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Sie hungern und verletzen sich selbst.<br />
Manchmal auch mit der Absicht, ihr<br />
Leben zu beenden. Meistens aber suchen<br />
sie nur den Ausweg aus ihrem Alltag. Die<br />
Geschichte dreier junger Frauen, deren<br />
Wunsch es ist, glücklich und gesund zu sein<br />
und anderen Mädchen Mut zu machen.<br />
Text und Fotos: Alexandra Stanić<br />
Mit elf habe ich mich das erste Mal geritzt.“<br />
Lara * blickt mir selbstbewusst in die<br />
Augen, während sie erzählt. Ihre Arme<br />
sind gezeichnet von alten und frischen<br />
Narben. Die Schnitte sind über ihre beiden Unterarme<br />
verteilt; rosa ausgeblichen an manchen Stellen, dunkelrot<br />
und verkrustet an anderen. „Mein Leben lang war ich<br />
in allem die Beste. Irgendwann konnte ich diesem Druck<br />
nicht mehr standhalten.“ Zudem musste sie oft die Rolle<br />
der Mutter übernehmen. „Meine Mama hat schreckliche<br />
Angst vor allem. Wenn mein Bruder oder ich einmal<br />
Kopfweh haben, vermutet sie direkt einen Tumor und<br />
schickt uns zu fünf verschiedenen Ärzten.“ Lara geht<br />
sehr offen mit ihrer psychischen Erkrankung um. Sie<br />
lacht laut und herzlich, drückt sich sehr herb aus. Letzten<br />
Sommer verbrachte Lara im Krankenhaus. Sie litt an<br />
Anorexie, wog 36 Kilo. Einen Monat lang musste sie in<br />
der Kinder- und Jugendpsychiatrie im Allgemeinen Krankenhaus<br />
(AKH) Wien leben. Erst als sie dort krebskranke<br />
Kinder kennenlernt, versteht sie, wie wertvoll ihr eigenes<br />
Leben ist. Sie schafft es, ihre Essstörung in den Griff<br />
zu bekommen. „Ich habe mir als Ziel gesetzt zu leben,<br />
diesen Willen konnte ich auch durchsetzen“, erklärt die<br />
heute <strong>17</strong>-Jährige.<br />
„ICH SCHÄME MICH NICHT<br />
FÜR MEINE NARBEN.“<br />
Ich wusste schon vor Laras Geschichte, dass Anorexie<br />
und Selbstverletzung bei jungen Frauen verbreitet sind.<br />
Auch ich habe als Teenager Mädchen gekannt, die mit<br />
einer Essstörung zu kämpfen hatten. Diese Erkrankung<br />
gibt es nicht erst seit Kurzem. Damals war mir aber nicht<br />
bewusst, wie Essstörungen entstehen und welche Folgen<br />
sie haben. Das hat sich mittlerweile geändert. Rahel<br />
Jahoda, die Leiterin des „intakt“ Therapiezentrums für<br />
Menschen mit Essstörung, erklärt mir, dass allein in<br />
Wien ein akutes Risiko besteht, dass mehr als 2000<br />
Mädchen an Anorexia Nervosa oder Bulimia Nervosa<br />
erkranken. Zum Vergleich: Von dieser Gefahr sind rund<br />
100 Burschen betroffen. Zudem sei bei den stationären<br />
Spitalsaufenthalten in Österreich eine deutliche Zunahme<br />
der Aufenthalte aufgrund einer Essstörung festzustellen.<br />
1989 waren es 269 Personen, 2000 waren es<br />
1471 Spitalsaufenthalte. Die Dunkelziffer ist sehr hoch.<br />
In den letzten Wochen hatte ich durch mein Fotoprojekt<br />
„Young Rebels“ mit vielen jungen Frauen zu tun.<br />
Seit April fotografiere ich Mädchen zwischen 13 und 18<br />
und spreche mit ihnen über die Schwierigkeiten, die sie<br />
in diesem Alter haben. Ihre Fotos und ihre Geschichte<br />
poste ich dann auf meinem Instagram-Account. Eine von<br />
ihnen ist Lara * . Als wir das Fotoshooting vereinbaren,<br />
weiß ich noch nichts von ihrer psychischen Erkrankung.<br />
Erst am Tag unseres Treffens entdecke ich ihre<br />
Narben – sie versteckt sie auch nicht. Ich erkläre ihr,<br />
dass die Schnitte nicht mit aufs Foto müssen und dass<br />
sie entscheidet, wie viel sie mir erzählt. Sie solle sich<br />
nicht verpflichtet fühlen, meine Fragen zu beantworten.<br />
„Keine Sorge, ich schäme mich nicht für meine Narben<br />
und akzeptiere mich so wie ich bin“, erklärt Lara.<br />
„Außerdem ist es an der Zeit, dieses Tabu zu brechen.“<br />
Ich bin erstaunt, wie reif sie mit <strong>17</strong> ist. Laras Fotos finden<br />
auf Instagram hohen Anklang. Eine Userin schreibt<br />
mir eine private Nachricht: „Ich wollte dir nur sagen,<br />
dass ich dein Fotoprojekt echt wunderschön finde, die<br />
Message ist ein Wahnsinn und nicht viele Menschen<br />
trauen sich heute offen über psychische Krankheiten<br />
zu reden und Betroffene zu fotografieren. Sowas gibt<br />
Menschen wie mir echt Kraft!“ So trete ich mit Theresa*<br />
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