LUST UND LASTER persönlich ansprechen. Dazu gehören die Stimmung, das Ambiente oder auch der kreative Charakter des Tanzes.» Interessant ist eine Gemeinsamkeit, die er im Verlaufe der Jahre unter den Tangobegeisterten ausgemacht hat. Ferro: «Die meisten haben in ihrem Lebenslauf irgend etwas Undefinierbares, Entwurzeltes. Sei es, dass ein Elternteil ausländisch ist oder dass sie als Kind lange im Ausland gelebt haben.» Zum Tango gehört eine Portion Leid Für Verena Vaucher, die schon neun Jahre tanzt und unter anderem in St. Gallen die Schule «Tango del Alma» gegründet hat, gehört auch eine Portion erfahrenes Leid oder zumindest eine gewisse Lebenserfahrung dazu. «Bei ganz jungen Schülern sprüht es zwar manchmal geradezu vor Tanzfreude und Talent. Doch das gewisse Etwas fehlt.» So sind auch die meisten Tänzerinnen und Tänzer auf dem Parkett des «Silbando» deutlich über 30 Jahre alt. Erstaunlich ist, wie der Tango Argentino viele europäische Frauen anzusprechen scheint, die sich selbst als engagiert emanzipiert bezeichnen würden. Schliesslich gilt der Tango als der Macho-Tanz schlechthin. Der Mann gibt die Führung praktisch nie aus den Armen. Nur wenn sich die Tänzerin absolut unterordnet, kann eine Harmonie der Bewegungen entstehen. «Der Tango ist wie eine Insel, wo die Frau in einem geschützten Rahmen die alten geschlechterspezifischen Rollen ausleben kann», sieht Verena Vaucher eine mögliche Erklärung. Gleichzeitig hat sie auch schon die Erfahrung gemacht, dass europäische Tangueros mit ihrer Führungsrolle Mühe haben und der Partnerin Freiheiten zugestehen, die für jeden Argentinier absolut unvorstellbar wären. Tango-Schnupperkurs Bulletin bietet interessierten Lesern die Möglichkeit, in einem zweistündigen Schnupperkurs erste Gehversuche im Tango zu machen. Siehe Talon. WIE DAS BANDONEON ZUM TANGO FAND Kaum eine Musik ist so geprägt vom Klang eines Instrumentes wie der Tango vom Bandoneon. Das Bandoneon gehört zum Tango wie die Gitarre zum Flamenco. Gleichzeitig ist der Tango fest verknüpft mit Buenos Aires. Er erzählt wehmütige Geschichten aus einer längst vergangenen Zeit in einem fremden Land. Und doch sind uns Europäern die Wurzeln des Bandoneons näher als jedem Argentinier. Kein Bandoneon, das bis heute am Rio de la Plata einen Tango gespielt hat, wurde in Argentinien gebaut. Alle stammen sie aus Deutschland – die meisten aus Carlsfeld im Erzgebirge. Es war denn auch der deutsche Musiklehrer und Instrumentenverkäufer Heinrich Band, der dem Bandoneon seinen Namen gab. Er selbst erhob aber nie den Anspruch, das Instrument erfunden zu haben. Diese Ehre gebührt vermutlich Carl Friedrich Zimmermann, der Mitte des 18. Jahrhunderts im sächsischen Carlsfeld eine Röhreninstrumenten-Fabrik gegründet hatte. Beim Bandoneon werden die Töne beidseitig mit Knöpfen angestimmt. Dabei konnte die Zusammenstellung und Anordnung der Töne je nach Auftraggeber variieren. Ein System regte Heinrich Band an. Entsprechend erhielt diese Version in einer Wortsynthese von Band und damals noch Akkordion den Namen Bandonion. Nicht zuletzt wegen der Geschäftstüchtigkeit von Heinrich Band hat sich diese Bezeichnung schliesslich für alle Versionen durchgesetzt. Band verkaufte nicht nur seine gut sichtbar beschrifteten Bandonions, sondern lieferte auch Noten dazu. Zudem bot er Unterrichtsstunden an. Die Knopftastatur ermöglichte es auch einfachen Leuten ohne Notenkenntnisse, das Bandonion zu spielen. Dadurch wurde es Ende des 19. Jahrhunderts als Klavier des kleinen Mannes immer beliebter. Statt mit Noten wurden die Melodien vielfach mit Systemen aus Symbolen und Zahlen, so genannten «Wäscheleinen», festgehalten. Den Höhepunkt erlebte das Bandonion in den Zwanziger- und Dreissigerjahren. Damals gab es in Deutschland über 800 Bandonionvereine. Ebenso verklärt und von Mythen umrankt wie die Tangolieder ist die Geschichte, wie das erste Bandoneon um 1870 nach Buenos Aires kam. Nach einer durchzechten Nacht sollen es deutsche Matrosen in einer Hafenkneipe versetzt haben. Noch am selben Abend habe sich ein Gitarrist auf dem neuen Instrument versucht. Für die Geschichte spricht, dass die Argentinier das Bandoneon von Anfang an anders als die Deutschen benutzten. Fast schon anarchisch drangen sie in die Tonwelten des fremden Instruments vor und bezogen es in die Musik der neuen Welt mit ein. Dabei entwickelt das Bandoneon eine eigenständige Klangwelt, in der selbst die technisch bedingten Nachteile des Instruments wie das Fauchen des Luftstroms oder das Klappern der Holzteile eine tragende Rolle bekamen. Bis in die Fünfzigerjahre besingt der Tango vor allem schmalzige Liebesgeschichten oder spielt zum Tanz. Zu einem eigenständigen Konzertereignis wurde er erst mit dem Bandoneonisten Astor Piazzolla. Mit seinem «Tango Nuevo», den er fürs Ohr, und nicht zum Tanzen, spielte, entwickelte er die Musik weiter, vereinte sie mit Elementen des Jazz und der klassischen Musik. Viele Argentinier nahmen Piazzolla den «Tango Nuevo» übel. Sie sahen sich ihrer Jugend beraubt. Und doch brauchte es die Musik von Piazzolla, um den Tango am Leben zu erhalten. Foto: Imagebank 64 Credit Suisse Bulletin 1|<strong>02</strong>
ADVICO YOUNG & RUBICAM Was immer Sie tun. Wir sind für Sie da. WINTERTHUR mit CREDIT SUISSE, ein starkes Versicherungs- und Bankteam. Für alle Fälle, 24 Stunden am Tag und 365 Tage im Jahr. Sie erreichen uns unter Telefon 0800 809 809 oder über www.winterthur.com/ch. Oder direkt bei Ihrem Berater.