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FINE Das Weinmagazin - 01/2009

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: HESSISCHE STAATSWEINGÜTER & KLOSTER EBERBACH.

FINE Das Weinmagazin ist in der Welt der großen Weine zu Hause. Hauptthema: HESSISCHE STAATSWEINGÜTER & KLOSTER EBERBACH.

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1 / <strong>2009</strong> Deutschland € 15<br />

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<strong>Das</strong> <strong>Weinmagazin</strong><br />

Bordeaux 1961<br />

Etikettenschwindel<br />

Château Pichon-Lalande<br />

Etienne Guigal<br />

Peter Morandell<br />

Domaine de la<br />

Romanée-Conti<br />

Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach


50<br />

<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

Philippe Guigal vor Château d’Ampuis: Ein junger Mann, der alles hat und noch mehr will – immer bessere Weine<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

Anwesen, aus dem regionalen Kalkstein gemauert, stehen beidseits<br />

der Ortsdurchfahrt. Und jetzt ist Vosne-Romanée auch<br />

schon zu Ende. Gut hundert Meter weiter wächst ein steinernes<br />

Wegekreuz aus den sanft ansteigenden, wassergesättigten<br />

Weinbergen. Schwere Regentropfen klatschen aufs Autodach.<br />

Zurücksetzen und dann rechts abbiegen in die »Rue derrière<br />

Text: Martin Wurzer-Berger<br />

le Four«, die »Straße hinter dem Ofen«, mit ihren verschlossenen<br />

gelbgrauen Häuserfronten. Ein dunkelrotes Torgitter verbindet<br />

zwei im stumpfen Winkel zueinander stehende Häuser.<br />

Daneben eine ebenfalls dunkelrote Tür unter einem steinernen<br />

Torbogen. Auf der Innenseite der Laibung findet sich eine<br />

handelsübliche Gegensprechanlage. Auf der Klingelwippe steht,<br />

unter einer kleinen Strichzeichnung, auf der das Kreuz aus dem<br />

Weinberg zu sehen ist: »Domaine de la Romanée-Conti«.<br />

Text: Jan-Erik Paulson und Pekka Nuikki<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

F I N E<br />

F I N E<br />

B O U R G O G N E<br />

Ich habe es wirklich gut, denn ich bekomme regelmäßig Einladungen zu Weinproben und<br />

anderen Wein-Veranstaltungen. Aber da ich auch zwei Berufe und eine Familie habe, kann<br />

ich bei weitem nicht alle annehmen. Als ich aber eines Tages eine Einladung zu einem<br />

Mittagessen zu Ehren der berühmten May-Eliane de Lencquesaing in meiner Post fand,<br />

ließ ich sofort alles liegen und stehen. Denn soviel war klar: an dem Tag, irgendwann im<br />

Dezember 2005, sollte ich, Jan-Erik Paulson, im Restaurant Taillevent in Paris sitzen –<br />

und direkt neben Madame höchstselbst, wie sich herausstellte.<br />

Text: Juha Lihtonen<br />

Fotos: Pekka Nuikki<br />

ir sind im Jahr 1924: der vierzehnjährige Etienne Guigal hebt gerade den schweren eisernen Türklopfer an der<br />

WPforte des bekanntesten Weinguts an der Rhône. Er hat einen Traum: <strong>Das</strong>s das Tor sich ihm öffne und er Kellerassistent<br />

in Joseph Vidal-Fleurys renommiertem Haus würde – das wäre der ideale Start in seine berufliche Zukunft.<br />

Genau fünfundachtzig Jahre später öffnet ein junger schlanker, dunkelhaariger Mann ebendiese Tür. Es ist Etienne<br />

Guigals Enkel Philippe. Er ist 37 Jahre alt und mittlerweile der Besitzer des Weinguts Vidal-Fleury, in dem sein Großvater<br />

vom Kellerassistenten zum Kellermeister aufgestiegen war. Heute produziert Philippe einige der weltweit am meisten<br />

geschätzten Weine; er besitzt ein Landhaus im römischen Stil mit Park und Pool, ein Renaissance-Schloss aus dem<br />

16. Jahrhundert, umgeben von makellos gepflegten Gärten, und eine kleine Flotte von Sportwagen. Philippe Guigal führt ein<br />

Leben, wie es sich sein Großvater beim besten Willen auch in seinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können.<br />

F I N E<br />

B o r d E a u x<br />

R H Ô N E<br />

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51<br />

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26<br />

<br />

136<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

Text: Uwe Kauss<br />

Fotos: Thomas Schauer<br />

Es ist schon Mittag und doch nicht richtig hell. Die Straße führt in<br />

steilen Kurven an der wegen Frost verlassenen Baustelle entlang<br />

und unter den Schienen einer Bahnlinie hindurch. Vor flachen<br />

Zweckbauten aus Holz und Metall parken Lastzüge aus Kroatien,<br />

Rumänien und Deutschland. Der Fahrer eines 16-Tonners rangiert<br />

in Seelenruhe zentimeterweise aus einer engen Einfahrt und<br />

blockiert minutenlang die holprige Straße. Statt Januarsonne und<br />

Bergpanorama verhängen graue Wolken den Horizont über Wörgl,<br />

nur ein paar Minuten die Serpentinenstraße hinab vom österreichischen<br />

Kufstein entfernt. 1926 eröffneten Alois und Anna<br />

Morandell hier am Bahnhof ein Gasthaus, das auf großen Kellern<br />

gebaut war. Es ist das Stammhaus von Morandell International,<br />

dem renommiertesten Weinhandelshaus Österreichs.<br />

Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Oliver Rüther<br />

Text: NATALIE MACLEANFotos: OLIVER RÜTHER<br />

Er verströmt einen verlockend vollen Duft mit überraschend grünen<br />

Noten und hat einen guten Biss in der Mitte – und doch bleibt er einem<br />

in der Kehle stecken: Mmmmmm… das schmeckt nach einem richtig<br />

guten Weinskandal. Meistens mischen sich darin auf faszinierende<br />

Weise Prestige, Geldgier, Gerissenheit und Geheimnis. Und sogar<br />

die ehrwürdigsten Namen, ja, gerade sie, sind nicht vor ihm sicher:<br />

Château Pétrus, Château Mouton-Rothschild, Sassicaia und Penfolds<br />

Grange. Aber wer weiß, ob die Zahl nicht viel größer ist – denn bei den<br />

genannten wurden die Täter auf frischer Tat ertappt.<br />

F I N E<br />

F I N E<br />

F I N E<br />

R h E I N g a u<br />

W I S S E N<br />

P o r t r ä t<br />

27<br />

<br />

137<br />

<br />

62<br />

<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

Der fantastische Château Latour 1961 erhielt einstimmig<br />

den höchsten Rang. Dies ist ein wirklich<br />

einzigartiger, klassischer und vollkommener<br />

Wein. Der Château Latour 1961 wurde von<br />

uns über 70 Mal verkostet und erhielt nur acht<br />

Mal weniger als fehlerfreie 100 Punkte! Kein<br />

einziger der circa 60000 Weine, die wir degustiert<br />

haben, kann mit dem hervorragenden und<br />

makellosen Ergebnis des Château Latour 1961<br />

mithalten.<br />

Auch wenn das Jahr 1961 nicht perfekt war, so<br />

waren es doch die Weine! Auf einen verregneten<br />

Winter folgte ein ungewöhnlich warmer Februar.<br />

Die Natur wachte schon in den ersten Februartagen<br />

auf – das heißt einen Monat zu früh. Die<br />

erste Märzhälfte war sehr warm. Am 10. März<br />

zeigten sich die ersten zarten Blätter. Der April<br />

war unbeständig und zum größten Teil zu kalt.<br />

Dadurch wuchsen die Reben langsamer. Auch<br />

die letzten Maitage waren sehr kühl, und am<br />

29.Mai gab es einen Kälteeinbruch. Die Blüten<br />

Text: Jan-Erik Paulson Fotos: Pekka Nuikki<br />

ungewöhnlich ruhig verhalten. Ich kenne diese Phase des Weinhandels recht gut, denn ich<br />

beobachte sie seit nahezu dreißig Jahren aus der Distanz – in dieser Zeit sind mir viele<br />

Jahrgänge als »Jahrhundertjahrgänge« angepriesen worden. Doch nachdem die Weine<br />

abgefüllt und verkauft sind (beziehungsweise, wie im Bordelais der Fall, anders herum),<br />

müssen solche Zuschreibungen oft genug revidiert werden.<br />

Im Verlauf des 19. Jahrhunderts hat es eine Reihe<br />

von berühmten Jahrgängen gegeben, die von Rebstöcken<br />

aus der Zeit vor dem großen Reblausbefall<br />

stammen. Dazu zählen der legendäre »Kometenjahrgang«<br />

1811, 1864, 1865, 1870, 1893, 1895 und<br />

1899. Doch sind die meisten davon so alt, dass<br />

niemand mehr lebt, der sie zu ihrer besten Zeit<br />

getrunken hat und davon erzählen könnte.<br />

Im 20. Jahrhundert wurde der Anspruch auf<br />

den Titel für die Jahrgänge 1900, 1921, 1929, 1945,<br />

1947, 1949 (von mir!), 1959, 1961, 1982, 1989 und<br />

Text: Ellen Alpsten<br />

1990 erhoben. Schon drei von acht Jahrgängen dieses<br />

Jahrhunderts wurden von einer allzu begeisterten<br />

Weinpresse als Kandidaten für den Jahrhundert-Jahrgang<br />

genannt – 2000, 2003 und 2005.<br />

In dem Buch »Die 1000 besten Weinen«<br />

(erschienen im Tre Torri Verlag) ist es der Jahrgang<br />

1961, der am häufigsten als Jahrhundertjahrgang<br />

vorkommt – mit zweiundzwanzig Nennungen.<br />

1945 wird neunzehn Mal als solcher geführt<br />

und 1947 sechzehn Mal, 1982 vierzehn Mal und<br />

1959 dreizehn Mal.<br />

Leidenschaft und Disziplin sind nicht die geringsten Voraussetzungen,<br />

den Titel eines Masters of Wine zu erwerben<br />

Fotos: Thomas Jupa<br />

Nasse Wolle. Borke. Schwefel. Säure. Nordregion. Eiche? Wenn ja, wie viel? Petroleum?<br />

Nein, es geht hier nicht um einen verregneten Herbstspaziergang im Waldsterben: Die<br />

Klasse im zweiten Jahr des Londoner Institute of Masters of Wine tritt zu einem Kurstag<br />

zusammen. Am Ende des Jahres wollen sich die jungen Damen und Herren hier den<br />

Prüfern des härtesten Weinexamens der Welt stellen. Nur zehn Prozent aller Teil nehmer<br />

werden den begehrten Titel des »Master of Wine« (MW) erringen, was diese ebenso<br />

erschreckt wie antreibt. Die rigorose Auslese und die Härte der Ausbildung tun so der<br />

guten Stimmung der Eleven bei ihrem Wiedersehen keinen Abbruch. Sie kommen zwar<br />

aus ganz Europa für diesen Tag in London zusammen, haben sich aber vorher schon immer<br />

wieder zu Weinproben in den jeweiligen Heimatländern getroffen. Nur eines macht einen<br />

guten, sich in seinem Urteil sicheren Koster aus: Üben, üben, üben, das stellen die Lehrer<br />

und die assistierenden MWs schon bei Beginn des Kurses klar. Die angehenden Masters<br />

<strong>2009</strong> denken und leben schon seit den ersten Kurstagen, die mit einem ein wöchigen<br />

Seminar in Österreich begonnen haben, international. Sie treffen sich bei Norbert auf<br />

seinem Weingut im Piemont, besuchen Louise in Antibes und Caro im Rheinland.<br />

Ken hat gerade alle zu einer Probe erstklassiger Burgunder in London eingeladen. Sonst<br />

wissen sie vielleicht nie, wie das schmeckt, sagt der erfolgreiche Anwalt, der gleich seine<br />

Entscheidung über Qualität und Herkunft der Weine mit der kühlen, präzisen Sprache<br />

einer ausgereiften juristischen Argumentation belegen wird.<br />

Keine alltägliche Unternehmung: Die Weinkenner und -liebhaber, die Verkoster<br />

und Genießer von <strong>FINE</strong> haben unter der Leitung von Ralf Frenzel und Pekka<br />

Nuikki alle ihre über Jahre und Jahrzehnte gesammelten Erfahrungen gebündelt<br />

und sich in einem Buch Rechenschaft gegeben über die tausend besten Weine,<br />

die zu trinken sie das Privileg gehabt haben (jetzt erschienen bei Tre Torri).<br />

Wer will, mag es ein Ranking nennen: Vor allem aber ist es eine Liebeserklärung<br />

an die unfassbar herrlichen Wein-Wunder der Welt. Hier präsentieren wir die<br />

absolute Spitze: die zehn besten Weine, die je gemacht und verkostet wurden.<br />

Fotos: PEKKA NUIKKI<br />

erfroren und gleich darauf vertrockneten die<br />

nicht tragfähigen Reben. Dreiviertel der Lese<br />

wurde dadurch zerstört. Im Mai hatte es noch<br />

nie Frost gegeben. Der Juli war im Großen und<br />

Ganzen kein guter Monat. Statt Regen oder Sonne<br />

brachte er nur einen bewölkten Himmel. Auch<br />

in den ersten drei Augustwochen bekamen die<br />

Weinberge zu wenig Sonne und Regen, doch ab<br />

dem 24.August wurde das Wetter schön und<br />

hielt sich bis zum 28.September (es war fast so<br />

trocken wie im Jahr 1949). Am 29.und 30.September<br />

regnete es. Die Wein lese erfolgte bei<br />

starker Hitze vom 19.bis 28.September, was die<br />

Vinifizierung erschwerte. Wie erwartet wurde es<br />

eine kurze Lese mit geringem Ertrag.<br />

Fast alle Flaschen, die wir degustiert haben,<br />

waren in sehr gutem Zustand; nur wenige hatten<br />

eine Füllhöhe von oberer Schulter oder niedriger.<br />

Die ideale Dekantierungsdauer scheint 1,5 Stunden<br />

zu sein. Die letzte Flasche Château Latour<br />

1961 wurde der romantischen Erinnerung an un-<br />

F I N E<br />

F I N E<br />

F I N E<br />

B O R D E A U X<br />

R E p o R t a g E<br />

1961 Château Latour (Pauillac)100 P (2007/2030 ×73 D 1,5h/G 3h)<br />

sere früheren Verkostungserlebnisse gerecht.<br />

Der Wein hat eine wunderschöne, vollreife<br />

dunkel rote Farbe, die am Rand beinahe orange<br />

ist. Die Nase ist rein und offen und klassisch – ein<br />

Bouquet aus perfekt aufeinander abgestimmten<br />

Aromen. Seine Fruchtigkeit ist überwältigend<br />

vollmundig. Dieser himmlisch satte, feste, noch<br />

recht tanninhaltige, vollmundige, sehr nachhaltige<br />

und superfruchtige Klassiker verhalf unserem<br />

gut ausgebildeten Geschmackssinn zu neuem<br />

Leben. Vollkommene Balance und Struktur. Die<br />

Zeit stand still. Unsere Geschmacksempfindungen<br />

in diesem Augenblick lassen sich kaum beschreiben.<br />

Was wir an diesem Goliath am meisten<br />

schätzen, ist sein erstaunlicher und endloser<br />

Abgang. Nicht nur war das Mundgefühl so als<br />

würde man flüssige Seide trinken, sondern der<br />

vornehme Abgang des vielschichtigen Cabernet<br />

blieb eine Ewigkeit am Gaumen erhalten. Der<br />

beste Wein, der uns je begegnet ist. Wir verneigen<br />

uns zutiefst vor ihm.<br />

D I E B E S T E N W E I N E<br />

<br />

63<br />

<br />

34<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Oliver Rüther<br />

F I N E<br />

R h E I N g a u<br />

35<br />

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F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

trutzigen Pfeilern wird durch das gleichmäßig verteilte, doch spärliche Kerzenlicht erst<br />

richtig fühlbar. Nur langsam gewöhnt sich das Auge an die Schwärze. Zahllose gut gefüllte<br />

Wandnischen bergen die wichtigste Weinbibliothek Deutschlands: Kloster Eberbachs<br />

Schatzkammer. Der älteste hier aufbewahrte Wein stammt aus dem Jahr 1706.<br />

Text: Martin Wurzer-Berger<br />

Fotos: Thomas Jupa<br />

F I N E<br />

D E G U S T A T I O N<br />

<br />

E U R O P E A N F I N E W I N E M A G A Z I N E D I E G R O S S E N W E I N E D E R W E L T<br />

Fine Inhalt<br />

Fine Inhalt<br />

<strong>FINE</strong> 1/<strong>2009</strong><br />

Foto: Romané-Conti<br />

In der Bourgogne<br />

das Mass aller Dinge<br />

Ein Besuch auf der Domaine de la Romanée-Conti<br />

n der Kirche vorbei und dann links. Doch ein repräsen-<br />

Gebäude ist hier nirgends zu sehen. Einige Atatives solide<br />

<strong>Das</strong> Weingut,<br />

das keiner haben wollte<br />

Guigal – Die Prinzen der Rhône<br />

Rheingau, zum Träumen: Die lange Mauer des Steinbergs entlang<br />

hinunter nach Kloster Eberbach – dann aber verliert sich der Blick<br />

auf dem glitzernden Südufer des Rheins bei Ingelheim<br />

Der<br />

Wein-Botschafter<br />

Peter Morandell und seine<br />

önologische Sendung<br />

Der Wein der Mönche und der Preussen<br />

Die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach haben<br />

eine grosse Vergangenheit und eine glanzvolle Zukunft<br />

≤≥<br />

ETIKETTEN<br />

SCHWINDEL<br />

Fälschungen und Weinskandale<br />

Château Latour 1961 –<br />

ein wahrhaftig einzigartiger,<br />

klassischer und<br />

vollkommenerWein.<br />

Der beste Wein, dem wir<br />

je begegnet sind.<br />

Wir verbeugen uns vor<br />

seiner Größe.<br />

1961<br />

Der beste Bordeaux aller Zeiten?<br />

Jahrgang<br />

iese Gedanken schreibe ich während der Subskriptionsveranstaltungen für den<br />

DJahrgang 2007 nieder, und mir fällt auf, dass sich Château-Besitzer wie Négociants<br />

Wer sind die ernstzunehmenden Bewerber um den Titel<br />

»Bester Jahrgang aller Zeiten«?<br />

Seite 18 Domaine de la Romanée-Conti Seite 26 Hessische Staatsweingüter<br />

Seite 78 Spitzenjahr 1961<br />

Seite 34 Domäne Assmannshausen<br />

Seite 50 Château Pichon-Longueville Comtesse<br />

Seite 102 Etienne Guigal<br />

Seite 68 Weinfälschungen und Skandale<br />

Seite 136 Peter Morandell<br />

Nr die<br />

Besten<br />

kommen durch<br />

Seite 62 Masters of Wine<br />

D I E<br />

<br />

B E ST E N W E I N E<br />

D I E J E G E M A C H T W U R D E N <br />

N r . 1<br />

Seite 128 Die ersten Zehn<br />

Großem Terroir verpflichtet:<br />

Wo das Rheintal sich besonders<br />

malerisch zeigt, wachsen am<br />

Höllenberg auch besondere Reben<br />

Jahrhunderte<br />

für den<br />

Spätburgunder<br />

Die Domäne Assmannshausen und ihr Höllenberg<br />

13 Fine Editorial Thomas Schröder<br />

14 Fine Degustation Die Fine-Kriterien<br />

18 Fine Bourgogne Domaine de la Romanée-Conti<br />

26 Fine Rheingau Hessische Staatsweingüter Kloster Eberbach<br />

34 Fine Rheingau Domäne Assmannshausen<br />

42 Fine Degustation Vergleichsprobe Höllenberg / Pinot Noir<br />

50 Fine Bordeaux Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande<br />

56 Fine <strong>Das</strong> Große Dutzend Château Pichon-Longueville Comtesse de Lalande<br />

62 Fine Reportage Institute of Masters of Wine<br />

68 Fine Wissen Weinfälschungen<br />

76 Fine Reiner Wein Anne Zielke<br />

78 Fine Bordeaux Bordeaux 1961, ein Spitzen-Jahrgang<br />

86 Fine Wein & Speisen Die Dollase-Kolumne<br />

94 Fine Bordeaux Weinprobe & Kunst, 1960–1967<br />

102 Fine Rhône Etienne Guigal<br />

110 Fine Wein-Lifestyle The Napa Valley Reserve<br />

120 Fine Degustation Bordeaux 1961<br />

124 Fine Degustation Australien: Premium Shiraz 1998<br />

128 Fine Die 1000 besten Weine Die ersten Zehn<br />

136 Fine Porträt Peter Morandell<br />

146 Fine Abgang Ralf Frenzel<br />

Die erregendste Vergleichsprobe des Jahres: Assmannshäuser Höllenberg<br />

)))))))$<br />

)$<br />

und grosse Burgunder Pinot Noirs von 1959 bis 1921<br />

uerst wird es ganz finster. Freundliche Geister warnen vor der mächtigen<br />

Zeichenhölzernen Doppelschwelle. Die Größe des gewölbten Raums mit seinen<br />

Seite 42 Vergleichsprobe Höllenberg / Pinot Noir<br />

10<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

I n h a l t<br />

11


Rheingau, zum Träumen: Die lange Mauer des Steinbergs entlang<br />

hinunter nach Kloster Eberbach – dann aber verliert sich der Blick<br />

auf dem glitzernden Südufer des Rheins bei Ingelheim<br />

Der Wein der<br />

Mönche und der Preussen<br />

Die Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach haben<br />

eine grosse Vergangenheit und eine glanzvolle Zukunft<br />

≤≥<br />

Text: Martin Wurzer-Berger<br />

Fotos: Oliver Rüther<br />

26<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

R h e i n g a u<br />

27


Bis in das Jahr 1938 zurück führt der Rüdesheimer Dickerstein Riesling; 1971 ist der Lagenname<br />

im »Berg Rottland« aufgegangen. Dunkelgelb, ein angemessener Alterungston und<br />

im Geschmack bienenwachsig wartet er mit einem aromatischen Nachhall auf. Sein jetziges<br />

Gegenüber (und auch in der Lage der direkte Nachbar) aus dem Rüdesheimer Berg Schlossberg,<br />

ein »2007er Riesling Erstes Gewächs trocken«, begeistert mit seinem überbordenden Duft<br />

und seiner hohen Reife. Die lebendige Säure wird im Mund von einer spürbaren Mineralik<br />

ergänzt. Der Nachhall bestätigt die Erwartungen an ein Erstes Gewächs.<br />

Seit acht Jahren leitet Dieter Greiner die Geschicke der Staatsweingüter.<br />

In diese Zeit fallen die wichtigsten Entscheidungen, seit das Land Hessen<br />

1946 Eigentümer der Domänen wurde. Namhafte Leiter – wie der legendäre<br />

Hans Ambrosi von 1966 bis 1990 – konnten bei aller Anstrengung die<br />

Schwäche der Staatsweingüter zwischen 1960 und der Jahrtausendwende<br />

nicht wirklich verhindern. Doch spätestens 2003, seit der Überführung der<br />

Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach von einem Landesbetrieb in<br />

eine GmbH, zeichnete sich eine Kehrtwende ab. Sie wurde beschleunigt<br />

durch den Eintritt von Ralf Bengel, zunächst als Betriebsleiter in der Domäne<br />

Assmannshausen. Zwei Jahre später, nach dem Ausscheiden von Fred Prinz,<br />

übernahm Bengel auch die önologische Verantwortung über den Gesamtbetrieb.<br />

Zwei Schwaben also an der Spitze der insgesamt zweihundert Hektar<br />

großen Staatsweingüter.<br />

Zwei Rieslinge aus dem legendären Steinberg, ein »Kabinett trocken Goldkapsel« aus 2007<br />

und ein »Riesling« aus dem Jahr 1953 geben den Blick auf das Kloster Eberbach und damit<br />

tief in die Geschichte frei.<br />

Zwölf Zisterziensermönche kamen 1136 mit einem von Clairvaux bestimmten<br />

Gründungsabt nach Eberbach und übernahmen das dort ansässige Augustinerkloster.<br />

Ihr Orden wurde nach 1098 gegründet und verstand sich als Erneuerung<br />

und Verschärfung des verweltlichten Benediktinertums. Eine innovative<br />

Organisationsform in der Art eines Mönchsordens im heutigen Sinn<br />

und ihre Strenge machten sie schnell und in ganz Europa höchst erfolgreich.<br />

Von der Welt abgewandt strebten sie ein wirtschaftlich autarkes Leben von<br />

eigener Hände Arbeit und dauerndes Gotteslob im Stundengebet an. Die<br />

von Cîteaux und seinen vier Tochterklöstern ausgehenden Filiationen waren<br />

verpflichtet, einen Vertreter zum jährlichen Generalkapitel ins burgundische<br />

Cîteaux zu schicken. Dort wurden alle Belange des Ordenslebens diskutiert.<br />

Hierzu zählten auch ein reger fachlicher Austausch über die Landwirtschaft<br />

und insbesondere den Weinbau. <strong>Das</strong> ist der ausschlaggebende Grund für die<br />

erstaunliche Weinqualität im Kloster Eberbach.<br />

Die zisterziensische Klosterwirtschaft fußte auf einem System von<br />

»Grangien«. Darunter sind den Klöstern zugeordnete Wirtschaftshöfe mit<br />

ihren Ländereien zu verstehen. Sie wurden von Conversen, der Ordensregel<br />

unterworfenen Laienbrüdern, geleitet und erwirtschafteten einen beträchtlichen<br />

Anteil am großen ökonomischen Erfolg des Ordens. Der kontinuierlich<br />

wachsende Grundbesitz stammte zu großen Teilen aus Stiftungen des<br />

regionalen Adels, der sein Seelenheil durch die spirituell überzeugenden,<br />

konsequenten und zielstrebigen Zisterzienser besser gesichert sah als in den<br />

überkommenen Formen kirchlichen Lebens. Obwohl die Weinbaufläche im<br />

Kloster einen relativ kleinen Teil ausmachte, wurde in kürzester Zeit ein substanzieller<br />

Gewinn gerade aus diesem Wirtschaftszweig gezogen.<br />

Noch eine gute Woche bis zum Jahreswechsel. Dieter Greiner, Geschäftsführer<br />

der Hessischen Staatsweingüter Kloster Eberbach, zündet mit<br />

sichtlichem Vergnügen schon jetzt sein Silvester-Feuerwerk: Fünf Flaschenpärchen<br />

stehen auf dem schlichten Tisch im Verkostungsraum des neuen<br />

Steinbergkellers. Aus Assmannshausen, aus Rüdesheim, aus dem Steinberg,<br />

aus Rauenthal und noch einmal aus dem Steinberg. Es sind ungleiche Pärchen<br />

mit substanziellen Altersunterschieden.<br />

Zwischen den Partnern aus dem Assmannshäuser Höllenberg liegen 45 Jahre. Der jüngere<br />

Vertreter, eine Spät burgunder Auslese trocken 2004 ist ein »Mauerwein« (Seite 38) und<br />

schmeckt, wie ein bester Spätburgunder aus dem Höllenberg eben schmecken muss: aromatisch,<br />

ein wenig Holz, die Fülle von halbgetrockneten Pflaumen, ein bisschen Eau de vie, schwarze<br />

Kirschen im Nachhall. Sein Vorgänger aus dem legendären Jahr 1959 mit seinem Schwarze-<br />

Johannisbeeren-Duft ist speckig-rauchig, würzig und zeigt ein langes Finale. Die große<br />

Burgund-Assmannshausen-Probe (Seite 42) in drei Wochen wird mit genau diesem Wein<br />

eröffnet werden – auch hier kein schlechter Beginn.<br />

Die Domäne Assmannshausen ist die westlichste der sechs Domänen, die<br />

gemeinsam die Hessischen Staatsweingüter bilden. Wie Perlen auf einer<br />

Schnur markieren sie die besten Lagen entlang der Rheinfront. Ein Who’s<br />

Who des Rheingaus: Rüdesheim, Steinberg, Rauenthal, Hochheim und – als<br />

südlichstem Vorposten nicht mehr zum Rheingau zählend – die Domäne<br />

in Bensheim an der Hessischen Bergstraße. <strong>Das</strong> Königreich Preußen verschaffte<br />

diesen Domänen ihren Zusammenschluss und damit eine erste Blüte.<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts als Musterbetriebe konzipiert, sammelten sie<br />

auf der Höhe ihrer Zeit Wissen und Erfahrung, den regionalen Winzern zur<br />

Anschauung und zum Ansporn. Zugleich wurde in substanziellen Mengen<br />

qualitativ hochstehender Wein gewonnen. Die besten Weine wurden in<br />

der Schatzkammer des Klosters Eberbach verwahrt und sind so auf uns<br />

gekommen.<br />

Weinarchitektur, zum Schwärmen:<br />

Licht und transparent strahlen<br />

die Rieslinge im Tasting Room des<br />

eleganten Guts neu baus – im dunklen<br />

Dämmer der historischen Gewölbe<br />

aber ruhen die Weine in der Schatzkammer<br />

zu Kloster Eberbach<br />

28<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

R h e i n g a u<br />

29


Jahrhunderte<br />

für den<br />

Spätburgunder<br />

Die Domäne Assmannshausen und ihr Höllenberg<br />

Text: Martin Wurzer-Berger Fotos: Oliver Rüther<br />

Großem Terroir verpflichtet:<br />

Wo das Rheintal sich besonders<br />

malerisch zeigt, wachsen am<br />

Höllenberg auch besondere Reben<br />

34<br />

F I N E 1 / <strong>2009</strong><br />

F I N E<br />

R h e i n g a u<br />

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Alter Tradition verbunden: Ralf Bengel, Kellermeister<br />

der Hessischen Staatsweingüter, arbeitet im Fasskeller<br />

der Domäne Assmannshausen an der Qualitätsrenaissance<br />

des Spätburgunders vom Höllenberg.<br />

Es ist ein sonniger, klirrendkalter Wintertag.<br />

Von Koblenz kommend blättert sich der<br />

Mittel rhein stromaufwärts in seiner ganzen<br />

Schönheit auf. Burg reiht sich an Burg, perfekt<br />

restaurierte Ruine an Ruine. Links und rechts<br />

des Rheins kleben weiß überzuckerte kleine<br />

und kleinste Rebflächen zwischen den Felsen.<br />

Menschen hände haben sie vor Urzeiten mit<br />

Hilfe von Stütz mäuerchen und mühsam angefülltem<br />

Boden den Hängen abgerungen. Lange<br />

schon sind sie stillgelegt. Oft stehen auf ihnen<br />

knorrige, verwilderte Obstbäume, eine letzte, auch<br />

schon wieder vergangene Nutzung. Jetzt klettern<br />

Mufflons behend durch das natürlich renaturierte<br />

Gelände. Nur an ausgewählten Stellen finden sich<br />

größere Rebflächen, die mit ihren exakten Zeilen<br />

fast fremd wirken. Sie tragen wohlklingende<br />

Namen wie »Bopparder Hamm«, »Bacharacher<br />

Hahn Feuerlay« oder »Lorcher Kapellenberg«.<br />

Die berühmteste Weinbergslage findet sich aber<br />

erst am südlichen »Tor zum UNESCO-Weltkulturerbe<br />

Oberes Mittelrheintal«: der Assmannshäuser<br />

Höllenberg.<br />

Schranken rhythmisieren die Zufahrt zum<br />

Höllenberg, seit 1862 die Eisenbahnstrecke zwischen<br />

Lahnstein und Rüdesheim erbaut wurde. In<br />

Assmannshausen scheinen sie häufiger geschlossen<br />

als offen zu sein. Gemächlich rattern Waggon für<br />

Waggon Güterzüge vorbei. Ihr Tempo ist geeignet,<br />

Ungeduldige zur Raserei zu bringen – oder<br />

Gelassene in tiefste Meditation fallen zu lassen.<br />

Doch irgendwann naht das Ende eines jeden Zugs.<br />

Mit einem melancholischen Ping-Ping-Ping hebt<br />

sich die Schranke und gibt den Weg frei durch die<br />

gedrungenen altdeutschen Gässchen und die enge,<br />

lang gezogene Schlucht hinauf Richtung Aulhausen.<br />

Rechts begleiten bis hoch in den waldigen<br />

Hang schmucklose Häuser und Zweck bauten die<br />

Fahrt. Links wird der Blick schnell angezogen von<br />

dem sich in den blauen Winterhimmel reckenden<br />

Höllenberg.<br />

Er nimmt die linke Seite des Tals ein, das sich<br />

nahezu im rechten Winkel in den Taunus schneidet.<br />

Dieser ursprüngliche Teil des Höllenbergs ist<br />

eine reine Südlage. Die Halde – aus diesem Begriff<br />

entwickelte sich einst die Bezeichnung Hölle –<br />

wölbt sich steil in die Höhe bis zum Panoramaweg;<br />

im Norden schließt sich die Lage »Hinterkirch«<br />

an. Reichte der Höllenberg früher bis zu<br />

der markanten Stelle Richtung Rhein, an der sich<br />

der Hang mit der Fließrichtung des Stroms nach<br />

Westen dreht, wurde seine Fläche 1971 um den<br />

anschließenden Teil mehr als verdoppelt.<br />

Nicht nur die exzellente Südlage adelt den<br />

alten Höllenberg. Es ist die homogene, unterschiedlich<br />

starke und gut durchlässige Bodenauflage<br />

aus feinbrüchigem Taunus- Phyllitschiefer,<br />

die ihren Anteil zur Qualität beiträgt. Der<br />

unzweifel hafte Vorzug des leicht erwärmbaren<br />

Schiefer bodens wird wesentlich von der Thermik<br />

zwischen Gebirge und Rhein unterstützt. Die<br />

Wind richtungen wechseln wie auf einer Insel im<br />

Meer: <strong>Das</strong> Land erwärmt sich in der Sonne und<br />

lässt die Luft über sich aufsteigen, nächtens steigt<br />

die Luft über dem dann wärmeren Wasser. Die<br />

abendlichen Fallwinde aus dem Taunus lassen<br />

selbst an heißen Sommertagen die Temperatur<br />

im Höllenberg deutlich sinken. Gerade diese täglichen<br />

Temperaturwechsel ermöglichen den Reben,<br />

vielfältige Aromen in den Trauben auszubilden.<br />

Es ist kein Wunder, dass sich genau an diesem<br />

Ort schon früh eine Rotweintradition herausgebildet<br />

hat. Spätburgundertrauben neigen gegen<br />

Ende der Vegetationszeit unter feuchten Bedingungen<br />

zu einem erhöhten Botrytisbefall. Diese<br />

Edelfäule, die für süße Rieslinge hochwill kommen<br />

ist, kann beim fertigen Spätburgunder nicht nur<br />

unsaubere Geschmackstöne bilden, sondern zerstört<br />

auch die Farbstoffe der Beerenhaut. Der<br />

exzellent belüftetete und schnell abtrocknende<br />

Assmannshäuser Höllenberg begünstigt die Entwicklung<br />

von gesunden und reifen Spät burgundertrauben.<br />

»Klebrot«, das regionale Syno nym für den<br />

Spätburgunder, bringt genau das zum Ausdruck.<br />

Ein schmuckloses Schild neben der Straße<br />

weist den Weg zur Domäne. Hinter einer kleinen<br />

Brücke ist ein kompaktes schiefergedecktes Steingebäude<br />

mit L-förmigem Grundriss zu sehen. Es<br />

ist mit seiner Rückseite halb in den Hangfuß<br />

des Höllenbergs gebaut. Seiner klar gegliederten<br />

Fassade liegt ein turmartiges Gebäude mit<br />

seinen anschließenden Schuppen gegenüber;<br />

zwischen ihnen ergibt sich ein kleiner Platz mit<br />

einer wunderschönen Aussicht auf den Höllenberg.<br />

Der ebenmäßige Eindruck der Architektur<br />

entsteht durch die markan ten Sprossenfenster,<br />

die im Erdgeschoss durch Kreisbögen betont sind.<br />

Auch die Dachgauben mit ihrem eigenen Rhythmus<br />

verstärken den Eindruck einer wohl geplanten<br />

Ordnung.<br />

Sie setzt sich in der inneren Struktur des<br />

Gebäudes fort. Im obersten Geschoss des langen<br />

L-Flügels, der am Hang ebenerdig als Maschinenund<br />

Werkhalle fungiert, werden im Herbst die<br />

Trauben angeliefert. Sie fallen nach dem Entrappen<br />

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F I N E<br />

R h e i n g a u<br />

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Die Dollase-Kolumne<br />

Wein &<br />

Speisen<br />

Text: Jürgen Dollase<br />

Fotos: Guido Bittner<br />

Wein und avantgardistische Küche können ein Problem sein –<br />

müssen es aber nicht. Man sollte dazu zwei Aspekte berücksichtigen.<br />

Moderne strukturalistische Kreationen, also eine Küche, bei<br />

der alle Elemente unter sensorischen Aspekten präzise durchdacht<br />

sind, können völlig unterschiedlich ausfallen.<br />

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F I N E<br />

W e i n & S p e i s e n<br />

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Kontakt<br />

Intensität<br />

Wein<br />

herbe Noten/<br />

Röstnoten<br />

Gänseleber, nur Törtchen<br />

Zeit<br />

Kontakt<br />

Intensität<br />

Gänseleber plus Passionsfrucht<br />

Zeit<br />

Zweierlei Kraftwerk: Aus dem Restaurant »Aqua« im Ritz-Carlton Hotel der Autostadt in Wolfsburg sendet Sven Elverfeld so feine wie intensive Drei-Sterne-Impulse in die<br />

kulinarischen Landschaften der Welt-Gourmandise<br />

Gänseleber, Passionsfrucht und Ziegenkäse<br />

Wenn Texturen, unterschiedliche Aromen, Kontraste aller Art oder<br />

auch die Kombination von rohen und gegarten Elementen eindeutig<br />

einem Haupt produkt zugeordnet sind (z.B. ein Suprême von der Taube mit<br />

einer Reihe von Mikroelementen als Beilagen), kann man mit dem Wein oft<br />

damit um gehen wie mit einem wesentlich einfacher strukturierten Gericht<br />

der klassischen Küche. Voraussetzung ist allerdings, dass das Geschmacksbild<br />

immer vom Hauptprodukt dominiert wird und die Proportionen aller<br />

weiteren Elemente so bemessen sind, dass sie nur eine begrenzte Wirkung<br />

haben. Anders sieht es bei Gerichten aus, bei denen stark auf Wechselbeziehungen<br />

der Elemente untereinander gesetzt wird und unter Umständen<br />

sogar absichtlich große Kontraste installiert werden. Hier ist natürlich<br />

beim Wein die Gefahr sehr groß, dass er einerseits passt und andererseits<br />

nicht passt und die Weinbegleitung aus diesem Grunde lieber die Flucht ins<br />

Unverbindliche, also zum kleinsten gemeinsamen Nenner antritt. Und hier<br />

wird der zweite Aspekt wichtig. Niemand wird verlangen können, dass die<br />

Küche auf solche genuin kulinarischen Aspekte verzichtet. Deshalb sollte<br />

man diese für die Weinbegleitung oft sehr schwierige Küche als eine Chance<br />

begreifen, grundsätzlich anders vorzugehen, nicht defensiv zu reagieren,<br />

sondern offensiv aktiver werden. Dazu gehört zum Beispiel eine » kreative«<br />

Weinbegleitung, die nicht nur begleiten will, sondern den Wein als ein<br />

weiteres konstruktives Element begreift. So gesehen sollte der Wein mehr<br />

Eigengewicht bekommen. Dazu gehört dann natürlich auch eine wesentlich<br />

aktivere Kommunikation mit dem Gast, der unbedingt auf die verschiedenen<br />

Reaktionen hingewiesen werden sollte. Vielleicht freundet man sich sogar<br />

einmal mit dem Gedanken an, den Gästen eine kleine gedruckte Notiz am<br />

Platz zu lassen …<br />

<strong>Das</strong> Essen: Restaurant Aqua im Ritz-Carlton Hotel der Autostadt,<br />

Wolfsburg<br />

Küchenchef: Sven Elverfeld<br />

Sommelier: Jürgen Giesel<br />

Vorbemerkung<br />

Sven Elverfeld (40) ist Deutschlands neuester Drei-Sterne-Koch und einer<br />

der modernsten deutschen Köche. Eines seiner wichtigsten Merkmale ist, dass<br />

er nicht nur die Kochtechnik von der Klassik bis zur Avantgarde beherrscht,<br />

sondern eine hervorragende Fähigkeit zu subtilem Ab schmecken besitzt.<br />

Diese selbst bei gleichrangigen Kollegen sehr unterschiedlich ausgeprägte<br />

Fähigkeit macht ein Essen bei ihm zu einem außergewöhnlich spannenden<br />

Erlebnis mit vielen ungewöhnlichen Kombinationen und einer »tiefen«, also<br />

besonders gut durchdachten Struktur. Sommelier Jürgen Giesel (30) arbeitet<br />

schon seit 2003 im »Aqua« an der Seite von Elverfeld. Giesel hat eine<br />

der vielfältigsten deutschen Weinkarten zusammengestellt, die auch international<br />

kaum einen Vergleich zu scheuen braucht. Grund dafür ist seine<br />

große Entdeckungslust. Ein wichtiger Nebeneffekt ist der, dass er mit dieser<br />

außergewöhnlich breiten Palette die vielfältige Küche Elverfelds wesentlich<br />

besser begleiten kann.<br />

Der Wein<br />

Ein 2005er Vendimia Tardia »Colección 125” von den Bodegas Julián Chivite, Navarra/ Spanien.<br />

Dieser Moscatel gilt als einer der besten Süßweine Spaniens. Serviert wurde<br />

er mit einer Temperatur von 5°. In der Nase ist der Wein noch etwas zurückhaltend.<br />

Im Mund entwickelt sich zügig eine komplexe Süße, die durch einige<br />

etwas herbere Noten gut ausbalanciert wird. Die Aromen gehen nicht so sehr<br />

in konkrete Fruchtnoten, sondern eher in Richtung Kräuter. Der Eindruck<br />

eines ziemlich individuellen Weines verstärkt sich mit der Zeit noch etwas.<br />

Wie viele große Süßweine wirkt der Wein recht ölig. Im Nachhall bleibt das<br />

Aromenspektrum stabil und verändert sich kaum. <strong>Das</strong> Hauptgewicht liegt im<br />

Körper, also im eigentlichen reaktiven Potential. Nach etwa zehn Minuten<br />

und einer auf 10° angestiegenen Temperatur nähert der Wein sich ein wenig<br />

den klassischen Sauternes-Noten.<br />

<strong>Das</strong> Essen<br />

Diese Foie gras-Komposition ist in gewisser Weise typisch für Sven Elverfeld.<br />

Sie ist aromatisch und texturell präzise durchgearbeitet, und alle Elemente<br />

sind in ihren Proportionen genau aufeinander abgestimmt. Mit seinem<br />

speziellen Talent für Aromenkombinationen gelingt hier die Balance<br />

zwischen Süße, Frucht und Säure ausgesprochen elegant. <strong>Das</strong> Törtchen<br />

hat einen leicht angerösteten Teigboden, dann folgt die Foie gras, dann<br />

Ziegen käse in Gelee, nochmals etwas Foie gras und obenauf Passionsfrucht-<br />

Granulat. Dazu kommt ein Pfeffer- und ein Passionsfruchtjus, wobei der<br />

Pfeffer im Gesamtakkord in erster Linie die würzigeren Noten im Passionsfruchtaroma<br />

verstärkt.<br />

Die Reaktionen<br />

Mit einer ausgewogenen Portion von dem Törtchen bleibt der Wein zunächst<br />

einige Sekunden klar dominant. Dann blenden sich die Aromen vom Essen<br />

ein und erzeugen ein eher klassisch-harmonisches Foie-gras-Süßwein-Bild.<br />

Einige Sekunden später ändert sich das Bild, weil der Wein die Röstnoten<br />

vom Brot und die Säure vom Käse mit seinen herben Teilnoten leicht verstärkt.<br />

Eine erhebliche Veränderung ergibt sich, wenn man eine deutliche<br />

Prise Passionsfruchtjus (plus etwas Pfefferjus) dazunimmt. Der Wein ist zu<br />

diesem Zeitpunkt fünfzehn Minuten im Glas und hat eine Temperatur von<br />

14 °C. Es kommt zu einer schnell einsetzenden, kräftigen Ausweitung des<br />

Spek trums, und zwar sowohl in Richtung Fruchtigkeit wie in Richtung Säure.<br />

In der Summe hat man den Eindruck, als würden alle Noten des Weins verstärkt<br />

und aufgefrischt.<br />

Kommentar<br />

Die Kombination funktioniert sehr gut, weil es zu einer ausweitenden Reaktion<br />

kommt, die weder die Struktur des Essens noch die des Weines beeinträchtigt.<br />

Die Veränderungen beim Wein betreffen nicht seine Zusammensetzung,<br />

sondern wirken eher ein wenig wie unter einem aromatischen<br />

Vergrößerungsglas: man kommt näher heran und entdeckt noch weitere<br />

Feinheiten.<br />

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F I N E<br />

W e i n & S p e i s e n<br />

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H A U T E H O R L O G E R I E A U T H E N T I Q U E<br />

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