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06-07/2017

Fritz + Fränzi

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Erziehung & Schule<br />

«Ich wurde als Mutter<br />

disqualifiziert»<br />

Unsere Autorin Sandra Casalini war 15, als sich ihre<br />

Eltern trennten. Sie blieb nach der Trennung auf eigenen<br />

Wunsch beim Vater, der in der Folge auch das Sorgerecht<br />

für sie erhielt. In einem Mutter-Tochter- Gespräch erzählt<br />

ihre Mutter, wie das damals für sie war.<br />

Mama, ehrlich gesagt, kann ich mich<br />

kaum an die Zeit eurer Trennung<br />

erinnern. Gab es eigentlich einmal<br />

dieses «eine» Gespräch, in dem<br />

ihr meinem Bruder und mir gesagt<br />

habt, dass ihr euch trennt?<br />

Es gab so ein Gespräch, ja. Das war allerdings<br />

gar nicht mal als Trennungsgespräch<br />

gedacht, auch wenn uns allen<br />

die täglichen Streitereien zusetzten. Wir<br />

hatten uns nach fast zwanzig Jahren<br />

einfach unterschiedlich entwickelt.<br />

Alles, was ich zu dem Zeitpunkt wusste,<br />

war, dass ich mehr Raum brauchte. Wir<br />

haben diskutiert und debattiert. Und<br />

irgendwann bist du aufgestanden und<br />

hast gesagt: «Bitte, Mami, geh endlich!»<br />

Du warst 15.<br />

War von Anfang an klar, dass ich bei<br />

Papi bleibe?<br />

Du hattest das bereits so beschlossen.<br />

Auf meine Frage, was denn mit euch sei,<br />

wenn ich ausziehe, sagtest du: «Mein<br />

Bruder geht mit dir, ich bleibe bei Papi.»<br />

Dein Bruder brauchte Therapien und<br />

spezielle Unterstützung, das hätte dein<br />

Vater nicht gekonnt, das wusstest du.<br />

Aber du und er, das funktionierte. Es<br />

war aber wichtig, dass das von dir kam.<br />

Weisst du, warum ich bei ihm<br />

bleiben wollte?<br />

Du hast es mir später unter vier Augen<br />

gesagt: «Dich habe ich immer, egal, was<br />

passiert. Ihn werde ich verlieren, wenn<br />

ich nicht bei ihm bleibe.»<br />

Wie hast du reagiert?<br />

Ich bin fast verzweifelt daran, dass du<br />

dir selbst so viel Verantwortung aufgeladen<br />

hast.<br />

Du hast trotz meines eindeutigen<br />

Wunsches, beim Vater zu bleiben,<br />

das Sorgerecht für mich bean -<br />

tragt.<br />

Das heisst nicht, dass ich deinen<br />

Wunsch nicht respektiert habe. Ich war<br />

mir nur nicht sicher, ob du mit deinen<br />

noch nicht einmal 16 Jahren die ganzen<br />

Konsequenzen deines Entscheides abschätzen<br />

konntest.<br />

Wie hast du dich gefühlt, als mein<br />

Sorgerecht Papi zugesprochen<br />

wurde?<br />

Beschissen. Man kann sich nicht vorstellen,<br />

wie sehr ich angegriffen wurde,<br />

von Freunden, Verwandten, Arbeitskollegen,<br />

weil ich scheinbar nicht genügend<br />

um dich gekämpft hatte. Niemand<br />

akzeptierte, dass du das so wolltest. Ich<br />

wurde als Mutter disqualifiziert.<br />

Gab es das Besuchsrecht betreffend<br />

eine Regelung?<br />

Die gab es zwar, aber du hast das von<br />

Anfang an so gehalten, wie es dir gepasst<br />

hat. Manchmal bist du täglich bei<br />

mir reingeschneit, dann hast du dich<br />

eine Woche nicht blicken lassen. Dein<br />

Bruder war jedes zweite Wochenende<br />

beim Vater.<br />

Hast du mitbekommen, wie wir<br />

zurechtkamen?<br />

Du hast zwar nur selektiv erzählt, aber<br />

ich war auch dank der Besuche deines<br />

Bruders im Bilde, was wie läuft. Ich<br />

glaube, dein Vater hat das gut gemacht,<br />

auch wenn er zur grösseren «Gluggere»<br />

mutierte, als ich das je war. Aber er<br />

musste von 0 auf 100 Prozent die Verantwortung<br />

für dich übernehmen, das<br />

ist nicht so einfach. Speziell war, dass<br />

du mir jeweils erzählt hast, was du so<br />

entschieden hast in deinem Leben –<br />

und ich hatte rein rechtlich absolut<br />

nichts dazu zu sagen. Unsere Beziehung<br />

bekam dadurch eine andere<br />

Dimension. Ich konnte dich unterstützen,<br />

ohne die Verantwortung zu tragen.<br />

Würdest du rückblickend etwas<br />

anders machen?<br />

Nein. In dieser Situation war es das Beste<br />

für deinen Bruder und dich, auch<br />

wenn es für mich unglaublich hart war.<br />

Das ist jetzt 25 Jahre her, und ich<br />

fürchte, dass sich seither in den Köpfen<br />

der Leute nicht viel verändert hat. Man<br />

denkt immer noch, dass mit der Mutter<br />

etwas nicht stimmt, wenn ein Kind nach<br />

der Trennung beim Vater lebt, ohne die<br />

genauen Lebensumstände zu kennen.<br />

Diese Stigmatisierung der Mutterrolle<br />

ist bedenklich, da viele Väter diese Verantwortung<br />

übernehmen wollen und<br />

können. Wir wurden mit dieser Lösung<br />

als Familie im wahrsten Sinn des Wortes<br />

erwachsen.<br />

Bild: ZVG<br />

64 Juni/Juli <strong>2017</strong> Das Schweizer ElternMagazin Fritz+Fränzi

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