt eintritt, d. h. „Bürgerarbeiter“<br />
nach der Maßnahme ehrenamtlich weiter<br />
aktiv bleiben.<br />
Oder: Aktivierende Arbeitsmarktpolitik untergräbt<br />
freiwilliges Engagement, weil sie ehrenamtliche<br />
Tätigkeiten wesentlich als Vermittlungshemmnis<br />
betrachtet und positive Zusammenhänge zwischen<br />
bürgerschaftlichem Engagement und Beschäftigungsfähigkeit<br />
(Kompetenzerwerb im Engagement)<br />
aufgrund der „work first!“-Perspektive nicht berücksichtigt.<br />
Da die betroffene Bevölkerungsgruppe unter<br />
ein bürokratisches Regime eingeschränkter Bürgerrechte<br />
gestellt wird (Zeit- und Kontrollregime),<br />
wirkt workfare als negative „civic education“ und<br />
lässt freiwilliges gemeinwohlorientiertes Engagement<br />
dauerhaft für sie obsolet werden (Motto: „Warum<br />
soll ich etwas für eine Gesellschaft tun, die mich<br />
so behandelt?“). Zudem wird volle Bürgerschaft erneut<br />
an Erwerbsarbeit geknüpft und damit eine Abkehr<br />
vom Ziel einer möglichst inklusiven social citizenship<br />
(T. H. Marshall) der Nachkriegszeit vollzogen<br />
– gesellschaftliche Teilhabe also verweigert.<br />
Bei nicht wenigen Betroffenen mündet die auf<br />
Zwang setzende arbeitsmarktpolitische Aktivierung<br />
in allgemeine Passivität und Depression – mit Hartz<br />
IV leben bedeutet zugespitzt formuliert „offener<br />
Strafvollzug“ (Götz Werner). Dass von dieser Praxis<br />
keine mobilisierenden Konsequenzen in Richtung<br />
bürgerschaftliches Engagement ausgehen, kann<br />
nicht verwundern. Dies gilt aber gleichermaßen für<br />
jene Gruppen auf dem Ausbildungs- und Arbeitsmarkt,<br />
die sich die Perspektiven aktivierender Arbeitsmarktpolitik<br />
zu eigen machen und einzig ihre<br />
Beschäftigungsfähigkeit folgenreich in den Mittelpunkt<br />
ihrer Lebensführung stellen. Aus dieser Sicht<br />
ist bürgerschaftliches Engagement ein überflüssiger<br />
Luxus, den man sich angesichts der Arbeitsmarktzwänge<br />
nicht leisten zu können glaubt.