Corinne Wasmuht - Zeit Kunstverlag
Corinne Wasmuht - Zeit Kunstverlag
Corinne Wasmuht - Zeit Kunstverlag
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Künstler an, die die Grenze der Realität in Richtung Fiktion<br />
deutlich überschreiten und deren innere Kompassnadel<br />
verstärkt auf irrationale Erfahrungen reagiert, auf<br />
Träume und Visionen. Dabei geht es nicht unmittelbar um<br />
Esoterik, sondern auch darum, dem Bild eine Vorsprachlichkeit<br />
zuzutrauen, eine eigene Wertigkeit.<br />
Und so lösen sich auch die monumentalen Bildertaifune<br />
<strong>Wasmuht</strong>s auf und erzeugen eine Stille, die auf nichts<br />
hinweist, nichts erklärt oder als Rätsel in die Welt stellt.<br />
Rein bildtechnisch existieren wie bei Pieter Brueghel d.<br />
Ä. oder Hieronymus Bosch viele einzelne Szenen simultan<br />
nebeneinander. Sie können vom Betrachter aber<br />
nur sukzessive gelesen werden. Die Zersplitterung des<br />
Raums wird durch die plausibel wirkende Kristallform<br />
der Astronauten gemildert. Die ohne einen sichtbaren<br />
Pinselduktus gemalten Szenen wirken wie eingeschlossen<br />
in eine transparente Hülle; sie scheinen wirklich und<br />
unwirklich zugleich. Lange schlendert der Betrachter im<br />
Geiste durch die Traumlandschaften <strong>Wasmuht</strong>s und sucht<br />
vergeblich nach einem Anhaltspunkt für eine schlüssige<br />
Interpretation. Die Bilder wirken trotz ihrer krassen<br />
Farbigkeit nicht aufdringlich. Man kommt in ihnen nicht<br />
unter die Räder. Einmal gelandet in dieser fiktiven Bildwelt,<br />
entspinnt sich aus der Betrachtung der Szenen so<br />
etwas wie ein interaktiver Film.<br />
Anti-Action<br />
Um 2000 lässt sich die bislang größte Wende im Werk<br />
der Künstlerin beobachten. Damals beginnt sie sich mit<br />
der elektronischen Datenverarbeitung zu beschäftigen,<br />
die ihre manuelle Entwurfsarbeit weitgehend ablöst. Es<br />
ändert sich fast alles, die Themen, die Auffassung des<br />
Bildraums, die Pinselführung, nicht aber das Prinzip der<br />
Collage und der Verflechtung von vorgefundenen Bildern<br />
mit den Mitteln der Malerei, das Spiel mit der räumlichen<br />
Verschränkung von zahllosen Bildebenen.<br />
Als „Zwischending“ bezeichnet die Künstlerin die Tafel<br />
Gewalt (Abb. 1), deren Vorlage sie noch nicht mit einem<br />
Bildbearbeitungsprogramm erstellt, dafür aber elektronische<br />
Bildvorlagen – ein Standbild aus dem Film<br />
„Batman“ – benutzt. Diese Szene einer Explosion steht<br />
für die ästhetisierte Gewalt aus Hollywood, die sie in<br />
anderer Technik mit kaum erkennbaren Motiven aus<br />
realen Gewaltdarstellungen, etwa Schnappschüssen aus<br />
dem Gaza-Streifen, übermalt. 13 Deutlich sind zwei Bild-<br />
<strong>Corinne</strong> <strong>Wasmuht</strong><br />
schichten zu erkennen: Über der leicht verschwommen<br />
gemalten Filmszene liegen weiße, magentafarbene und<br />
violette Farbklekse, aus denen der Betrachter – wenn er<br />
etwas zurücktritt – Figuren rekonstruieren kann. Flüchtende?<br />
Verletzte? Helfer? Die „Schönheit der Katastrophe“<br />
scheint von ihren realen Folgen bildtechnisch getrennt.<br />
Es entsteht der Eindruck, da sei jemand – bewaffnet mit<br />
Pinsel und Farbe – einem monumentalen Monitor zu<br />
Leibe gerückt und habe ihn übermalt.<br />
Eine die einzelnen Ebenen nahezu unkenntlich machende<br />
Raumverschachtelung erreicht sie zwei Jahre später in<br />
Ezeiza (Abb. 10). Die gesampelten Innenansichten von<br />
Abfertigungshallen verschiedener Flughäfen im oberen<br />
Bildfeld verschmelzen mit der aus der Luftperspektive<br />
gemalten Stadt im unteren Bildfeld. Die <strong>Zeit</strong> und Raum<br />
außer Kraft setzende Mobilität des Flugverkehrs lässt<br />
die momentanen Eindrücke zu einer totalen Vision von<br />
Gleichzeitigkeit verschwimmen. Doch ist dieses Bild<br />
mehr als eine Paraphrase auf moderne Fortbewegungsmittel.<br />
Die zarten formalen und farblichen Differenzierungen,<br />
die durch einen Negativ-Effekt unwirklichen<br />
Flächen, der durch die Zentralperspektive der Schalterhalle<br />
ausgelöste Sog in das Bild hinein, sie schicken den<br />
Betrachter auf eine Reise nach Innen.<br />
Weltlandschaft<br />
Die riesigen phantastischen Bühnen, die <strong>Wasmuht</strong> seit der<br />
Jahrtausendwende entwirft, die immateriellen Flughafen-<br />
und Bahnhofshallen, spiegeln die Erfahrung der totalen<br />
Mobilität. Damit verbunden sind Reisen in exotische<br />
Gegenden, die Begegnung mit Kulturen, die der Künstlerin<br />
womöglich näher sind als die Alpen; Huari (Abb. 14)<br />
etwa, eine alte Stadt der Moche-Kultur in den Bergen von<br />
Peru. Das Bild gleichen Namens lässt eine Berglandschaft<br />
erahnen, doch ist sie umspült von gewaltigen Wassermassen,<br />
eine Sintflut hat sich ereignet, eine Naturkatastrophe<br />
ungeheuerlichen Ausmaßes. Aber nicht nur die Elemente<br />
spielen verrückt: oben und unten, Urbanität und Natur,<br />
treffen aufeinander, denn eine aus der Vogelperspektive<br />
dargestellte Stadt taucht im oberen Bildfeld auf dem<br />
Kopf gemalt auf. Loers hat das nahezu quadratische Bild<br />
als „phantastische planetarische Konjunktion“ beschrieben<br />
und es darüber hinaus wegen seines landschaftlichen<br />
Tiefenraumes mit dem kunsthistorischen Terminus der<br />
„Weltlandschaft“ in Verbindung gebracht. 14<br />
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