Mallorca multi-kulti - New Mallorca

10
Mallorca
ein sehr begrenztes Leben, aber ein geschlossenes System. Es ging allen mehr
oder weniger gleich. Kino war das Highlight des Monats. An den Sonntagen im
Sommer fuhren die Familien oft an den Strand, wo die Frauen ein kleines Feuer
entfachten, während die Jungen aus dem Meer die nötigen Zutaten für das
Mittagessen holten: kleine Fische, Muscheln und „pops“ (kleine Kraken), die zu
einer leckeren Paella am Strand zubereitet wurden. Damals gab es noch genug
Meeresfrüchte im Wasser.
Heute sagen mir viele alte Mallorquiner: „Wir hatten das Paradies, doch wir
waren uns dessen nicht bewußt“.
Alles das, was ich hier erzähle, fand nicht etwa Ende des 19. Jahrhunderts statt
– nein, dies alles erlebte meine mallorquinische Familie bis Mitte der Sechziger
Jahre! In dieser Zeit fand in Deutschland schon das Wirtschaftswunder statt,
der VW Käfer rollte auf deutschen Straßen, die ersten Gastarbeiter kamen nach
Deutschland, die Deutschen begannen, in den Urlaub zu fahren, die ersten
Charterflüge landeten auf dem noch kleinen Flughafen von Palma de Mallorca...
Und hier schließt sich dann der Kreis. Der Massen-Tourismus begann, Einzug
auf Mallorca zu halten. „Mallorca - der Germanengrill im Mittelmeer“ (so der
Text einer Fernsehreportage von 1965) wurde zu einem beliebten Ferienziel, vor
allem der Deutschen. Die Einheimischen sahen, wie die Fremden lebten, über
welche Mittel sie verfügten, und wollten auch davon profitieren. Der Tourismus
bot viele Arbeitsplätze. Manch ehemaliger Landwirt verkaufte sein Land,
machte Geschäfte mit den Reiseveranstaltern und wurde zum Hoteldirektor. Der
Lebensstandard stieg. Manche Handwerksbetriebe früherer Industriezweige der
Insel, wie Webereien, Schustereien und Schreinereien, schlossen, weil mit dem
Tourismus leichter und schneller Geld zu verdienen war.
Und so kam es, dass Mallorca immer abhängiger wurde von diesem einen
Wirtschaftszweig. Aber die Konsequenz war auch ein allgemeiner Preisanstieg.
Früher hatte jedes junge Paar ein eigenes Dach über dem Kopf, das aus der Familie
an sie überging, heute versuchen viele, sich ein eigenes Zuhause mit einer
Hypothek zu ermöglichen, die sie dann oftmals nicht mehr bezahlen können.
Die Feriengäste, die hier aus ihrem Alltag ausbrechen, feiern und sich so verhalten,
wie sie es zuhause niemals tun würden, geben den jungen Einheimischen
ein falsches Bild des Lebens. Das ist nicht das wahre Leben, das ist Urlaubsstim-