Medical Tribune 37/2017
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12 HERZ-KREISLAUF<br />
<strong>Medical</strong> <strong>Tribune</strong> j Nr. <strong>37</strong> j 13. September <strong>2017</strong><br />
So umgehen Sie Fallstricke bei den DOAKs<br />
ÄRZTETAGE VELDEN ■ Die direkten oralen Antikoagulanzien (DOAKS) sind in der Schlaganfallprävention nicht wegzudenken. Warum ein<br />
sorgfältiges Medikationsmanagement bei Auswahl, Dosierung und Einnahmemodalitäten so wichtig ist, illustrieren zwei Fallbeispiele.<br />
ANITA GROSS<br />
Die Leitlinie der Europäischen Kardiologengesellschaft<br />
zum Management<br />
von Vorhofflimmern (VHF)*<br />
spreche eine „eindeutige Präferenz“<br />
zugunsten von DOAKs gegenüber Vitamin-K-Antagonisten<br />
(VKAs) aus,<br />
betonte Mag. pharm. Christina Labut,<br />
Klinische Pharmazeutin im AKH<br />
Wien, auf den Ärztetagen in Velden.<br />
„Dabei sollte ein hoher Blutungsrisiko-Score<br />
in der Regel nicht dazu führen,<br />
auf OAK zu verzichten.“ Vielmehr<br />
gelte es, behandelbare Blutungsrisikofaktoren<br />
zu identifizieren und zu<br />
korrigieren, wie etwa:<br />
▶ Hypertonie, v.a. bei > 160 mmHg<br />
▶ labile INR oder TTR < 60 % bei Patienten<br />
unter VKA<br />
▶ prädisponierende Medikamente<br />
wie NSAR<br />
▶ übermäßiger Alkoholkonsum<br />
Mittlerweile stehen vier DOAKs zur<br />
Schlaganfallprävention von Patienten<br />
MEDICAL<br />
TRIBUNE<br />
*Artikel „‚Neue Leitlinie hilft,<br />
Rhinosinusitis zu lindern“<br />
MT 28/<strong>2017</strong>, Seite 9<br />
www.medonline.at<br />
mit nicht-valvulärem VHF und zur<br />
Therapie und Prävention von rezidivierenden<br />
tiefen Venenthrombosen<br />
und Lungenembolien zur Verfügung:<br />
Dabigatran, Rivaroxaban, Apixaban<br />
und Edoxaban (die ersten drei auch<br />
für die Prophylaxe venöser Thromboembolien<br />
nach Hüft- oder Kniegelenksersatz).<br />
Pharmakokinetisch unterscheidet<br />
sich Dabigatran in puncto Wirkmechanismus,<br />
Bioverfügbarkeit, Ausscheidung<br />
über die Niere stark von<br />
den anderen DOAKs. Eine Untersuchung<br />
der Nierenfunktion wird<br />
bei allen DOAKs vor und während<br />
der Behandlung empfohlen, wobei<br />
Apixaban, Rivaroxaban und Edoxaban<br />
erst ab einer Kreatinin-Clearance<br />
(CrCl) von 15 ml/min kontraindiziert<br />
sind.<br />
Alle DOAKs sind Substrate von<br />
P-Glykoprotein (Pgp), jedoch Dabigatran<br />
in besonders starker Weise.<br />
Dabigatran darf daher nicht mit Ketoconazol,<br />
Ciclosporin, Itraconazol,<br />
Dronedaron, Johanniskraut sowie Rifampicin<br />
kombiniert werden (Inhibition<br />
bzw. Induktion von Pgp). Vorsicht<br />
ist geboten bei Amiodaron, Posaconazol,<br />
Chinidin, Verapamil und<br />
Ticagrelor.<br />
Allerdings wird Dabigatran nicht<br />
über die Cytochrome P450 (CYP) der<br />
Leber metabolisiert, auch Edoxaban<br />
kaum (< 10 %). Substrate von CYP3A4<br />
sind hingegen Rivaroxaban, Apixaban<br />
und Cumarine. CYP3A4-Inhibitoren<br />
sind u.a. Erythromycin, Clarithromycin,<br />
ein Induktor ist Rifampicin.<br />
Von VKAs auf DOAKs?<br />
Die engagierte Pharmazeutin, die gemeinsam<br />
mit Mag. pharm. Dr. med.<br />
Alexander Hartl die Leitung der Medikationsmanagementkurse<br />
für Apotheker<br />
innehat, kann mittlerweile aus<br />
einem großen Fundus an Fallbeispielen<br />
und Fragen aus der Praxis schöpfen<br />
(mehr als 1800 Apotheker besuchten<br />
bereits die Intensivkurse).<br />
Eine Frage, die immer wieder auftaucht:<br />
Sollen VKA-Patienten besser<br />
auf DOAKs umgestellt werden?<br />
„Bei gut eingestellten Marcoumar®oder<br />
Sintrom®-Patienten besteht in<br />
der Regel keine Notwendigkeit, auf<br />
DOAKs umzustellen“, erläuterte Labut<br />
– im Gegensatz zu Patienten, bei<br />
denen unter VKA therapeutische INR-<br />
Werte trotz guter Adhärenz nicht erzielt<br />
oder erwartet werden können,<br />
relevante Nebenwirkungen bestehen<br />
oder ein INR-Monitoring nicht möglich<br />
ist. In diesen Fällen empfehlen<br />
die aktuellen Leitlinien sehr wohl,<br />
eine Umstellung auf DOAKs zu erwägen.<br />
Mag. Christina<br />
Labut<br />
Klinische<br />
Pharmazeutin,<br />
AKH Wien<br />
WW mit NEMs und Speisen?<br />
Bei der Frage nach möglichen Interaktionen<br />
mit Nahrungsergänzungsmitteln<br />
sind nicht nur Grapefruit<br />
(Inhibitor von CYP3A4/Pgp) und Johanniskraut<br />
(Induktor von CYP3A4/<br />
Pgp) zu nennen. „Auch Goji-Beere,<br />
Ginkgo, Pelargonium, Knoblauch erhöhen<br />
in höheren Dosierungen möglicherweise<br />
das Blutungsrisiko“, so<br />
die Pharmazeutin.<br />
Wichtig zu wissen ist weiters, dass<br />
die orale Bioverfügbarkeit von Rivaroxaban<br />
in der Dosierung von 2,5 mg<br />
und 10 mg mit oder ohne Mahlzeit<br />
80–100 % beträgt. „Aber bei höheren<br />
Dosen zeigt Rivaroxaban eine durch<br />
die Löslichkeit begrenzte Resorption<br />
mit verminderter Bioverfügbarkeit<br />
und verminderter Resorptionsrate“,<br />
informierte Labut, „Rivaroxaban<br />
15 mg und 20 mg müssen<br />
daher mit einer Mahlzeit eingenommen<br />
werden!“ Apixaban, Dabigatran<br />
und Edoxaban hingegen können unabhängig<br />
von den Mahlzeiten eingenommen<br />
werden.<br />
Adhärenz besonders wichtig<br />
Im Gegensatz zu Phenprocoumon, das<br />
eine Plasmahalbwertszeit von 160 Stunden<br />
aufweist, bewegen sich die Halbwertszeiten<br />
der DOAKs im Mittel nur<br />
um die 12–15 Stunden. Der Vorteil besteht<br />
in einer relativ guten Steuerbarkeit,<br />
auf der anderen Seite ist aber eine<br />
regelmäßige Einnahme der DOAKs besonders<br />
wichtig. Wird die Einnahme<br />
einer oder mehrerer Dosen vergessen,<br />
ist die Wirksamkeit sehr schnell nicht<br />
mehr vorhanden, so Labut.<br />
Fallbeispiel: Nagelpilz<br />
Wie kniffelig so manche Interaktion<br />
sein kann, schildert die Arznei-Expertin<br />
an zwei (fiktiven, aber an der<br />
Praxis orientierten) Fallbeispielen: Im<br />
ersten löste Herr O. gegen seinen Nagelpilz<br />
ein Rezept mit Itraconazol Dermis<br />
100 mg ein. Seine Dauertherapie:<br />
Bisoprolol 5 mg, Xarelto® 20 mg, Pantoprazol<br />
20 mg, Lisinopril 20 mg, Magnosolv®.<br />
Gibt es Interaktionen?<br />
„Ja, weil mit einer relevanten, nämlich<br />
2,6-fachen Konzentrationserhöhung<br />
von Rivaroxaban und einem entsprechend<br />
erhöhtem Blutungsrisiko<br />
gerechnet werden muss“, erinnerte<br />
Labut daran, dass Rivaroxaban bei Patienten<br />
mit systemischer Behandlung<br />
mit Azol-Antimykotika (wie Ketoconazol,<br />
Itraconazol, Voriconazol und Posaconazol)<br />
oder mit HIV-Proteaseinhibitoren<br />
nicht empfohlen werde. Grund:<br />
Diese Wirkstoffe sind sowohl starke<br />
CYP3A4- als auch Pgp-Inhibitoren.<br />
Fallbeispiel: Knieinfektion<br />
Das zweite Beispiel: Ein 68-jähriger<br />
Patient, 175 cm, 82 kg, wird mit der<br />
Diagnose Mediainsult aufgenommen<br />
und verstirbt wenig später im<br />
Spital. Die Anamnese: Hypertonie,<br />
Vorhofflimmern, KHK, Staphylokokken-Infektion<br />
im Knie, mehrmals<br />
punktiert. Die Medikation: Pradaxa®<br />
(1/0/1, seit 1 Jahr), Pantoloc® 20 mg,<br />
Beloc® 50 mg (50/0/50/0), Acecomb®<br />
(1/0/0/0); gegen die Infektion wurde<br />
Rifoldin® 300 mg verschrieben. Welcher<br />
Umstand kann trotz Dabigatran<br />
zum Insult geführt haben? Rifampicin<br />
ist ein starker Induktor von Pgp und<br />
führt in diesem Fall zu einem stark<br />
beschleunigten Abbau von Dabigatran.<br />
Hier wäre die Wahl eines anderen<br />
Antibiotikums oder die zeitweise<br />
Umstellung auf ein niedermolekulares<br />
Heparin empfehlenswert, verdeutlichte<br />
Labut, wie Medikationsmanagement<br />
durch Apotheker in Zusammenarbeit<br />
mit Ärzten fatale Verläufe<br />
mitunter verhindern könne.<br />
* ESC Pocket Guidelines 2016<br />
21. Ärztetage Velden, August <strong>2017</strong><br />
MM-Kurse für Ärzte<br />
Aufgrund zahlreicher Nachfragen möchten<br />
Labut und Hartl in Zukunft auch Medikationsmanagementkurse<br />
für Ärzte<br />
anbieten. „Unser Ziel ist es, die Zusammenarbeit<br />
der beiden Berufsgruppen zu<br />
stärken“, so beide Vortragende, „denn<br />
wir können viel voneinander profitieren.“<br />
MM-Kurse für Apotheker:<br />
https://medonline.at/mmkurse/<br />
Tipps für die Praxis<br />
▶ Bereiten Sie die Patienten auf mögliche<br />
NW von Antikoagulanzien vor:<br />
bei DOAKs z.B. gastrointestinale Beschwerden;<br />
bei Rivaroxaban häufig<br />
Schwindel, gelegentlich Synkopen<br />
(Achtung beim Auto fahren!); leichte<br />
Schleimhautblutungen.<br />
▶ Patient soll stärkere Blutungen mitteilen.<br />
▶ Dabigatran-Kapsel nicht öffnen: Bioverfügbarkeit<br />
kann sich dadurch bis<br />
75 % erhöhen, damit steigt das Blutungsrisiko!<br />
▶ Dabigatran-Kapseln nicht aus dem<br />
Blister nehmen: Wirkstoff ist hygroskopisch<br />
und kann durch die Luftfeuchtigkeit<br />
beeinträchtigt werden.<br />
▶ Notfallkarte immer bei sich tragen.<br />
▶ Ein No-Go: Enoxaparin-Natrium-<br />
Spritzampullen + DOAKs.<br />
▶ Cave: OAK, Plättchenhemmer + NSAR,<br />
Kortikoide, Ginkgo (Hochdosis) + SSRI<br />
(erhöhtes Blutungsrisiko v.a. der Haut<br />
und des GI-Traktes, Nasenbluten).<br />
Antidota für DOAKs<br />
Derzeit gibt es drei Antidota für DOAKs,<br />
eines davon ist bereits auf dem Markt:<br />
▶ Idarucizumab (zugelassen; Phase III/<br />
Reverse): bindet Dabigatran.<br />
▶ Andexanet alfa (PRT064445, Phase<br />
III): kompetitive Bindung mit FXa-Inhibitoren.<br />
▶ Ciraparantag (Aripazine, PER977; Phase<br />
II): universelles Antidot, kann direkte<br />
FXa- und FIIa-Inhibitoren, aber auch<br />
niedermolukulare und unfraktionierte<br />
Heparine und Fondaparinux abfangen<br />
und deren Wirkung unterbinden.<br />
FOTO: PRIVAT