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Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion-Dönhoff ...

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Festvortrag<br />

Festvortrag<br />

Prof. Dr. h.c. Robert Leicht<br />

Über das Lügen und Stehlen.<br />

Was darf der Journalist? Was will der Leser?<br />

Über das Thema „Medienethik“ habe ich noch nie ausführlich<br />

nachgedacht, vor allem nicht öffentlich darüber<br />

geredet. Und dies nicht, obwohl mir damit gewiß viele<br />

teils honorarträchtige Auftritte entgangen sind, auch in<br />

evangelischen Akademien, aber nicht nur dort. Weshalb<br />

nicht? Weil die Sache mir als Praktiker, weil zu einfach<br />

gelegen, keinen komplizierten Gedanken abnötigte. Ich<br />

halte es da mit Marcel Reich-Ranicki. Der sagte einmal<br />

im Zusammenhang mit der Frage, wie viel Schriftsteller<br />

von Literaturtheorie und Literaturkritik verstehen müßten:<br />

Die Vögel könnten schließlich auch fliegen, ohne jemals<br />

etwas von der Ornithologie zu wissen. Ich betreibe<br />

halt meinen Journalismus – ganz ohne Theorie des Journalismus,<br />

naiv wie ein fliegender Vogel. Mir reichen dabei,<br />

soviel freilich muß sein, zwei der Zehn Gebote vollends<br />

aus – das siebte und das achte. „Du sollst nicht<br />

stehlen“ und (etwas einfacher noch als bei Luther formuliert)<br />

„Du sollst nicht lügen!“ Und fertig ist die Medienethik:<br />

Stiehl den Leuten nicht die Zeit durch langweilige<br />

und nichtssagende Artikel. Bring’ sie nicht um ihr<br />

gutes Geld, indem du ihnen dafür minderwertige Texte<br />

lieferst. Und zuallererst: Sag’ ihnen die Wahrheit – sonst<br />

nichts. Was bedarf es da weiterer Worte und Gedanken?<br />

Aber wenn man nun doch aufgefordert wird, etwas näher<br />

darüber nachzudenken, um am Ende zu sagen, was<br />

Journalisten dürfen und was nicht, dann wird die scheinbar<br />

naive Klarheit mit einem Mal recht undurchsichtig.<br />

Weshalb soll dies alles genau so sein – nicht stehlen, nicht<br />

lügen? Wegen meines moralischen Selbstwertgefühls?<br />

Oder weil die Leser das von mir erwarten? Denn eines<br />

darf man doch fragen: Wollen die Leute wirklich nicht<br />

bestohlen und belogen werden? Verlangt es sie wirklich<br />

nur nach ausgezeichneten Artikeln und der reinen Wahrheit?<br />

Wer nur einmal durch den Zeitschriftenladen eines<br />

größeren Bahnhofs streift oder durch die Programme der<br />

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(privaten) Fernsehanstalten, muß den Eindruck gewinnen:<br />

Während ihnen hinterrücks der Taschendieb das<br />

Portemonnaie herauszieht, werfen die Leute sehenden<br />

Auges (und lustvoll) ihre Zeit und ihr Geld den Tagedieben,<br />

gewissen Tagesschreibern, Journalisten genannt,<br />

nach – mitunter und noch nicht zu selten glücklicherweise<br />

auch den Herstellern seriöser Presse-Produkte.<br />

Und wer wollte denn wirklich die Wahrheit lesen? Zum<br />

Beispiel als Politiker (oder als Journalist): über sich selber?<br />

Die Politiker, Journalisten und Demoskopen haben<br />

doch gerade in diesem Jahr die wahre Stimmung im<br />

Lande nicht recht erfaßt. Oder wollen die Bürger tatsächlich<br />

die Wahrheit hören über die wirklichen Probleme<br />

im Lande und in der Welt? Aber die Wähler haben<br />

doch am 18. September so abgestimmt, wie sie es<br />

getan haben, weil sie mehrheitlich dem wahren Reformbedarf<br />

nicht ins Auge sehen wollten. Und schließlich:<br />

Hängt der Wert eines Journalisten für den Politiker nicht<br />

in weit höherem Maße davon ab, daß er eher ihn selber<br />

subjektiv, als die objektiven Probleme richtig „versteht“?<br />

Und schätzt es nicht auch der Journalist, wenn er „verstanden“<br />

und also regelrecht geschätzt wird? Vor allem:<br />

Was ist Wahrheit?<br />

Und schon stehen wir vor einem Paradox: Medienethik,<br />

wie übrigens alle Ethik insgesamt, ist entweder ganz elementar<br />

einsichtig und von unmittelbarer Plausibilität<br />

(Nicht stehlen, nicht lügen …) – oder aber, schon beim<br />

ersten genaueren Nachdenken, eine höchst verzwickte<br />

Angelegenheit.<br />

Und auch dieses gilt: Offenbar lassen sich ethische Fragen<br />

nicht danach beantworten, was „die Leute“ wünschen,<br />

entweder einzeln oder in ihrer Mehrheit wünschen.<br />

Das wäre ja auch ein sehr simpler Utilitarismus,

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