LEADERS Abt Martin, Kloster Einsiedeln «Die Kirche in der Schweiz sollte Bedingungen schaffen, um die Menschen mit ihren Sehnsüchten hören zu können.» meinschaft mit Gott geschehen. Auf einer grafischen Darstellung sollte also das «ora» über allem stehen, «labora» wäre dann einfach ein Unteraspekt davon, gleichberechtigt mit Lesung, Meditation oder Gesprächen. Die Devise «ora et labora» für das benediktinische Leben wurde übrigens erst Ende des 19. Jahrhunderts aufgestellt und ist typisch für die Zeit der Industrialisierung, in der die Arbeit an sich enorm an Bedeutung gewann. J.P. Abt zu sein ist kein «nine-to-five»-Job. Wo holen Sie sich Ihre Impulse? A.M. Die Impulse kommen, wie Benedikt schon sagt, aus dem Zuhören, der Heiligen Schrift, der Stille, dem Gebet, aus Begegnungen mit Mitbrüdern und Mitschwestern, Gästen und Kritikern. Für mich ist entscheidend, dass ich mir Zeit reserviere, um bewusst in mich hineinzuhören. Es muss ja nicht viel sein, fünf Minuten pro Tag, in denen ich ganz bewusst zur Ruhe komme, damit ich wieder hören kann. J.P. Das Klosterleben hat viele Berührungspunkte mit dem Leben ausserhalb der Klostermauern. Wo können die zwei Lebensformen voneinander lernen? A.M. Ich denke schon, dass das Kloster einen Impuls nach aussen geben kann. Allein durch unseren Lebensstil, ohne predigen zu müssen, sind wir ein Zeichen dafür, wie wichtig es ist, zuzuhören, sich Zeit zu nehmen für die Stille und das Hören auf Gott. Die Grundhaltung, die Benedikt für den Mönch vorsieht, ist auch eine Grundhaltung für jeden Christen, nämlich in der Gegenwart Gottes zu leben und alles aus dieser Haltung heraus zu tun versuchen. J.P. Als Abt sind Sie auch Mitglied der Schweizerischen Bischofskonferenz. Wo sehen Sie die dringendsten «Leader»-Aufgaben dieses Gremiums? A.M. Für mich sind es dieselben, die ich auch für das Kloster als Hauptaufgaben sehe: Zuhören, die Situation und ihre Probleme erkennen und entsprechende Entscheide treffen. Ein Beispiel: In den letzten 30 Jahren sind wir der Problematik um Kirchenaustritte oder schlecht besuchte Gottesdienste mit einer Machermentalität begegnet. Wir boten mehr und attraktivere Gottesdienste an. Das hat aber das Problem nicht behoben. Jetzt muss die Erkenntnis folgen, dass wir diesem Phänomen mit einer ganz anderen Haltung begegnen müssen. Das Bedürfnis der Menschen nach Stille und die Sehnsucht nach religiöser Erfahrung ist vorhanden; bloss haben wir sie zum Teil einfach übersehen. Wir stehen da und wundern uns, dass unsere Angebote nicht angenommen werden, aber wir sind überhaupt nicht da, wo die Menschen ihre Sehnsüchte haben. Die Kirche in der Schweiz sollte vom Machen wegkommen und stattdessen Bedingungen schaffen, um die Menschen mit ihren Sehnsüchten hören zu können. J.P. Ist es nicht schwierig, diese Leute zu erreichen? A.M. Nein, das glaube ich nicht. Der Bischof von Limburg hat schon vor mehr als zehn Jahren etwas gesagt, was mich sehr beeindruckt: Wir beklagen uns, dass die Leute nicht in die Kirche kommen. EIN WALLISER BENEDIKTINER WIRD ABT VON EINSIEDELN Mit 39 Jahren wurde Pater Martin Werlen am 10. November 20<strong>01</strong> zum neuen Abt von Einsiedeln gewählt. Die Abtsweihe erfolgte am 16. Dezember. Er ist der erste Walliser im Amt des Abtes und gleichzeitig einer der jüngsten der bisher 58 Vorsteher der Klostergemeinschaft. Sein Amt ist auf zwölf Jahre beschränkt. Wenn man aber an einem Sonntagnachmittag in den Dom von Limburg geht, ist er voller Leute, nur wir sind nicht da. Wir können doch nicht erwarten, dass die Leute in die Kirche kommen, wenn wir da sind, sondern umgekehrt: Wir müssen in die Kirche gehen, wenn die Leute dort sind. Das erfordert natürlich ein Umdenken; neue Formen der Begegnung mit der Kirche sind gefragt. Wir haben ein Tonband, das die Klosterkirche Einsiedeln erklärt. Interessant ist, dass sich die Leute hinsetzen und sich Zeit nehmen, um sich das Band anzuhören. Sie sind ganz offensichtlich bereit, etwas zu empfangen. J.P. Das Internet bietet sich für die Kirche als neue Form der Begegnung an. Sie sind ein regelmässiger User. Gehört das zu Ihrer seelsorgerischen «Kundenfreundlichkeit»? A.M. Als «mönch» gehe ich etwa zweimal wöchentlich in einen Chatroom. Ich empfinde es als schöne Erfahrung, auch hier mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Oft sind es sehr religiöse Gespräche. Ich stelle dabei immer wieder fest, dass junge Menschen gegenüber Religion überhaupt nicht verschlossen sind, sondern reges Interesse daran zeigen. Der Papst hat kürzlich dazu aufgerufen, das Internet in der Kirche vermehrt einzubeziehen. Ich sehe das genau so: Wir sollten die Mittel, die uns zur Verfügung stehen, ausschöpfen. J.P. Wie sehen Sie angesichts dieser vielen Herausforderungen die Zukunft des Klosters Einsiedeln? A.M. Ich wünsche mir, dass die Gemeinschaft gestärkt wird, dass wir an Ausstrahlung gewinnen und so jungen Menschen, die auf der Suche sind, einen überzeugenden Lebensstil zeigen können. Ich hoffe und bin auch zuversichtlich, dass wir in den nächsten Jahren einen neuen Schritt wagen, um auf den Menschen von heute zuzugehen und ihn an Orte, wie Einsiedeln einer ist, einladen zu können. Foto: Eva-Maria Züllig 74 Credit Suisse Bulletin 1|<strong>02</strong>
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