UNTER BEOBACHTUNG 44 / RAMBAZAMBA /
Die Sex-Watchlist Als mir das Kondom beim Sex mit einem unbekannten Mann reißt, möchte ich mit einer Therapie eine mögliche Ansteckung mit HIV verhindern. Doch die Krankenkasse ist gesetzlich nicht verpflichtet, die Therapie zu bewilligen. Mein Spießrutenlauf beginnt. Von: Emir Dizdarević und Marko Mestrović (Fotos) Es war ein geiler Abend. Vorglühen bei Freunden, von einem Club in den anderen ziehen, tanzen, sich einen hübschen Typen anlachen und ihn mit nach Hause nehmen. Bei mir dann Sex. Als wir fertig sind, merken wir, dass das Kondom gerissen ist. Die ganze Leichtigkeit des Abends ist mit einem Mal weg. Es ist ernst. Er geht sich duschen. „Zur Beruhigung“, wie er sagt. Ich döse kurz ein und als ich aufwache, ist er weg. Kein Name, keine Nummer, nichts. „Und was ist, wenn er jetzt HIVpositiv ist?“, frage ich mich. Es ist Sonntag. Ich fahre auf die Notfall-Ambulanz des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Wien (AKH), um einen HIV- Schnelltest zu machen. Wirklich Sinn macht das nicht. Erst nach sechs Wochen lässt sich sagen, ob ich infiziert bin oder nicht. Aber irgendetwas muss ich tun. Irgendetwas, egal was. Und auf der Station zu sein, hilft mir dabei. Die Krankenschwester spricht mir gut zu und der Arzt versucht mich ein bisschen aufzulockern, indem er Scherze über mein „geplatztes Verhüterle“ macht. Die Aufheiterungsversuche funktionieren. Nach der Blutabnahme schicken sie mich in die HIV-Abteilung. Schließlich kann man einer Infektion jetzt noch entgegenwirken und dort können sie mich am besten darüber informieren. ICH BIN „HÖCHSTRISKANT“ Ich sitze in der HIV-Abteilung. „Gibt es irgendeine Möglichkeit Ihren Partner ausfindig zu machen?“, fragt mich der Arzt drei Mal. „Nein“, muss ich immer wieder antworten. Würde ich ihn kennen, wäre alles einfach. Mein Partner und ich könnten uns beide einem Schnelltest unterziehen und binnen weniger Stunden wüssten wir unseren Status und ob Infektionsgefahr Statistisch gesehen bin ich in diesem Moment höchstriskant. besteht. So ist es alles ungewiss und wir können uns nur auf Wahrscheinlichkeiten und Statistiken verlassen. Es folgen Zahlen, Daten, Fakten. Generell gilt, dass immer der Empfänger beim Sex das größte Risiko trägt. Bei Heterosexuellen also die Frau und bei Männern jener, der passiv ist. So wie ich es bei meinem Geschlechtsverkehr war. Die Infektion geschieht in beiden Fällen durch Schleimhautverletzungen. Entweder durch die in der Vaginalschleimhaut oder in der Analschleimhaut. Bei Zweiterer kommt es jedoch leichter zu Verletzungen, was das Ansteckungsrisiko deutlich erhöht. Auch bei der Anzahl der Sexpartner liegen Männer, die Sex mit Männern haben (MSM), vorne. Das alles steigert die Wahrscheinlichkeit einer Infektion noch einmal deutlich. Die Infektionsrate liegt bei Vaginalverkehr bei 0,3 Prozent und bei Analverkehr bei bis zu 3 Prozent. Also bis zu zehn Mal so hoch. Statistisch gesehen bin ich also in diesem Moment höchstriskant. Ich entscheide mich für eine Postexpositionsprophylaxe, kurz PEP. Dabei handelt es sich um eine vierwöchige Therapie, die die HI-Viren daran hindern sich im Körper festzusetzen. Statistisch vermindert das die Möglichkeit einer Infektion um weitere 90 Prozent. Der Arzt stellt mir das Rezept aus, macht mich aber noch darauf aufmerksam, dass ich mein Rezept bei der Bezirksstelle der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK) bewilligen lassen muss. Da heute Sonntag ist, gibt er mir PEP für zwei Tage aus dem Medizinschrank der Station mit. Schließlich ist es entscheidend, dass ich so früh wie möglich mit der Therapie beginne. Am besten innerhalb von vier Stunden. Maximal aber binnen von 48 Stunden. In diesem Zeitrahmen bewege ich mich noch. Inzwischen liegt auch das Ergebnis meines Schnelltests vor. Derweil bin ich HIV-negativ. / RAMBAZAMBA / 45