FINE Das Weinmagazin - 01/2009
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: HESSISCHE STAATSWEINGÜTER & KLOSTER EBERBACH.
FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: HESSISCHE STAATSWEINGÜTER & KLOSTER EBERBACH.
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E u r o p e a n F i n e w i n e m a g a z i n e<br />
Deutschland · Österreich · S chweiz · Skandinavien · Grossbritannien · USA · Australien<br />
1 / <strong>2009</strong> Deutschland € 15<br />
Österreich € 16,90<br />
Italien € 18,50<br />
Schweiz chf 30,00<br />
<strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong><br />
Bordeaux 1961<br />
Etikettenschwindel<br />
Château Pichon-Lalande<br />
Etienne Guigal<br />
Peter Morandell<br />
Domaine de la<br />
Romanée-Conti<br />
Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach
50<br />
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Philippe Guigal vor Château d’Ampuis: Ein junger Mann, der alles hat und noch mehr will – immer bessere Weine<br />
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Anwesen, aus dem regionalen Kalkstein gemauert, stehen beidseits<br />
der Ortsdurchfahrt. Und jetzt ist Vosne-Romanée auch<br />
schon zu Ende. Gut hundert Meter weiter wächst ein steinernes<br />
Wegekreuz aus den sanft ansteigenden, wassergesättigten<br />
Weinbergen. Schwere Regentropfen klatschen aufs Autodach.<br />
Zurücksetzen und dann rechts abbiegen in die »Rue derrière<br />
Text: Martin Wurzer-Berger<br />
le Four«, die »Straße hinter dem Ofen«, mit ihren verschlossenen<br />
gelbgrauen Häuserfronten. Ein dunkelrotes Torgitter verbindet<br />
zwei im stumpfen Winkel zueinander stehende Häuser.<br />
Daneben eine ebenfalls dunkelrote Tür unter einem steinernen<br />
Torbogen. Auf der Innenseite der Laibung findet sich eine<br />
handelsübliche Gegensprechanlage. Auf der Klingelwippe steht,<br />
unter einer kleinen Strichzeichnung, auf der das Kreuz aus dem<br />
Weinberg zu sehen ist: »Domaine de la Romanée-Conti«.<br />
Text: Jan-Erik Paulson und Pekka Nuikki<br />
Fotos: Pekka Nuikki<br />
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B O U R G O G N E<br />
Ich habe es wirklich gut, denn ich bekomme regelmäßig Einladungen zu Weinproben und<br />
anderen Wein-Veranstaltungen. Aber da ich auch zwei Berufe und eine Familie habe, kann<br />
ich bei weitem nicht alle annehmen. Als ich aber eines Tages eine Einladung zu einem<br />
Mittagessen zu Ehren der berühmten May-Eliane de Lencquesaing in meiner Post fand,<br />
ließ ich sofort alles liegen und stehen. Denn soviel war klar: an dem Tag, irgendwann im<br />
Dezember 2005, sollte ich, Jan-Erik Paulson, im Restaurant Taillevent in Paris sitzen –<br />
und direkt neben Madame höchstselbst, wie sich herausstellte.<br />
Text: Juha Lihtonen<br />
Fotos: Pekka Nuikki<br />
ir sind im Jahr 1924: der vierzehnjährige Etienne Guigal hebt gerade den schweren eisernen Türklopfer an der<br />
WPforte des bekanntesten Weinguts an der Rhône. Er hat einen Traum: <strong>Das</strong>s das Tor sich ihm öffne und er Kellerassistent<br />
in Joseph Vidal-Fleurys renommiertem Haus würde – das wäre der ideale Start in seine berufliche Zukunft.<br />
Genau fünfundachtzig Jahre später öffnet ein junger schlanker, dunkelhaariger Mann ebendiese Tür. Es ist Etienne<br />
Guigals Enkel Philippe. Er ist 37 Jahre alt und mittlerweile der Besitzer des Weinguts Vidal-Fleury, in dem sein Großvater<br />
vom Kellerassistenten zum Kellermeister aufgestiegen war. Heute produziert Philippe einige der weltweit am meisten<br />
geschätzten Weine; er besitzt ein Landhaus im römischen Stil mit Park und Pool, ein Renaissance-Schloss aus dem<br />
16. Jahrhundert, umgeben von makellos gepflegten Gärten, und eine kleine Flotte von Sportwagen. Philippe Guigal führt ein<br />
Leben, wie es sich sein Großvater beim besten Willen auch in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.<br />
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Text: Uwe Kauss<br />
Fotos: Thomas Schauer<br />
Es ist schon Mittag und doch nicht richtig hell. Die Straße führt in<br />
steilen Kurven an der wegen Frost verlassenen Baustelle entlang<br />
und unter den Schienen einer Bahnlinie hindurch. Vor flachen<br />
Zweckbauten aus Holz und Metall parken Lastzüge aus Kroatien,<br />
Rumänien und Deutschland. Der Fahrer eines 16-Tonners rangiert<br />
in Seelenruhe zentimeterweise aus einer engen Einfahrt und<br />
blockiert minutenlang die holprige Straße. Statt Januarsonne und<br />
Bergpanorama verhängen graue Wolken den Horizont über Wörgl,<br />
nur ein paar Minuten die Serpentinenstraße hinab vom österreichischen<br />
Kufstein entfernt. 1926 eröffneten Alois und Anna<br />
Morandell hier am Bahnhof ein Gasthaus, das auf großen Kellern<br />
gebaut war. Es ist das Stammhaus von Morandell International,<br />
dem renommiertesten Weinhandelshaus Österreichs.<br />
Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Oliver Rüther<br />
Text: NATALIE MACLEANFotos: OLIVER RÜTHER<br />
Er verströmt einen verlockend vollen Duft mit überraschend grünen<br />
Noten und hat einen guten Biss in der Mitte – und doch bleibt er einem<br />
in der Kehle stecken: Mmmmmm… das schmeckt nach einem richtig<br />
guten Weinskandal. Meistens mischen sich darin auf faszinierende<br />
Weise Prestige, Geldgier, Gerissenheit und Geheimnis. Und sogar<br />
die ehrwürdigsten Namen, ja, gerade sie, sind nicht vor ihm sicher:<br />
Château Pétrus, Château Mouton-Rothschild, Sassicaia und Penfolds<br />
Grange. Aber wer weiß, ob die Zahl nicht viel größer ist – denn bei den<br />
genannten wurden die Täter auf frischer Tat ertappt.<br />
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Der fantastische Château Latour 1961 erhielt einstimmig<br />
den höchsten Rang. Dies ist ein wirklich<br />
einzigartiger, klassischer und vollkommener<br />
Wein. Der Château Latour 1961 wurde von<br />
uns über 70 Mal verkostet und erhielt nur acht<br />
Mal weniger als fehlerfreie 100 Punkte! Kein<br />
einziger der circa 60000 Weine, die wir degustiert<br />
haben, kann mit dem hervorragenden und<br />
makellosen Ergebnis des Château Latour 1961<br />
mithalten.<br />
Auch wenn das Jahr 1961 nicht perfekt war, so<br />
waren es doch die Weine! Auf einen verregneten<br />
Winter folgte ein ungewöhnlich warmer Februar.<br />
Die Natur wachte schon in den ersten Februartagen<br />
auf – das heißt einen Monat zu früh. Die<br />
erste Märzhälfte war sehr warm. Am 10. März<br />
zeigten sich die ersten zarten Blätter. Der April<br />
war unbeständig und zum größten Teil zu kalt.<br />
Dadurch wuchsen die Reben langsamer. Auch<br />
die letzten Maitage waren sehr kühl, und am<br />
29.Mai gab es einen Kälteeinbruch. Die Blüten<br />
Text: Jan-Erik Paulson Fotos: Pekka Nuikki<br />
ungewöhnlich ruhig verhalten. Ich kenne diese Phase des Weinhandels recht gut, denn ich<br />
beobachte sie seit nahezu dreißig Jahren aus der Distanz – in dieser Zeit sind mir viele<br />
Jahrgänge als »Jahrhundertjahrgänge« angepriesen worden. Doch nachdem die Weine<br />
abgefüllt und verkauft sind (beziehungsweise, wie im Bordelais der Fall, anders herum),<br />
müssen solche Zuschreibungen oft genug revidiert werden.<br />
Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hat es eine Reihe<br />
von berühmten Jahrgängen gegeben, die von Rebstöcken<br />
aus der Zeit vor dem großen Reblausbefall<br />
stammen. Dazu zählen der legendäre »Kometenjahrgang«<br />
1811, 1864, 1865, 1870, 1893, 1895 und<br />
1899. Doch sind die meisten davon so alt, dass<br />
niemand mehr lebt, der sie zu ihrer besten Zeit<br />
getrunken hat und davon erzählen könnte.<br />
Im 20. Jahrhundert wurde der Anspruch auf<br />
den Titel für die Jahrgänge 1900, 1921, 1929, 1945,<br />
1947, 1949 (von mir!), 1959, 1961, 1982, 1989 und<br />
Text: Ellen Alpsten<br />
1990 erhoben. Schon drei von acht Jahrgängen dieses<br />
Jahrhunderts wurden von einer allzu begeisterten<br />
Weinpresse als Kandidaten für den Jahrhundert-Jahrgang<br />
genannt – 2000, 2003 und 2005.<br />
In dem Buch »Die 1000 besten Weinen«<br />
(erschienen im Tre Torri Verlag) ist es der Jahrgang<br />
1961, der am häufigsten als Jahrhundertjahrgang<br />
vorkommt – mit zweiundzwanzig Nennungen.<br />
1945 wird neunzehn Mal als solcher geführt<br />
und 1947 sechzehn Mal, 1982 vierzehn Mal und<br />
1959 dreizehn Mal.<br />
Leidenschaft und Disziplin sind nicht die geringsten Voraussetzungen,<br />
den Titel eines Masters of Wine zu erwerben<br />
Fotos: Thomas Jupa<br />
Nasse Wolle. Borke. Schwefel. Säure. Nordregion. Eiche? Wenn ja, wie viel? Petroleum?<br />
Nein, es geht hier nicht um einen verregneten Herbstspaziergang im Waldsterben: Die<br />
Klasse im zweiten Jahr des Londoner Institute of Masters of Wine tritt zu einem Kurstag<br />
zusammen. Am Ende des Jahres wollen sich die jungen Damen und Herren hier den<br />
Prüfern des härtesten Weinexamens der Welt stellen. Nur zehn Prozent aller Teil nehmer<br />
werden den begehrten Titel des »Master of Wine« (MW) erringen, was diese ebenso<br />
erschreckt wie antreibt. Die rigorose Auslese und die Härte der Ausbildung tun so der<br />
guten Stimmung der Eleven bei ihrem Wiedersehen keinen Abbruch. Sie kommen zwar<br />
aus ganz Europa für diesen Tag in London zusammen, haben sich aber vorher schon immer<br />
wieder zu Weinproben in den jeweiligen Heimatländern getroffen. Nur eines macht einen<br />
guten, sich in seinem Urteil sicheren Koster aus: Üben, üben, üben, das stellen die Lehrer<br />
und die assistierenden MWs schon bei Beginn des Kurses klar. Die angehenden Masters<br />
<strong>2009</strong> denken und leben schon seit den ersten Kurstagen, die mit einem ein wöchigen<br />
Seminar in Österreich begonnen haben, international. Sie treffen sich bei Norbert auf<br />
seinem Weingut im Piemont, besuchen Louise in Antibes und Caro im Rheinland.<br />
Ken hat gerade alle zu einer Probe erstklassiger Burgunder in London eingeladen. Sonst<br />
wissen sie vielleicht nie, wie das schmeckt, sagt der erfolgreiche Anwalt, der gleich seine<br />
Entscheidung über Qualität und Herkunft der Weine mit der kühlen, präzisen Sprache<br />
einer ausgereiften juristischen Argumentation belegen wird.<br />
Keine alltägliche Unternehmung: Die Weinkenner und -liebhaber, die Verkoster<br />
und Genießer von <strong>FINE</strong> haben unter der Leitung von Ralf Frenzel und Pekka<br />
Nuikki alle ihre über Jahre und Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen gebündelt<br />
und sich in einem Buch Rechenschaft gegeben über die tausend besten Weine,<br />
die zu trinken sie das Privileg gehabt haben (jetzt erschienen bei Tre Torri).<br />
Wer will, mag es ein Ranking nennen: Vor allem aber ist es eine Liebeserklärung<br />
an die unfassbar herrlichen Wein-Wunder der Welt. Hier präsentieren wir die<br />
absolute Spitze: die zehn besten Weine, die je gemacht und verkostet wurden.<br />
Fotos: PEKKA NUIKKI<br />
erfroren und gleich darauf vertrockneten die<br />
nicht tragfähigen Reben. Dreiviertel der Lese<br />
wurde dadurch zerstört. Im Mai hatte es noch<br />
nie Frost gegeben. Der Juli war im Großen und<br />
Ganzen kein guter Monat. Statt Regen oder Sonne<br />
brachte er nur einen bewölkten Himmel. Auch<br />
in den ersten drei Augustwochen bekamen die<br />
Weinberge zu wenig Sonne und Regen, doch ab<br />
dem 24.August wurde das Wetter schön und<br />
hielt sich bis zum 28.September (es war fast so<br />
trocken wie im Jahr 1949). Am 29.und 30.September<br />
regnete es. Die Wein lese erfolgte bei<br />
starker Hitze vom 19.bis 28.September, was die<br />
Vinifizierung erschwerte. Wie erwartet wurde es<br />
eine kurze Lese mit geringem Ertrag.<br />
Fast alle Flaschen, die wir degustiert haben,<br />
waren in sehr gutem Zustand; nur wenige hatten<br />
eine Füllhöhe von oberer Schulter oder niedriger.<br />
Die ideale Dekantierungsdauer scheint 1,5 Stunden<br />
zu sein. Die letzte Flasche Château Latour<br />
1961 wurde der romantischen Erinnerung an un-<br />
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B O R D E A U X<br />
R E p o R t a g E<br />
1961 Château Latour (Pauillac)100 P (2007/2030 ×73 D 1,5h/G 3h)<br />
sere früheren Verkostungserlebnisse gerecht.<br />
Der Wein hat eine wunderschöne, vollreife<br />
dunkel rote Farbe, die am Rand beinahe orange<br />
ist. Die Nase ist rein und offen und klassisch – ein<br />
Bouquet aus perfekt aufeinander abgestimmten<br />
Aromen. Seine Fruchtigkeit ist überwältigend<br />
vollmundig. Dieser himmlisch satte, feste, noch<br />
recht tanninhaltige, vollmundige, sehr nachhaltige<br />
und superfruchtige Klassiker verhalf unserem<br />
gut ausgebildeten Geschmackssinn zu neuem<br />
Leben. Vollkommene Balance und Struktur. Die<br />
Zeit stand still. Unsere Geschmacksempfindungen<br />
in diesem Augenblick lassen sich kaum beschreiben.<br />
Was wir an diesem Goliath am meisten<br />
schätzen, ist sein erstaunlicher und endloser<br />
Abgang. Nicht nur war das Mundgefühl so als<br />
würde man flüssige Seide trinken, sondern der<br />
vornehme Abgang des vielschichtigen Cabernet<br />
blieb eine Ewigkeit am Gaumen erhalten. Der<br />
beste Wein, der uns je begegnet ist. Wir verneigen<br />
uns zutiefst vor ihm.<br />
D I E B E S T E N W E I N E<br />
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Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Oliver Rüther<br />
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trutzigen Pfeilern wird durch das gleichmäßig verteilte, doch spärliche Kerzenlicht erst<br />
richtig fühlbar. Nur langsam gewöhnt sich das Auge an die Schwärze. Zahllose gut gefüllte<br />
Wandnischen bergen die wichtigste Weinbibliothek Deutschlands: Kloster Eberbachs<br />
Schatzkammer. Der älteste hier aufbewahrte Wein stammt aus dem Jahr 1706.<br />
Text: Martin Wurzer-Berger<br />
Fotos: Thomas Jupa<br />
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D E G U S T A T I O N<br />
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E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />
Fine Inhalt<br />
Fine Inhalt<br />
<strong>FINE</strong> 1/<strong>2009</strong><br />
Foto: Romané-Conti<br />
In der Bourgogne<br />
das Mass aller Dinge<br />
Ein Besuch auf der Domaine de la Romanée-Conti<br />
n der Kirche vorbei und dann links. Doch ein repräsen-<br />
Gebäude ist hier nirgends zu sehen. Einige Atatives solide<br />
<strong>Das</strong> Weingut,<br />
das keiner haben wollte<br />
Guigal – Die Prinzen der Rhône<br />
Rheingau, zum Träumen: Die lange Mauer des Steinbergs entlang<br />
hinunter nach Kloster Eberbach – dann aber verliert sich der Blick<br />
auf dem glitzernden Südufer des Rheins bei Ingelheim<br />
Der<br />
Wein-Botschafter<br />
Peter Morandell und seine<br />
önologische Sendung<br />
Der Wein der Mönche und der Preussen<br />
Die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach haben<br />
eine grosse Vergangenheit und eine glanzvolle Zukunft<br />
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ETIKETTEN<br />
SCHWINDEL<br />
Fälschungen und Weinskandale<br />
Château Latour 1961 –<br />
ein wahrhaftig einzigartiger,<br />
klassischer und<br />
vollkommenerWein.<br />
Der beste Wein, dem wir<br />
je begegnet sind.<br />
Wir verbeugen uns vor<br />
seiner Größe.<br />
1961<br />
Der beste Bordeaux aller Zeiten?<br />
Jahrgang<br />
iese Gedanken schreibe ich während der Subskriptionsveranstaltungen für den<br />
DJahrgang 2007 nieder, und mir fällt auf, dass sich Château-Besitzer wie Négociants<br />
Wer sind die ernstzunehmenden Bewerber um den Titel<br />
»Bester Jahrgang aller Zeiten«?<br />
Seite 18 Domaine de la Romanée-Conti Seite 26 Hessische Staatsweingüter<br />
Seite 78 Spitzenjahr 1961<br />
Seite 34 Domäne Assmannshausen<br />
Seite 50 Château Pichon-Longueville Comtesse<br />
Seite 102 Etienne Guigal<br />
Seite 68 Weinfälschungen und Skandale<br />
Seite 136 Peter Morandell<br />
Nr die<br />
Besten<br />
kommen durch<br />
Seite 62 Masters of Wine<br />
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B E ST E N W E I N E<br />
D I E J E G E M A C H T W U R D E N <br />
N r . 1<br />
Seite 128 Die ersten Zehn<br />
Großem Terroir verpflichtet:<br />
Wo das Rheintal sich besonders<br />
malerisch zeigt, wachsen am<br />
Höllenberg auch besondere Reben<br />
Jahrhunderte<br />
für den<br />
Spätburgunder<br />
Die Domäne Assmannshausen und ihr Höllenberg<br />
13 Fine Editorial Thomas Schröder<br />
14 Fine Degustation Die Fine-Kriterien<br />
18 Fine Bourgogne Domaine de la Romanée-Conti<br />
26 Fine Rheingau Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach<br />
34 Fine Rheingau Domäne Assmannshausen<br />
42 Fine Degustation Vergleichsprobe Höllenberg / Pinot Noir<br />
50 Fine Bordeaux Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande<br />
56 Fine <strong>Das</strong> Große Dutzend Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande<br />
62 Fine Reportage Institute of Masters of Wine<br />
68 Fine Wissen Weinfälschungen<br />
76 Fine Reiner Wein Anne Zielke<br />
78 Fine Bordeaux Bordeaux 1961, ein Spitzen-Jahrgang<br />
86 Fine Wein & Speisen Die Dollase-Kolumne<br />
94 Fine Bordeaux Weinprobe & Kunst, 1960–1967<br />
102 Fine Rhône Etienne Guigal<br />
110 Fine Wein-Lifestyle The Napa Valley Reserve<br />
120 Fine Degustation Bordeaux 1961<br />
124 Fine Degustation Australien: Premium Shiraz 1998<br />
128 Fine Die 1000 besten Weine Die ersten Zehn<br />
136 Fine Porträt Peter Morandell<br />
146 Fine Abgang Ralf Frenzel<br />
Die erregendste Vergleichsprobe des Jahres: Assmannshäuser Höllenberg<br />
)))))))$<br />
)$<br />
und grosse Burgunder Pinot Noirs von 1959 bis 1921<br />
uerst wird es ganz finster. Freundliche Geister warnen vor der mächtigen<br />
Zeichenhölzernen Doppelschwelle. Die Größe des gewölbten Raums mit seinen<br />
Seite 42 Vergleichsprobe Höllenberg / Pinot Noir<br />
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I n h a l t<br />
11
Rheingau, zum Träumen: Die lange Mauer des Steinbergs entlang<br />
hinunter nach Kloster Eberbach – dann aber verliert sich der Blick<br />
auf dem glitzernden Südufer des Rheins bei Ingelheim<br />
Der Wein der<br />
Mönche und der Preussen<br />
Die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach haben<br />
eine grosse Vergangenheit und eine glanzvolle Zukunft<br />
≤≥<br />
Text: Martin Wurzer-Berger<br />
Fotos: Oliver Rüther<br />
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F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />
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Bis in das Jahr 1938 zurück führt der Rüdesheimer Dickerstein Riesling; 1971 ist der Lagenname<br />
im »Berg Rottland« aufgegangen. Dunkelgelb, ein angemessener Alterungston und<br />
im Geschmack bienenwachsig wartet er mit einem aromatischen Nachhall auf. Sein jetziges<br />
Gegenüber (und auch in der Lage der direkte Nachbar) aus dem Rüdesheimer Berg Schlossberg,<br />
ein »2007er Riesling Erstes Gewächs trocken«, begeistert mit seinem überbordenden Duft<br />
und seiner hohen Reife. Die lebendige Säure wird im Mund von einer spürbaren Mineralik<br />
ergänzt. Der Nachhall bestätigt die Erwartungen an ein Erstes Gewächs.<br />
Seit acht Jahren leitet Dieter Greiner die Geschicke der Staatsweingüter.<br />
In diese Zeit fallen die wichtigsten Entscheidungen, seit das Land Hessen<br />
1946 Eigentümer der Domänen wurde. Namhafte Leiter – wie der legendäre<br />
Hans Ambrosi von 1966 bis 1990 – konnten bei aller Anstrengung die<br />
Schwäche der Staatsweingüter zwischen 1960 und der Jahrtausendwende<br />
nicht wirklich verhindern. Doch spätestens 2003, seit der Überführung der<br />
Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach von einem Landesbetrieb in<br />
eine GmbH, zeichnete sich eine Kehrtwende ab. Sie wurde beschleunigt<br />
durch den Eintritt von Ralf Bengel, zunächst als Betriebsleiter in der Domäne<br />
Assmannshausen. Zwei Jahre später, nach dem Ausscheiden von Fred Prinz,<br />
übernahm Bengel auch die önologische Verantwortung über den Gesamtbetrieb.<br />
Zwei Schwaben also an der Spitze der insgesamt zweihundert Hektar<br />
großen Staatsweingüter.<br />
Zwei Rieslinge aus dem legendären Steinberg, ein »Kabinett trocken Goldkapsel« aus 2007<br />
und ein »Riesling« aus dem Jahr 1953 geben den Blick auf das Kloster Eberbach und damit<br />
tief in die Geschichte frei.<br />
Zwölf Zisterziensermönche kamen 1136 mit einem von Clairvaux bestimmten<br />
Gründungsabt nach Eberbach und übernahmen das dort ansässige Augustinerkloster.<br />
Ihr Orden wurde nach 1098 gegründet und verstand sich als Erneuerung<br />
und Verschärfung des verweltlichten Benediktinertums. Eine innovative<br />
Organisationsform in der Art eines Mönchsordens im heutigen Sinn<br />
und ihre Strenge machten sie schnell und in ganz Europa höchst erfolgreich.<br />
Von der Welt abgewandt strebten sie ein wirtschaftlich autarkes Leben von<br />
eigener Hände Arbeit und dauerndes Gotteslob im Stundengebet an. Die<br />
von Cîteaux und seinen vier Tochterklöstern ausgehenden Filiationen waren<br />
verpflichtet, einen Vertreter zum jährlichen Generalkapitel ins burgundische<br />
Cîteaux zu schicken. Dort wurden alle Belange des Ordenslebens diskutiert.<br />
Hierzu zählten auch ein reger fachlicher Austausch über die Landwirtschaft<br />
und insbesondere den Weinbau. <strong>Das</strong> ist der ausschlaggebende Grund für die<br />
erstaunliche Weinqualität im Kloster Eberbach.<br />
Die zisterziensische Klosterwirtschaft fußte auf einem System von<br />
»Grangien«. Darunter sind den Klöstern zugeordnete Wirtschaftshöfe mit<br />
ihren Ländereien zu verstehen. Sie wurden von Conversen, der Ordensregel<br />
unterworfenen Laienbrüdern, geleitet und erwirtschafteten einen beträchtlichen<br />
Anteil am großen ökonomischen Erfolg des Ordens. Der kontinuierlich<br />
wachsende Grundbesitz stammte zu großen Teilen aus Stiftungen des<br />
regionalen Adels, der sein Seelenheil durch die spirituell überzeugenden,<br />
konsequenten und zielstrebigen Zisterzienser besser gesichert sah als in den<br />
überkommenen Formen kirchlichen Lebens. Obwohl die Weinbaufläche im<br />
Kloster einen relativ kleinen Teil ausmachte, wurde in kürzester Zeit ein substanzieller<br />
Gewinn gerade aus diesem Wirtschaftszweig gezogen.<br />
Noch eine gute Woche bis zum Jahreswechsel. Dieter Greiner, Geschäftsführer<br />
der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach, zündet mit<br />
sichtlichem Vergnügen schon jetzt sein Silvester-Feuerwerk: Fünf Flaschenpärchen<br />
stehen auf dem schlichten Tisch im Verkostungsraum des neuen<br />
Steinbergkellers. Aus Assmannshausen, aus Rüdesheim, aus dem Steinberg,<br />
aus Rauenthal und noch einmal aus dem Steinberg. Es sind ungleiche Pärchen<br />
mit substanziellen Altersunterschieden.<br />
Zwischen den Partnern aus dem Assmannshäuser Höllenberg liegen 45 Jahre. Der jüngere<br />
Vertreter, eine Spät burgunder Auslese trocken 2004 ist ein »Mauerwein« (Seite 38) und<br />
schmeckt, wie ein bester Spätburgunder aus dem Höllenberg eben schmecken muss: aromatisch,<br />
ein wenig Holz, die Fülle von halbgetrockneten Pflaumen, ein bisschen Eau de vie, schwarze<br />
Kirschen im Nachhall. Sein Vorgänger aus dem legendären Jahr 1959 mit seinem Schwarze-<br />
Johannisbeeren-Duft ist speckig-rauchig, würzig und zeigt ein langes Finale. Die große<br />
Burgund-Assmannshausen-Probe (Seite 42) in drei Wochen wird mit genau diesem Wein<br />
eröffnet werden – auch hier kein schlechter Beginn.<br />
Die Domäne Assmannshausen ist die westlichste der sechs Domänen, die<br />
gemeinsam die Hessischen Staatsweingüter bilden. Wie Perlen auf einer<br />
Schnur markieren sie die besten Lagen entlang der Rheinfront. Ein Who’s<br />
Who des Rheingaus: Rüdesheim, Steinberg, Rauenthal, Hochheim und – als<br />
südlichstem Vorposten nicht mehr zum Rheingau zählend – die Domäne<br />
in Bensheim an der Hessischen Bergstraße. <strong>Das</strong> Königreich Preußen verschaffte<br />
diesen Domänen ihren Zusammenschluss und damit eine erste Blüte.<br />
Anfang des 20. Jahrhunderts als Musterbetriebe konzipiert, sammelten sie<br />
auf der Höhe ihrer Zeit Wissen und Erfahrung, den regionalen Winzern zur<br />
Anschauung und zum Ansporn. Zugleich wurde in substanziellen Mengen<br />
qualitativ hochstehender Wein gewonnen. Die besten Weine wurden in<br />
der Schatzkammer des Klosters Eberbach verwahrt und sind so auf uns<br />
gekommen.<br />
Weinarchitektur, zum Schwärmen:<br />
Licht und transparent strahlen<br />
die Rieslinge im Tasting Room des<br />
eleganten Guts neu baus – im dunklen<br />
Dämmer der historischen Gewölbe<br />
aber ruhen die Weine in der Schatzkammer<br />
zu Kloster Eberbach<br />
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Jahrhunderte<br />
für den<br />
Spätburgunder<br />
Die Domäne Assmannshausen und ihr Höllenberg<br />
Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Oliver Rüther<br />
Großem Terroir verpflichtet:<br />
Wo das Rheintal sich besonders<br />
malerisch zeigt, wachsen am<br />
Höllenberg auch besondere Reben<br />
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F I N E<br />
R h e i n g a u<br />
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Alter Tradition verbunden: Ralf Bengel, Kellermeister<br />
der Hessischen Staatsweingüter, arbeitet im Fasskeller<br />
der Domäne Assmannshausen an der Qualitätsrenaissance<br />
des Spätburgunders vom Höllenberg.<br />
Es ist ein sonniger, klirrendkalter Wintertag.<br />
Von Koblenz kommend blättert sich der<br />
Mittel rhein stromaufwärts in seiner ganzen<br />
Schönheit auf. Burg reiht sich an Burg, perfekt<br />
restaurierte Ruine an Ruine. Links und rechts<br />
des Rheins kleben weiß überzuckerte kleine<br />
und kleinste Rebflächen zwischen den Felsen.<br />
Menschen hände haben sie vor Urzeiten mit<br />
Hilfe von Stütz mäuerchen und mühsam angefülltem<br />
Boden den Hängen abgerungen. Lange<br />
schon sind sie stillgelegt. Oft stehen auf ihnen<br />
knorrige, verwilderte Obstbäume, eine letzte, auch<br />
schon wieder vergangene Nutzung. Jetzt klettern<br />
Mufflons behend durch das natürlich renaturierte<br />
Gelände. Nur an ausgewählten Stellen finden sich<br />
größere Rebflächen, die mit ihren exakten Zeilen<br />
fast fremd wirken. Sie tragen wohlklingende<br />
Namen wie »Bopparder Hamm«, »Bacharacher<br />
Hahn Feuerlay« oder »Lorcher Kapellenberg«.<br />
Die berühmteste Weinbergslage findet sich aber<br />
erst am südlichen »Tor zum UNESCO-Weltkulturerbe<br />
Oberes Mittelrheintal«: der Assmannshäuser<br />
Höllenberg.<br />
Schranken rhythmisieren die Zufahrt zum<br />
Höllenberg, seit 1862 die Eisenbahnstrecke zwischen<br />
Lahnstein und Rüdesheim erbaut wurde. In<br />
Assmannshausen scheinen sie häufiger geschlossen<br />
als offen zu sein. Gemächlich rattern Waggon für<br />
Waggon Güterzüge vorbei. Ihr Tempo ist geeignet,<br />
Ungeduldige zur Raserei zu bringen – oder<br />
Gelassene in tiefste Meditation fallen zu lassen.<br />
Doch irgendwann naht das Ende eines jeden Zugs.<br />
Mit einem melancholischen Ping-Ping-Ping hebt<br />
sich die Schranke und gibt den Weg frei durch die<br />
gedrungenen altdeutschen Gässchen und die enge,<br />
lang gezogene Schlucht hinauf Richtung Aulhausen.<br />
Rechts begleiten bis hoch in den waldigen<br />
Hang schmucklose Häuser und Zweck bauten die<br />
Fahrt. Links wird der Blick schnell angezogen von<br />
dem sich in den blauen Winterhimmel reckenden<br />
Höllenberg.<br />
Er nimmt die linke Seite des Tals ein, das sich<br />
nahezu im rechten Winkel in den Taunus schneidet.<br />
Dieser ursprüngliche Teil des Höllenbergs ist<br />
eine reine Südlage. Die Halde – aus diesem Begriff<br />
entwickelte sich einst die Bezeichnung Hölle –<br />
wölbt sich steil in die Höhe bis zum Panoramaweg;<br />
im Norden schließt sich die Lage »Hinterkirch«<br />
an. Reichte der Höllenberg früher bis zu<br />
der markanten Stelle Richtung Rhein, an der sich<br />
der Hang mit der Fließrichtung des Stroms nach<br />
Westen dreht, wurde seine Fläche 1971 um den<br />
anschließenden Teil mehr als verdoppelt.<br />
Nicht nur die exzellente Südlage adelt den<br />
alten Höllenberg. Es ist die homogene, unterschiedlich<br />
starke und gut durchlässige Bodenauflage<br />
aus feinbrüchigem Taunus- Phyllitschiefer,<br />
die ihren Anteil zur Qualität beiträgt. Der<br />
unzweifel hafte Vorzug des leicht erwärmbaren<br />
Schiefer bodens wird wesentlich von der Thermik<br />
zwischen Gebirge und Rhein unterstützt. Die<br />
Wind richtungen wechseln wie auf einer Insel im<br />
Meer: <strong>Das</strong> Land erwärmt sich in der Sonne und<br />
lässt die Luft über sich aufsteigen, nächtens steigt<br />
die Luft über dem dann wärmeren Wasser. Die<br />
abendlichen Fallwinde aus dem Taunus lassen<br />
selbst an heißen Sommertagen die Temperatur<br />
im Höllenberg deutlich sinken. Gerade diese täglichen<br />
Temperaturwechsel ermöglichen den Reben,<br />
vielfältige Aromen in den Trauben auszubilden.<br />
Es ist kein Wunder, dass sich genau an diesem<br />
Ort schon früh eine Rotweintradition herausgebildet<br />
hat. Spätburgundertrauben neigen gegen<br />
Ende der Vegetationszeit unter feuchten Bedingungen<br />
zu einem erhöhten Botrytisbefall. Diese<br />
Edelfäule, die für süße Rieslinge hochwill kommen<br />
ist, kann beim fertigen Spätburgunder nicht nur<br />
unsaubere Geschmackstöne bilden, sondern zerstört<br />
auch die Farbstoffe der Beerenhaut. Der<br />
exzellent belüftetete und schnell abtrocknende<br />
Assmannshäuser Höllenberg begünstigt die Entwicklung<br />
von gesunden und reifen Spät burgundertrauben.<br />
»Klebrot«, das regionale Syno nym für den<br />
Spätburgunder, bringt genau das zum Ausdruck.<br />
Ein schmuckloses Schild neben der Straße<br />
weist den Weg zur Domäne. Hinter einer kleinen<br />
Brücke ist ein kompaktes schiefergedecktes Steingebäude<br />
mit L-förmigem Grundriss zu sehen. Es<br />
ist mit seiner Rückseite halb in den Hangfuß<br />
des Höllenbergs gebaut. Seiner klar gegliederten<br />
Fassade liegt ein turmartiges Gebäude mit<br />
seinen anschließenden Schuppen gegenüber;<br />
zwischen ihnen ergibt sich ein kleiner Platz mit<br />
einer wunderschönen Aussicht auf den Höllenberg.<br />
Der ebenmäßige Eindruck der Architektur<br />
entsteht durch die markan ten Sprossenfenster,<br />
die im Erdgeschoss durch Kreisbögen betont sind.<br />
Auch die Dachgauben mit ihrem eigenen Rhythmus<br />
verstärken den Eindruck einer wohl geplanten<br />
Ordnung.<br />
Sie setzt sich in der inneren Struktur des<br />
Gebäudes fort. Im obersten Geschoss des langen<br />
L-Flügels, der am Hang ebenerdig als Maschinenund<br />
Werkhalle fungiert, werden im Herbst die<br />
Trauben angeliefert. Sie fallen nach dem Entrappen<br />
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Die Dollase-Kolumne<br />
Wein &<br />
Speisen<br />
Text: Jürgen Dollase<br />
Fotos: Guido Bittner<br />
Wein und avantgardistische Küche können ein Problem sein –<br />
müssen es aber nicht. Man sollte dazu zwei Aspekte berücksichtigen.<br />
Moderne strukturalistische Kreationen, also eine Küche, bei<br />
der alle Elemente unter sensorischen Aspekten präzise durchdacht<br />
sind, können völlig unterschiedlich ausfallen.<br />
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W e i n & S p e i s e n<br />
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Kontakt<br />
Intensität<br />
Wein<br />
herbe Noten/<br />
Röstnoten<br />
Gänseleber, nur Törtchen<br />
Zeit<br />
Kontakt<br />
Intensität<br />
Gänseleber plus Passionsfrucht<br />
Zeit<br />
Zweierlei Kraftwerk: Aus dem Restaurant »Aqua« im Ritz-Carlton Hotel der Autostadt in Wolfsburg sendet Sven Elverfeld so feine wie intensive Drei-Sterne-Impulse in die<br />
kulinarischen Landschaften der Welt-Gourmandise<br />
Gänseleber, Passionsfrucht und Ziegenkäse<br />
Wenn Texturen, unterschiedliche Aromen, Kontraste aller Art oder<br />
auch die Kombination von rohen und gegarten Elementen eindeutig<br />
einem Haupt produkt zugeordnet sind (z.B. ein Suprême von der Taube mit<br />
einer Reihe von Mikroelementen als Beilagen), kann man mit dem Wein oft<br />
damit um gehen wie mit einem wesentlich einfacher strukturierten Gericht<br />
der klassischen Küche. Voraussetzung ist allerdings, dass das Geschmacksbild<br />
immer vom Hauptprodukt dominiert wird und die Proportionen aller<br />
weiteren Elemente so bemessen sind, dass sie nur eine begrenzte Wirkung<br />
haben. Anders sieht es bei Gerichten aus, bei denen stark auf Wechselbeziehungen<br />
der Elemente untereinander gesetzt wird und unter Umständen<br />
sogar absichtlich große Kontraste installiert werden. Hier ist natürlich<br />
beim Wein die Gefahr sehr groß, dass er einerseits passt und andererseits<br />
nicht passt und die Weinbegleitung aus diesem Grunde lieber die Flucht ins<br />
Unverbindliche, also zum kleinsten gemeinsamen Nenner antritt. Und hier<br />
wird der zweite Aspekt wichtig. Niemand wird verlangen können, dass die<br />
Küche auf solche genuin kulinarischen Aspekte verzichtet. Deshalb sollte<br />
man diese für die Weinbegleitung oft sehr schwierige Küche als eine Chance<br />
begreifen, grundsätzlich anders vorzugehen, nicht defensiv zu reagieren,<br />
sondern offensiv aktiver werden. Dazu gehört zum Beispiel eine » kreative«<br />
Weinbegleitung, die nicht nur begleiten will, sondern den Wein als ein<br />
weiteres konstruktives Element begreift. So gesehen sollte der Wein mehr<br />
Eigengewicht bekommen. Dazu gehört dann natürlich auch eine wesentlich<br />
aktivere Kommunikation mit dem Gast, der unbedingt auf die verschiedenen<br />
Reaktionen hingewiesen werden sollte. Vielleicht freundet man sich sogar<br />
einmal mit dem Gedanken an, den Gästen eine kleine gedruckte Notiz am<br />
Platz zu lassen …<br />
<strong>Das</strong> Essen: Restaurant Aqua im Ritz-Carlton Hotel der Autostadt,<br />
Wolfsburg<br />
Küchenchef: Sven Elverfeld<br />
Sommelier: Jürgen Giesel<br />
Vorbemerkung<br />
Sven Elverfeld (40) ist Deutschlands neuester Drei-Sterne-Koch und einer<br />
der modernsten deutschen Köche. Eines seiner wichtigsten Merkmale ist, dass<br />
er nicht nur die Kochtechnik von der Klassik bis zur Avantgarde beherrscht,<br />
sondern eine hervorragende Fähigkeit zu subtilem Ab schmecken besitzt.<br />
Diese selbst bei gleichrangigen Kollegen sehr unterschiedlich ausgeprägte<br />
Fähigkeit macht ein Essen bei ihm zu einem außergewöhnlich spannenden<br />
Erlebnis mit vielen ungewöhnlichen Kombinationen und einer »tiefen«, also<br />
besonders gut durchdachten Struktur. Sommelier Jürgen Giesel (30) arbeitet<br />
schon seit 2003 im »Aqua« an der Seite von Elverfeld. Giesel hat eine<br />
der vielfältigsten deutschen Weinkarten zusammengestellt, die auch international<br />
kaum einen Vergleich zu scheuen braucht. Grund dafür ist seine<br />
große Entdeckungslust. Ein wichtiger Nebeneffekt ist der, dass er mit dieser<br />
außergewöhnlich breiten Palette die vielfältige Küche Elverfelds wesentlich<br />
besser begleiten kann.<br />
Der Wein<br />
Ein 2005er Vendimia Tardia »Colección 125” von den Bodegas Julián Chivite, Navarra/ Spanien.<br />
Dieser Moscatel gilt als einer der besten Süßweine Spaniens. Serviert wurde<br />
er mit einer Temperatur von 5°. In der Nase ist der Wein noch etwas zurückhaltend.<br />
Im Mund entwickelt sich zügig eine komplexe Süße, die durch einige<br />
etwas herbere Noten gut ausbalanciert wird. Die Aromen gehen nicht so sehr<br />
in konkrete Fruchtnoten, sondern eher in Richtung Kräuter. Der Eindruck<br />
eines ziemlich individuellen Weines verstärkt sich mit der Zeit noch etwas.<br />
Wie viele große Süßweine wirkt der Wein recht ölig. Im Nachhall bleibt das<br />
Aromenspektrum stabil und verändert sich kaum. <strong>Das</strong> Hauptgewicht liegt im<br />
Körper, also im eigentlichen reaktiven Potential. Nach etwa zehn Minuten<br />
und einer auf 10° angestiegenen Temperatur nähert der Wein sich ein wenig<br />
den klassischen Sauternes-Noten.<br />
<strong>Das</strong> Essen<br />
Diese Foie gras-Komposition ist in gewisser Weise typisch für Sven Elverfeld.<br />
Sie ist aromatisch und texturell präzise durchgearbeitet, und alle Elemente<br />
sind in ihren Proportionen genau aufeinander abgestimmt. Mit seinem<br />
speziellen Talent für Aromenkombinationen gelingt hier die Balance<br />
zwischen Süße, Frucht und Säure ausgesprochen elegant. <strong>Das</strong> Törtchen<br />
hat einen leicht angerösteten Teigboden, dann folgt die Foie gras, dann<br />
Ziegen käse in Gelee, nochmals etwas Foie gras und obenauf Passionsfrucht-<br />
Granulat. Dazu kommt ein Pfeffer- und ein Passionsfruchtjus, wobei der<br />
Pfeffer im Gesamtakkord in erster Linie die würzigeren Noten im Passionsfruchtaroma<br />
verstärkt.<br />
Die Reaktionen<br />
Mit einer ausgewogenen Portion von dem Törtchen bleibt der Wein zunächst<br />
einige Sekunden klar dominant. Dann blenden sich die Aromen vom Essen<br />
ein und erzeugen ein eher klassisch-harmonisches Foie-gras-Süßwein-Bild.<br />
Einige Sekunden später ändert sich das Bild, weil der Wein die Röstnoten<br />
vom Brot und die Säure vom Käse mit seinen herben Teilnoten leicht verstärkt.<br />
Eine erhebliche Veränderung ergibt sich, wenn man eine deutliche<br />
Prise Passionsfruchtjus (plus etwas Pfefferjus) dazunimmt. Der Wein ist zu<br />
diesem Zeitpunkt fünfzehn Minuten im Glas und hat eine Temperatur von<br />
14 °C. Es kommt zu einer schnell einsetzenden, kräftigen Ausweitung des<br />
Spek trums, und zwar sowohl in Richtung Fruchtigkeit wie in Richtung Säure.<br />
In der Summe hat man den Eindruck, als würden alle Noten des Weins verstärkt<br />
und aufgefrischt.<br />
Kommentar<br />
Die Kombination funktioniert sehr gut, weil es zu einer ausweitenden Reaktion<br />
kommt, die weder die Struktur des Essens noch die des Weines beeinträchtigt.<br />
Die Veränderungen beim Wein betreffen nicht seine Zusammensetzung,<br />
sondern wirken eher ein wenig wie unter einem aromatischen<br />
Vergrößerungsglas: man kommt näher heran und entdeckt noch weitere<br />
Feinheiten.<br />
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F I N E<br />
W e i n & S p e i s e n<br />
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H A U T E H O R L O G E R I E A U T H E N T I Q U E<br />
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