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Journalistenpreis Bürgerschaftliches Engagement Marion-Dönhoff ...

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Kants: Wenn ein jeder für sich entscheidet, wann er es<br />

für richtig hält, die Wahrheit zu sagen oder nicht,<br />

schwindet das Vertrauen, aufgrund dessen „Aussagen<br />

(Deklarationen) überhaupt“ noch öffentlichen Glauben<br />

finden. Kant stellt also für die Wahrheitspflicht allein ab<br />

auf den Gesichtspunkt der Sozialität. Wir können also<br />

fragen: „Wenn einer einmal lügt – und sei es aus ihm berechtigt<br />

erscheinenden Gründen –, wie kann man dann<br />

noch allen immer glauben?“ Es mag also schon sein,<br />

daß wir in bestimmten Zusammenhängen, etwa in einer<br />

Diktatur, – anders als Kant es meint – durchaus aus<br />

Menschenliebe lügen dürfen, zumal dann, wenn es im<br />

politischen System insgesamt gar keine Wahrheit mehr<br />

gibt, weil es auf Lügen beruht. Aber sofern der Journalist<br />

in seiner Rolle als Journalist handelt, ist er prinzipiell<br />

und unausweichlich auf Wahrheit, jedenfalls auf die<br />

Suche nach der Wahrheit verpflichtet; gewiß darf er nie<br />

wider besseres Wissen etwas behaupten genauer: veröffentlichen.<br />

Das heißt: Er darf nur die Wahrheit sagen,<br />

und zwar auch dann, wenn er für seine Lügen nicht zur<br />

Rechenschaft gezogen werden kann, weil ihn paradoxerweise<br />

auch insoweit die Pressefreiheit weitgehend<br />

schützt. Ob er aber alle Wahrheiten sagen darf, ob er<br />

alles sagen darf, wenn es nur wahr ist – das bedarf der<br />

genaueren Bestimmung, ohne daß wir diese hier vornehmen<br />

könnten. Immerhin aber: Wer Staatsgeheimnisse<br />

oder Privatgeheimnisse veröffentlichen will, muß<br />

schon sehr gute, vor allem dem Recht überlegene<br />

Gründe haben – Caroline-Fall hin, Cicero-Fall her. Und<br />

eines steht zugleich fest: Es kann jedenfalls nicht der<br />

Journalist selbst der überlegene Gesetzgeber in eigener<br />

Sache sein und seine bevorzugte Kontrolle dessen, was<br />

in die Gazetten kommt, dazu ausnutzen, seine höchst eigennützigen<br />

Interessen selbstkritiklos als Verkörperung<br />

des Gemeinwohls auszurufen.<br />

Nur die Wahrheitssuche legitimiert also die hervorgehobene<br />

soziale Rolle und die rollenbezogenen Privilegien des<br />

Journalisten. Insofern ist es ein schweres Übel – wenngleich<br />

hinzunehmen, weil sonst noch schwerere Übel drohen –<br />

daß ein großer Teil dessen, was unter dem Schirm der<br />

Pressefreiheit geschieht, nur als Lug und Trug zu bezeichnen<br />

ist, als verbogen, erlogen und erstunken. Man sehe<br />

sich nur in den Kiosken um – im Abschnitt Yellow Press<br />

und dergleichen; nähere Angaben ersparen Sie mir bitte.<br />

Festvortrag<br />

Interessanterweise werden aber diese offenkundigen<br />

Verstöße gegen die Wahrheit ausgerechnet deshalb toleriert,<br />

in gewisser Weise sogar deshalb geschätzt, weil<br />

sie objektiv betrachtet zugleich einen Verstoß gegen das<br />

siebte Gebot (Du sollst nicht stehlen!) darstellen – und<br />

zwar in der Variante: Stiehl’ den Leuten nicht das Geld<br />

und die Zeit, indem Du ihnen schlechte, unnütze Artikel<br />

andrehst! Mundus vult decipi – die Welt will betrogen<br />

sein, schreibt Sebastian Frank in seinen Paradoxa<br />

238. Was aber, wenn sich gerade damit gute Geschäfte<br />

machen lassen – und auch hier könnten Namen genannt<br />

werden, sollen es aber nicht. Man könnte sich ja<br />

in einer liberalen Marktgesellschaft auf den Standpunkt<br />

zurückziehen: Der Wert einer Sache bemißt sich allein<br />

nach dem Geld, das jemand dafür auszugeben bereit ist<br />

– und wenn es das Scherflein der Witwe ist, das den<br />

Erfinder von irgendwelchen Schein-Royalitäten und<br />

deren Scheinschwangerschaften prämiert. Abgesehen<br />

vom äußerst abgemagerten Kulturbegriff, der einen solchen<br />

Standpunkt tragen müßte: Ich fürchte inzwischen<br />

die Ansteckungswirkungen, die von jenem auf leerem<br />

Entertainment beruhenden Medienbetrieb auf die Medien<br />

ausgehen. Es würde sich ja durchaus lohnen, einmal<br />

nachzuzeichnen, wie sehr die privaten Fernseh- und<br />

Rundfunk-Kanäle die Programme unserer öffentlichrechtlichen<br />

trivialisiert und auf bloße Quote getrimmt<br />

haben und wie sehr diese Farb- und Klangreize sogar<br />

bis auf die seriösen Printmedien durchschlagen. Nicht,<br />

daß ich dafür plädieren möchte, Zeitungen möglichst<br />

langweilig zu gestalten; denn Langeweile ist keineswegs<br />

identisch mit Seriosität. Auch hasse ich Veteranengerede,<br />

das immerzu auf die gute alte Zeit verweist. Ich<br />

wünschte mir aber, daß auch künftige Journalistengenerationen<br />

die Chance haben, ihre Aufklärungsarbeit<br />

am Gewicht der realen Probleme zu orientieren – und<br />

nicht etwa bloß an der Höhe der Quote oder am<br />

Zerstreuungswert ihrer Texte. Irgendjemand muß doch<br />

noch beides ernst nehmen – die Leser und die Sache.<br />

Und deshalb kehre ich zum Ausgangspunkt zurück: Ihr<br />

lieben Journalisten, laßt doch einfach jene so archaischen,<br />

so plausiblen, so scheinbar naiven Gebote möglichst<br />

unverstellt, plausibel und direkt auf Euch wirken:<br />

Ihr sollt nicht stehlen! Ihr sollt nicht lügen! Und schon<br />

wißt Ihr, was Ihr dürft – und was nicht.<br />

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