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Wandern und Genießen 2017

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<strong>Wandern</strong><br />

König Ludwig war<br />

mondsüchtig, aber<br />

auch dem modernen<br />

Menschen erschließt<br />

sich sofort, warum der<br />

Monarch den nächtlichen<br />

Flair des Schlosses<br />

so sehr genoss<br />

Vergangenheit ihren Stand suchten: »Ludwig<br />

war fortschrittsgläubig <strong>und</strong> zugleich<br />

rückwärtsgewandt«, sagt die erfahrene<br />

Führerin. »Auch menschlich war er tief<br />

gespalten, er schwankte zwischen kunstsinnig,<br />

warmherzig <strong>und</strong> despotisch, war<br />

tyrannisch <strong>und</strong> kreativ, ängstlich <strong>und</strong> mutig<br />

zugleich. Alles in allem war Ludwig<br />

eine multiple Persönlichkeit.« Nach dem<br />

wir über etliche Serpentinen bergauf gegangen<br />

sind, stehen wir auf der Marienbrücke.<br />

Tief unter uns befindet sich die<br />

Pöllatschlucht, vor uns die nicht beleuchtete<br />

Rückseite von Neuschwanstein. Man<br />

hört die Wasserfälle, von denen es hier einige<br />

gibt. Die Brücke selbst ist ebenfalls<br />

beeindruckend, denn sie ist ein filigranes<br />

Meisterwerk aus Metall, eines, das beim<br />

Bau in den 1860er-Jahren einzigartig war.<br />

Tagsüber ist<br />

einfach zu viel los<br />

Erih Gößler weiß, wovon sie spricht. Sie<br />

erklärt der kleinen Gruppe, was jeder<br />

schon ahnt: »Erst nachts kann man Ludwig<br />

wirklich kennenlernen, auf der Vollmondwanderung<br />

findet man ihn.« Frau Gößler<br />

verweist auf die täglichen Führungen<br />

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durch das Schloss, sie hat jahrelang Menschenmassen<br />

durch das riesige Anwesen<br />

geschleust. »Ludwig hatte die Absicht, auf<br />

dem Platz der alten Ruine aus dem späten<br />

elen Jahrh<strong>und</strong>ert eine Ritterburg zu errichten.«<br />

Aus »Castrum Swangowe« wurde<br />

Neuschwanstein. Aber heute könne man<br />

selbst solche Details kaum noch erzählen:<br />

»Viel zu viele Besucher müssen bei den<br />

Führungen ‚bewältigt‘ werden«, erklärt<br />

Gößler, während wir langsam weiterlaufen.<br />

1,5 Millionen Menschen besuchen das<br />

Märchenschloss, »da bleibt einfach keine<br />

Zeit mehr für Fragen <strong>und</strong> geschichtliche<br />

Hintergründe.« Deshalb ist die mittlerweile<br />

65 Jahre junge Frau ausgestiegen <strong>und</strong><br />

führt jetzt kleine Gruppen durch Füssen,<br />

durch das Hohe Schloss – oder eben bei<br />

Vollmond hoch zu Neuschwanstein.<br />

»Tagsüber ist hier oben einfach zu viel los«,<br />

bringt sie das Manko auf den Punkt. Ludwig<br />

selbst wollte übrigens nicht, dass das<br />

Schloss nach seinem Tod der Öffentlichkeit<br />

zugänglich gemacht wird. »Aber die<br />

tragischen <strong>und</strong> bis heute ungeklärten Umstände<br />

seines Ablebens sorgten rasch für<br />

Neuschwanstein-Tourismus«, sagt Erih<br />

Gößler. Sie findet das auch nicht generell<br />

schlecht, denn das viele Geld nutzt die<br />

Bayerische Schlösserverwaltung für den<br />

Erhalt nicht nur von Neuschwanstein.<br />

Die Geschichte<br />

vom Mondkönig<br />

Drei St<strong>und</strong>en dauert die Führung ungefähr.<br />

Die tatsächliche Länge hängt von<br />

den Fragen ab, die gestellt werden – <strong>und</strong><br />

von der Größe der Gruppe. Maximal<br />

nimmt Erih Gößler 12 bis »höchstens« 15<br />

Personen mit hinauf, der Preis beträgt 96<br />

Euro, was dann einen Einzelpreis von nur<br />

6,40 oder 8 Euro ergibt. Das Geld ist gut<br />

angelegt, auch, wenn man alleine mit der<br />

Führerin hochlaufen will. Dann zahlt man<br />

die knapp 100 Euro <strong>und</strong> erfährt eine noch<br />

größere Menge an Details, <strong>und</strong> erahnt sicher<br />

noch mehr, was Ludwig auf der Suche<br />

nach Einsamkeit <strong>und</strong> Ruhe wirklich umtrieb.<br />

Als wir die Brücke verlassen <strong>und</strong> uns<br />

dem Schloss nähern, muss ich an ein Gedicht<br />

des romantischen Lyrikers Novalis<br />

denken: »So wird sie auch fliehen die edle<br />

Seele / Aus dem Erdenstaube entlastet dort<br />

zu / Jenen höhern, bessern Gefilden reich<br />

an / Seliger Ruhe <strong>und</strong> Freiheit« heißt es in<br />

»An den Tod« – <strong>und</strong> genauso muss sich<br />

Ludwig gefühlt haben, wenn er selbst hier<br />

wandern & genießen

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