12.06.2017 Aufrufe

06-07/2017

Fritz + Fränzi

Fritz + Fränzi

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

verloren. Gleichzeitig wurde dem<br />

Mädchen gesagt, dass dieser «Deal»<br />

natürlich nur für das freiwillige,<br />

zusätzliche Lesen gelte – und keinesfalls<br />

auf Pflichten wie die Hausaufgaben<br />

ausgedehnt werden könne.<br />

An den meisten Tagen entschied es<br />

sich für das Lesen und Aufbleiben.<br />

Im Weiteren wurde darauf ge ­<br />

achtet, dass die Leseübungen so<br />

gestaltet wurden, dass sie Spass<br />

machen. Mit zunehmender Lesefertigkeit<br />

war das Mädchen gewillt,<br />

grössere Abschnitte selbst zu lesen.<br />

Mit Beginn des neuen Schuljahrs<br />

wurde zudem der «Deal» umfunktioniert:<br />

Das Mädchen durfte auch<br />

während der Schulzeit 15 Minuten<br />

später das Licht löschen. Allerdings<br />

galt: Du musst bereits im Bett sein,<br />

darfst aber noch lesen.<br />

Dass sich die Haltung zum Lesen<br />

endgültig verändert hatte, bemerkten<br />

die Eltern einige Monate später,<br />

als sie ihre Tochter dabei erwischten,<br />

wie sie nach dem Lichterlöschen<br />

unter der Bettdecke mit der<br />

Taschenlampe weiterlas.<br />

In diesem Beispiel sehe ich<br />

Belohnungen als wertvolle Krücke.<br />

Das Lesen machte dem Mädchen<br />

aufgrund seiner Schwäche zunächst<br />

keine Freude. Es war anstrengend.<br />

Die Belohnungen erhöhten die<br />

Attraktivität des Lesens, bis die Fertigkeit<br />

so weit entwickelt war, dass<br />

das Lesen selbst Spass machte.<br />

Belohnungen können aber auch<br />

unerwünschte Nebenwirkungen<br />

haben.<br />

Zusätzliche Anreize können die<br />

Freude an einer Sache untergraben<br />

Mit Belohnungen sollte man zurückhaltend<br />

sein, wenn ein Kind etwas<br />

bereits von sich aus gerne tut. Eine<br />

zusätzliche Belohnung kann in diesem<br />

Fall die ursprüngliche, von<br />

innen kommende Motivation untergraben.<br />

Dieser Vorgang wird als<br />

Korrumpierungseffekt bezeichnet.<br />

Wenn ein Kind beispielsweise<br />

eine Sportart gerne ausübt, zunehmend<br />

besser wird und anfängt, Tur­<br />

niere zu gewinnen, kann die Belohnung<br />

in Form von Turniersiegen<br />

wichtiger werden als die Freude an<br />

der Bewegung. Solange die Erfolge<br />

da sind, stellen sie eine zusätzliche<br />

Motivation dar. Bleiben sie plötzlich<br />

aus, kann es sein, dass das Kind<br />

nicht mehr die gleiche Begeisterung<br />

für den Sport empfindet wie zu<br />

Beginn. Das Problem tritt also auf,<br />

wenn eine zusätzliche Belohnung<br />

hinzugefügt wird, die ab einem<br />

bestimmten Zeitpunkt wieder entzogen<br />

wird.<br />

Noch negativer wirken sich Be ­<br />

lohnungen aus, wenn wir jemandem<br />

helfen möchten. Ein Beispiel dafür<br />

wäre das Kind, das seinen Grosseltern<br />

den Rasen mäht, weil es ihnen<br />

etwas zuliebe tun möchte. Geben<br />

ihm die Grosseltern dafür fünf Franken,<br />

kann es sein, dass das Kind von<br />

diesem Moment an den Rasen nicht<br />

mehr mähen wird.<br />

Mit dem Geld haben die Grosseltern<br />

das Kind für seine Arbeit «be ­<br />

zahlt» und so seine ursprüngliche<br />

Motivation, ihnen etwas zuliebe zu<br />

tun, durchkreuzt. Die Freude der<br />

Grosseltern und das Gefühl, eine<br />

gute Tat vollbracht zu haben, wären<br />

dem Kind den Aufwand wert gewesen<br />

– für fünf Franken ist ihm die<br />

Arbeit aber zu mühsam.<br />

Belohnungen können falsche<br />

Anreize setzen<br />

Belohnungen können auch falsche<br />

Anreize setzen. Gut geführte KMU<br />

können oft auf die Loyalität ihrer<br />

Mitarbeiter zählen. Sie motivieren<br />

durch ein Gefühl der Zugehörigkeit<br />

und gemeinsame Ziele und Werte.<br />

Grosse Konzerne, die auf Profitmaximierung<br />

aus sind, versuchen ihre<br />

Mitarbeiter über Boni zu halten und<br />

anzuspornen. Das hat oft zur Folge,<br />

dass jeder nur noch an sich denkt<br />

– und für einen grösseren Bonus<br />

auch gerne zur direkten Konkurrenz<br />

wechselt.<br />

Auf ähnliche Weise können Be ­<br />

lohnungssysteme in Familien und<br />

Schulen das Gefühl der Gemein­<br />

Belohnen Sie Kinder nicht<br />

dafür, dass sie Ihnen etwas<br />

zuliebe tun – freuen Sie sich<br />

einfach und bedanken Sie sich!<br />

schaft untergraben. Viele Familien<br />

stellen nach einer motivierenden<br />

Anfangsphase mit Belohnungsplänen<br />

fest, dass die Kinder nur noch<br />

an ihre Punkte denken, immer grössere<br />

Belohnungen einfordern und<br />

– wenn sie um einen Gefallen ge ­<br />

fragt werden – fragen: «Was kriege<br />

ich dafür?»<br />

Kinder benötigen Eltern und<br />

Lehrpersonen, die mit ihnen in<br />

Beziehung treten und sie führen –<br />

wenn wir diese Aufgabe an ein Be ­<br />

lohnungssystem delegieren, schwächen<br />

wir unsere Rolle und die<br />

Beziehung zum Kind.<br />

Kurztipps zum Einsatz von<br />

Belohnungen<br />

• Gehen Sie sorgsam und sparsam<br />

mit Belohnungen um.<br />

• Achten Sie darauf, dass die Belohnung<br />

möglichst in einem Zusammenhang<br />

mit der Tätigkeit steht<br />

(wie beim Vorlesen).<br />

• Machen Sie Ihrem Kind bewusst,<br />

dass die Belohnung nur über eine<br />

bestimmte Zeit hinweg für eine<br />

ganz spezifische Situation eingesetzt<br />

wird.<br />

• Belohnen Sie Ihr Kind möglichst<br />

nicht zusätzlich für Dinge, die es<br />

sowieso gerne tut.<br />

• Belohnen Sie Kinder nicht dafür,<br />

dass sie Ihnen etwas zuliebe tun<br />

– freuen Sie sich einfach darüber<br />

und bedanken Sie sich.<br />

In der nächsten Ausgabe:<br />

Mein Kind vergleicht sich ständig mit anderen<br />

Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi<br />

Juni/Juli <strong>2017</strong>55

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!