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Aber auch in Wien hat sich einiges verändert. Seit zwei<br />
Jahren braucht es nun eine genaue Schilderung des „Sexualunfalls“.<br />
Und seit drei Monaten sei es besonders schlimm,<br />
da alle Bewilligungen „kategorisch“ abgelehnt werden. Als<br />
Argument werden die „inflationären Kosten“ der PEP und eine<br />
„Weisung von Oben“ hergenommen – das alles schildert mir Dr.<br />
Lang. „Wir haben im Jahr 80 PEP-<br />
Fälle. Wir sind das größte Zentrum in<br />
Österreich mit 1.600 HIV-Patienten in<br />
Behandlung. 80 Fälle ist nichts, das<br />
sind in Wahrheit viel zu wenig – wenn<br />
man sich überlegt, wie viele Risikokontakte<br />
stattfinden müssen. Das als<br />
großen Kostenfaktor aufzulisten, ist<br />
lächerlich“, sagt Lang.<br />
Alle Versuche von Dr. Lang eine rechtlich verbindliche Auskunft<br />
zu bekommen, scheitern. In einer Mail verlangt er nach<br />
klaren Richtlinien, wann eine PEP bewilligt wird. Ohne Erfolg.<br />
Allerdings verweist man ihn darauf dieses Vorgehen als „edukative<br />
Maßnahme“ der Patienten zu verstehen. Auf welcher<br />
rechtlichen Grundlage, ist für ihn nicht nachvollziehbar. In der<br />
Zwischenzeit erfährt er aber von einem Fall, bei dem die PEP<br />
verweigert wurde, der Patient aber klagt und verliert. Angeblich<br />
bereits in der ersten Instanz. „Wir würden alle so gerne dieses<br />
Urteil lesen. Die Krankenkasse kennt das, stellt es uns aber<br />
nicht zur Verfügung. Müssen sie auch nicht. Aber aus einem<br />
Erstinstanzurteil eine rechtliche Verbindlichkeit abzuleiten und<br />
die PEP nicht mehr zu bewilligen, ist vermessen. Erstinstanzliche<br />
Urteile sind nicht verbindlich“, sagt Lang.<br />
All das muss ich jetzt ignorieren. Für mich heißt es jetzt<br />
nur eines: Mein Rezept bewilligt bekommen. Dr. Lang stellt mir<br />
einen neuen Befund aus. In diesem gibt er an, dass ich abgelehnt<br />
wurde, obwohl „Höchstrisiko“ bei mir besteht. Weiter<br />
führt er an, dass dieses Vorgehen nicht nachvollziehbar sei<br />
und gegen sämtliche internationale Leitlinien der PEP-Vergabe<br />
verstößt. Schlussendlich schreiben wir auch, dass ich bei<br />
einer erneuten Ablehnung gerichtlich klagen werde. Wieder<br />
bekomme ich PEP für zwei Tage mit auf den Weg. „Sie müssen<br />
jetzt kämpfen“, sagt er mir zum Abschied.<br />
UNTER BEOBACHTUNG: DIE<br />
MÄNNER AUF DER WATCHLIST<br />
Da der Dienstag ein Feiertag ist, kann ich erst am Mittwoch<br />
wieder um die PEP ansuchen. Das ist der vierte Tage seit<br />
meiner möglichen Infektion. Ohne die Versorgung durch die<br />
HIV-Abteilung wäre es für eine PEP-Therapie längst zu spät.<br />
Diesmal gehe ich zur WGKK am AKH. Ich gebe der Ärztin dort<br />
mein Rezept samt neuem Befund und werde nach längerer<br />
Wartezeit in ihr Zimmer gerufen. „Ich habe das jetzt ausnahmsweise<br />
bewilligt“, sagt sie mir. „Sie müssen wissen, wir<br />
sind mit der Vergabe sehr restriktiv, also seien Sie vorsichtig.<br />
Es gibt nämlich sehr wohl auch eine Watchlist, wie oft Sie bei<br />
uns waren. Und weswegen.“ Ich beginne mit ihr zu diskutieren<br />
und betone, dass mir das zum ersten Mal in meinen 28 Jahren<br />
passiert und jedem das Kondom reißen kann. Auch heterosexuellen<br />
Menschen. „Nein, es sind doch immer die MSM (Männer,<br />
die Sex mit Männern haben), die hierherkommen.“ Nach diesen<br />
Worten nehme ich mein bewilligtes Rezept und gehe. Die Pressestelle<br />
der WGKK bestreitet auf Anfragen die Existenz einer<br />
solchen Liste.<br />
Ich fühle mich bloßgestellt und stelle mir vor, mir wäre das<br />
mit 18 Jahren passiert, als ich noch nicht so viel Selbstvertrauen<br />
hatte. Hätte ich das alles durchgezogen, oder hätte ich<br />
verschüchtert aufgegeben? Oder<br />
wenn ich gerade viel Stress in der<br />
Ich fühle mich<br />
Arbeit hätte und keine so verständnisvolle<br />
Chefin? Immerhin habe ich<br />
bloßgestellt und werde<br />
deswegen mehrere Tage im Büro<br />
wieder wütend.<br />
gefehlt und mein Mitarbeitergespräch<br />
abgesagt. Alles Dinge, die ich jetzt<br />
nachholen muss. Ich bin mir nicht<br />
sicher, ob das immer möglich wäre. Anstatt mir zu helfen, mich<br />
zu beraten und zu versorgen, wurden mir Hürden in den Weg<br />
gelegt. Auch auf mich wirkt es so, als ob man mir hier eine<br />
Lehre erteilen will. Eine Lehre wofür? Ein gerissenes Kondom?<br />
Schwulen Sex? Steht einer Krankenkasse irgendein moralisches<br />
Urteil überhaupt zu? Ich halte die PEP jetzt in den Händen.<br />
Diesmal hatte ich noch Glück. Ich weiß nicht was sein wird,<br />
sollte mir das ein zweites Mal passieren. Schließlich gehöre ich<br />
jetzt auch zu ihnen: den Männern auf der Watchlist. ●<br />
Statement der WGKK:<br />
Gibt es bei der WGKK eine Watchlist? Also eine Liste, auf<br />
der vermerkt wird, wie oft und wieso jemand bei Ihnen<br />
war? Nein, diese gibt es nicht.<br />
... bezüglich der Kostenübernahme: Herr Dizdarevic hat die<br />
PEPTherapie auf Kosten der Wiener Gebietskrankenkasse<br />
(WGKK) erhalten.<br />
... bezüglich des Ablaufs: Die Rezepte für eine PEPTherapie<br />
werden prinzipiell direkt im ärztlichen Dienst der WGKK<br />
des zuständigen Spitals bearbeitet. Herr Dizdarevic war<br />
im AKH in der zuständigen Ambulanz, die auch das Rezept<br />
ausgestellt hat. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter<br />
dieser Ambulanz hätten ihn zur Bewilligungsstelle<br />
des AKH schicken müssen. Warum der Patient ins<br />
Gesundheitszentrum WienMariahilf gegangen ist, wissen<br />
wir nicht. Der Arzt im Gesundheitszentrum WienMariahilf<br />
hat Herrn Dizdarevic aufgrund fehlender Befunde an die<br />
zuständige Stelle ins AKH geschickt. Nach Rücksprache<br />
mit der Ambulanz konnte die zuständige Ärztin der<br />
Bewilligungsstelle im AKH das Rezept bearbeiten.<br />
Statement Österreichische AIDS-Gesellschaft –<br />
Dr. Horst Schalk, Vizepräsident der österreichischen<br />
AIDS-Gesellschaft:<br />
„Dass die PEP trotz Rezept eines HIVSpezialisten immer<br />
öfter durch die WGKK nicht bewilligt wird, ist uns<br />
bekannt. Besonders in den Krankenhäusern ist das ein<br />
Problem, weniger in den Praxen. Genaue Zahlen sind<br />
uns leider nicht bekannt. Da es sich bei der PEP um eine<br />
Prophylaxe handelt, ist die Krankenkasse gesetzlich<br />
nicht dazu verpflichtet. Vergleichbar wäre das etwa mit<br />
Schutzimpfungen, da besteht auch keine Pflicht. Wir<br />
befinden uns allerdings momentan mit den Krankenkassen<br />
in Verhandlungen und versuchen den Zugang zu der PEP<br />
allgemein zu erleichtern.“<br />
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