12.12.2012 Aufrufe

Corinne Wasmuht - Zeit Kunstverlag

Corinne Wasmuht - Zeit Kunstverlag

Corinne Wasmuht - Zeit Kunstverlag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

Künstler an, die die Grenze der Realität in Richtung Fiktion<br />

deutlich überschreiten und deren innere Kompassnadel<br />

verstärkt auf irrationale Erfahrungen reagiert, auf<br />

Träume und Visionen. Dabei geht es nicht unmittelbar um<br />

Esoterik, sondern auch darum, dem Bild eine Vorsprachlichkeit<br />

zuzutrauen, eine eigene Wertigkeit.<br />

Und so lösen sich auch die monumentalen Bildertaifune<br />

<strong>Wasmuht</strong>s auf und erzeugen eine Stille, die auf nichts<br />

hinweist, nichts erklärt oder als Rätsel in die Welt stellt.<br />

Rein bildtechnisch existieren wie bei Pieter Brueghel d.<br />

Ä. oder Hieronymus Bosch viele einzelne Szenen simultan<br />

nebeneinander. Sie können vom Betrachter aber<br />

nur sukzessive gelesen werden. Die Zersplitterung des<br />

Raums wird durch die plausibel wirkende Kristallform<br />

der Astronauten gemildert. Die ohne einen sichtbaren<br />

Pinselduktus gemalten Szenen wirken wie eingeschlossen<br />

in eine transparente Hülle; sie scheinen wirklich und<br />

unwirklich zugleich. Lange schlendert der Betrachter im<br />

Geiste durch die Traumlandschaften <strong>Wasmuht</strong>s und sucht<br />

vergeblich nach einem Anhaltspunkt für eine schlüssige<br />

Interpretation. Die Bilder wirken trotz ihrer krassen<br />

Farbigkeit nicht aufdringlich. Man kommt in ihnen nicht<br />

unter die Räder. Einmal gelandet in dieser fiktiven Bildwelt,<br />

entspinnt sich aus der Betrachtung der Szenen so<br />

etwas wie ein interaktiver Film.<br />

Anti-Action<br />

Um 2000 lässt sich die bislang größte Wende im Werk<br />

der Künstlerin beobachten. Damals beginnt sie sich mit<br />

der elektronischen Datenverarbeitung zu beschäftigen,<br />

die ihre manuelle Entwurfsarbeit weitgehend ablöst. Es<br />

ändert sich fast alles, die Themen, die Auffassung des<br />

Bildraums, die Pinselführung, nicht aber das Prinzip der<br />

Collage und der Verflechtung von vorgefundenen Bildern<br />

mit den Mitteln der Malerei, das Spiel mit der räumlichen<br />

Verschränkung von zahllosen Bildebenen.<br />

Als „Zwischending“ bezeichnet die Künstlerin die Tafel<br />

Gewalt (Abb. 1), deren Vorlage sie noch nicht mit einem<br />

Bildbearbeitungsprogramm erstellt, dafür aber elektronische<br />

Bildvorlagen – ein Standbild aus dem Film<br />

„Batman“ – benutzt. Diese Szene einer Explosion steht<br />

für die ästhetisierte Gewalt aus Hollywood, die sie in<br />

anderer Technik mit kaum erkennbaren Motiven aus<br />

realen Gewaltdarstellungen, etwa Schnappschüssen aus<br />

dem Gaza-Streifen, übermalt. 13 Deutlich sind zwei Bild-<br />

<strong>Corinne</strong> <strong>Wasmuht</strong><br />

schichten zu erkennen: Über der leicht verschwommen<br />

gemalten Filmszene liegen weiße, magentafarbene und<br />

violette Farbklekse, aus denen der Betrachter – wenn er<br />

etwas zurücktritt – Figuren rekonstruieren kann. Flüchtende?<br />

Verletzte? Helfer? Die „Schönheit der Katastrophe“<br />

scheint von ihren realen Folgen bildtechnisch getrennt.<br />

Es entsteht der Eindruck, da sei jemand – bewaffnet mit<br />

Pinsel und Farbe – einem monumentalen Monitor zu<br />

Leibe gerückt und habe ihn übermalt.<br />

Eine die einzelnen Ebenen nahezu unkenntlich machende<br />

Raumverschachtelung erreicht sie zwei Jahre später in<br />

Ezeiza (Abb. 10). Die gesampelten Innenansichten von<br />

Abfertigungshallen verschiedener Flughäfen im oberen<br />

Bildfeld verschmelzen mit der aus der Luftperspektive<br />

gemalten Stadt im unteren Bildfeld. Die <strong>Zeit</strong> und Raum<br />

außer Kraft setzende Mobilität des Flugverkehrs lässt<br />

die momentanen Eindrücke zu einer totalen Vision von<br />

Gleichzeitigkeit verschwimmen. Doch ist dieses Bild<br />

mehr als eine Paraphrase auf moderne Fortbewegungsmittel.<br />

Die zarten formalen und farblichen Differenzierungen,<br />

die durch einen Negativ-Effekt unwirklichen<br />

Flächen, der durch die Zentralperspektive der Schalterhalle<br />

ausgelöste Sog in das Bild hinein, sie schicken den<br />

Betrachter auf eine Reise nach Innen.<br />

Weltlandschaft<br />

Die riesigen phantastischen Bühnen, die <strong>Wasmuht</strong> seit der<br />

Jahrtausendwende entwirft, die immateriellen Flughafen-<br />

und Bahnhofshallen, spiegeln die Erfahrung der totalen<br />

Mobilität. Damit verbunden sind Reisen in exotische<br />

Gegenden, die Begegnung mit Kulturen, die der Künstlerin<br />

womöglich näher sind als die Alpen; Huari (Abb. 14)<br />

etwa, eine alte Stadt der Moche-Kultur in den Bergen von<br />

Peru. Das Bild gleichen Namens lässt eine Berglandschaft<br />

erahnen, doch ist sie umspült von gewaltigen Wassermassen,<br />

eine Sintflut hat sich ereignet, eine Naturkatastrophe<br />

ungeheuerlichen Ausmaßes. Aber nicht nur die Elemente<br />

spielen verrückt: oben und unten, Urbanität und Natur,<br />

treffen aufeinander, denn eine aus der Vogelperspektive<br />

dargestellte Stadt taucht im oberen Bildfeld auf dem<br />

Kopf gemalt auf. Loers hat das nahezu quadratische Bild<br />

als „phantastische planetarische Konjunktion“ beschrieben<br />

und es darüber hinaus wegen seines landschaftlichen<br />

Tiefenraumes mit dem kunsthistorischen Terminus der<br />

„Weltlandschaft“ in Verbindung gebracht. 14<br />

5

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!