Entspanntes <strong>Klima</strong>: Botschafter Karl Vetter von der Lilie in seiner Berner Residenz vor dem Porträt von Kaiser Josef I. (1678–1711).
KLIMA «Das <strong>Klima</strong> ist viel besser geworden» Karl Vetter von der Lilie ist seit Anfang 20<strong>02</strong> österreichischer Botschafter in der Schweiz. Wir unterhielten uns mit dem erfahrenen Diplomaten über das politische <strong>Klima</strong> in Europa nach dem Fall des Eisernen Vorhangs und dem Erstarken der politischen Rechten. Interview: Andreas Schiendorfer, Redaktion Bulletin Foto: Eva-Maria Züllig Andreas Schiendorfer Herr Botschafter, Sie sind seit Anfang 20<strong>02</strong> in der Schweiz. Wie haben Sie sich eingelebt? Welches politische <strong>Klima</strong> haben Sie hier vorgefunden? Karl Vetter von der Lilie Ich hatte überhaupt keine Probleme. Es bestehen ja seit langem ausgezeichnete und vielfältige Beziehungen zwischen der Schweiz und Österreich. Man fühlt sich in Bern sehr schnell zu Hause. Sie dürfen gegenüber der Schweiz zwei Wünsche anbringen: Welche sind dies? Wir haben eine gemeinsame Sorge, und das ist der Alpentransit. Um dieses Problem besser angehen zu können, sind wir auf die Unterstützung der Schweiz angewiesen. Diese wäre natürlich wirksamer, wenn die Schweiz Mitglied in der EU wäre. Aber das ist, ich weiss, im Moment kein Thema. Sorgen bereitet uns Ihre Energiepolitik. Wir haben, ehrlich gesagt, Angst, es liege dereinst ein Endlager zu nahe an unserer Grenze. Damit jedoch die Relationen stimmen, möchte ich betonen, dass uns die Schweiz und die Schweizer sehr gefallen, so wie sie sind. Während Ihrer Diplomatenzeit stellte wohl das 1989 einsetzende «politische Tauwetter» das einschneidendste Ereignis dar. Wie haben Sie jene Zeit erlebt? Ich selbst war bis 1990 in Paris und damit recht weit weg vom Geschehen. Selbstverständlich haben wir aber alles, von den Botschaftsbesetzungen in Budapest und Prag bis zum Fall der Berliner Mauer, sehr intensiv verfolgt. Das berühmte Picknick der paneuropäischen Bewegung fand auf der österreichisch-ungarischen Grenze statt. Damals wurde der Drahtzaun kurz geöffnet, und es sind Hunderte von Ostdeutschen nach Österreich gekommen. Hat Österreich dabei aktiv mitgewirkt? Von österreichischer Seite hat man das irgendwie kommen sehen. Wir waren vorbereitet, betreuten die Leute und führten sie nach Deutschland; aber die Augen zudrücken mussten die Ungarn. Sie hätten ein Interesse haben können, es zu verhindern. Unvergesslich ist der Moment, als Aussenminister Alois Mock mit seinem tschechischen und ungarischen Kollegen den Eisernen Vorhang mit einer Schere durchschnitt. Was bedeutete dies für das neutrale Österreich? Österreich war aufgrund der langen gemeinsamen Grenze von der Zweiteilung Europas besonders betroffen. Die Neutralität war allerdings ein Stabilitätsfaktor an dieser sensiblen Linie. Die wirtschaftlichen, politischen und persönlichen Beziehungen rissen nie ganz ab und wurden bewusst gepflegt. Die Grenzöffnung erschien uns als etwas Erhofftes und Natürliches. Welche Rolle spielt das neutrale Brückenland heute zwischen Ost und West? Zwischen wem sollen wir noch eine Brücke schlagen? Wir sind rundum von der Nato umgeben. Vielleicht sind wir eher ein Dorn im Fleisch, ich weiss es nicht. Aber wir nützen die besseren Kenntnisse über diesen Raum, und unser starkes wirtschaftliches Engagement mag eine integrative Rolle spielen. Gegenwärtig beeinträchtigt eine Radikalisierung des rechten Spektrums das politische <strong>Klima</strong>. Österreich machte darüber hinaus spezielle Erfahrungen mit der massiven Einmischung der EU nach dem Aufstieg Haiders … Ja, das stellte eine enorme Belastung dar. Der persönliche Verkehr auf höherer Ebene wurde abgebrochen, und es wurden, über die offiziellen Sanktionen hinaus, etwa auch Schüleraustauschprogramme gestrichen. Ich hoffe, dass das nur ein Detail der Geschichte gewesen ist; aber ich könnte nicht sagen, es seien bereits alle Wunden vernarbt. Immerhin wurden seitens der EU die Lehren gezogen und ein ordentliches Prozedere für künftige Situationen geschaffen. Bereitet Ihnen der Rechtsrutsch in Europa Sorgen? Ein rechtes Spektrum ist stets vorhanden und macht jeweils zwischen 15 und 25 Prozent aus. Nachdem längere Zeit eher Linksregierungen an der Macht waren, schlägt nun das Pendel auf die andere Seite aus. Wenn wir aber an Frankreich denken, so hat nicht nur die Rechte zugelegt: Es ist doch erstaunlich, dass die Trotzkisten acht Prozent der Stimmen erhielten. Im Übrigen setzt sich die FPÖ in Österreich beispielsweise für ein Kindergeld für alle ein und damit für ein linkes Postulat. Vielleicht wäre die Bezeichnung populistisch treffender, zumal ja alle diese Parteien demokratisch sind. Ist es richtig, populistische Parteien in die Regierungsverantwortung einzubinden? Sicher findet so ein Schleifungsprozess bezüglich extremer Ansichten statt, jedoch ein penibler. Es ist ein erhebliches Spannungspotenzial vorhanden. Bei uns kommt hinzu, dass sich die ÖVP und die SPÖ praktisch 50 Jahre lang in der Regierung abwechselten. Da ist einiges «verkrustet». Und diese Versteinerung aufzubrechen ist, unabhängig davon, wie man zur FPÖ steht, schmerzlich. Die Schweiz mit ihrer permanenten Vier-Parteien-Koalition ist aber viel eher befugt, diese Frage zu beantworten … Karl Vetter von der Lilie begann seine diplomatische Laufbahn 1965 nach Abschluss des Rechtsstudiums in Wien. Bern ist seine sechste Auslandstation. Zuvor war der heute 63-Jährige auf dem Generalkonsulat in New York (1967–1971) sowie auf den österreichischen Botschaften in Warschau (1974–1977), Brüssel (1977–1981), Paris (1984–1990) und Bukarest (1998–2000) tätig. Credit Suisse Bulletin 3-<strong>02</strong> 25