Ob praktisch, edel oder ausgeflippt: In Sonja Riesers Hutladen findet sich für jede Gelegenheit der passende Hut. 72 Credit Suisse Bulletin 3-<strong>02</strong>
LUST UND LASTER Zeigt her eure Hüte! Der Hut als Statussymbol hat abgedankt. Doch auch moderne Hutträgerinnen setzen Zeichen: für mehr Selbstbewusstsein und Lebensfreude. Ruth Hafen, Redaktion Bulletin «tsumo-kukashi», die traditionelle Kopfbedeckung, die am Tag der Vermählung die Hörner der Eifersucht verdecken soll und so schwer ist, dass die Braut ohne fremde Hilfe gar nicht gehen kann? Der hohe, steife Hut stand für Status, Macht und Autorität; weiche Kopfbedeckungen wie die rote Jakobinermütze der französischen Revolution oder das Béret der französischen Résistancekämpfer hingegen symbolisieren revolutionäres Gedankengut und unkonventionelles Handeln. Auch die Schweiz hat einen Teil ihres rebellischen Nationalmythos einem Hut zu verdanken – Gessler lässt grüssen. Foto: Eva-Maria Züllig Die spinnen, die Britinnen! Im besten Sinn und wenigstens einmal im Jahr, immer Mitte Juni. Denn dann geht in Ascot, westlich von London, das wichtigste gesellschaftliche Ereignis der Saison über die Bühne: Royal Ascot. 20<strong>02</strong> findet das traditionsreiche Pferderennen ausnahmsweise an fünf anstatt nur an vier Tagen statt, anlässlich des «Golden Jubilee», des Kronjubiläums von Queen Elizabeth II. Zwischen dem 18. und dem 22. Juni wird sich die Damenwelt inner- und ausserhalb der «Royal Enclosure» – hier ist der Hut Pflicht – gut behutet zeigen und mit extravaganten Kopfbedeckungen den Pferden die Schau stehlen. Erlaubt ist, was Spass macht und Aufsehen erregt: Vom einfachen Strohhut bis zum schrill-exotischen Turmbau zu Babel ist hier alles zu sehen. Wer es sich leisten kann, kreuzt mit einer Kreation des irischen Star-Hutmachers Philip Treacy auf. Gegen 2000 Franken muss man für eines seiner Modelle investieren, dafür darf man sich der neidischen Blicke der Mitbewerberinnen im Wettlauf um die am meisten bewunderte Kreation sicher sein. Nicht ganz so teuer sind die Hüte der Modistin Sonja Rieser, die im Zürcher Niederdorf an der Froschaugasse seit zehn Jahren ihren Laden mit Atelier betreibt. Hier finden Hutträgerinnen mit einem Budget zwischen einhundert und tausend Franken etwas Passendes. Dem eigentlichen Hutkauf geht eine intensive Beratung voraus: Was für ein Mensch ist die Kundin? Für welche Gelegenheit soll der Hut sein, welches Kleid wird die Käuferin tragen? «Aber das Wichtigste ist», so Sonja Rieser, «dass die Käuferin sich mit Hut wohl fühlt. Es gibt nichts Schlimmeres als Frauen, die einen Hut tragen und sich dabei verkleidet vorkommen.» In einem solchen Fall verkaufe sie der Kundin lieber nichts. So verschieden Hutträgerinnen sein mögen, eines haben sie gemeinsam: Selbstbewusst stehen sie zu ihrem Geschmack. Der Hut hatte lange Zeit weniger mit Geschmack als mit gesellschaftlicher Stellung zu tun. Heute noch sind viele Zeremonien ohne Kopfbedeckung undenkbar. Was wäre der Papst ohne die Mitra, die englischen Royals ohne Zylinder und dezente Damenhüte? Oder die japanische Braut ohne den Hutmacher lebten früher gefährlich Viele revolutionäre Filzhutträger mögen für ihre Ideen gestorben sein und haben nicht viel mehr als ihr Gedankengut und eine blutgetränkte Kopfbedeckung hinterlassen; aber auch das Leben manch eines Hutmachers fand ein frühzeitiges Ende, denn die Hutmacherei war früher keineswegs gefahrlos. Die englische Wendung «as mad as a hatter», verrückt wie ein Hutmacher, hat ein durchaus reales Fundament: Damit das Fell besser verfilzte, verwendeten die Hutmacher ein Gemisch aus Quecksilber, Arsen und Salpetersäure als Beize. Die giftigen Dämpfe, die beim Verfilzungsprozess entstanden, hatten mit der Zeit Lähmungserscheinungen und Hirnschäden zur Folge. Zudem dürfte der Staub, der beim Filzen entstand, wohl viele Hutmacher dazu verleitet haben, ab und zu einen über den Durst zu trinken. Berühmte Modistinnen und Hutmacher Herbert Johnson: Die Hutmacherei Herbert Johnson, gegründet 1889 in der Londoner Bond Street, ist eine der berühmtesten und traditionsreichsten Adressen in Grossbritannien. Sie darf sich «Hutmacher der königlichen Familie» nennen. Daneben zeichnet sich dieses Atelier auch durch seine enge Verbindung mit dem Showbusiness aus: Hier wurde der Safari-Hut von Indiana Jones entworfen, Jack Nicholsons Hut für «Batman», Rex Harrisons Trilby aus «My Fair Lady» und Peter Sellers Hut für die Rolle als «Inspektor Clouseau» wurden alle hier hergestellt. Elsa Schiaparelli: Die Italienerin war Anhängerin des Surrealismus und liebte es, zu schockieren. 1930 kreierte sie die «Narrenkappe», eine moderne gestrickte Version der phrygischen Mütze, und wurde damit schlagartig berühmt. Ihre Kreationen einerseits und ihre Zusammenarbeit mit Salvador Dalí anderseits machten sie zu einer der bekanntesten Modistinnen der Dreissigerjahre. Philip Treacy: Der junge Ire ist der zurzeit renommierteste Hutmacher. Zu seiner Stammkundschaft gehört Prominenz wie Madonna, Diana Ross und Jerry Hall. Seine Kreationen nehmen schon mal die Form einer exotischen Blume, eines schillernden Insekts oder eines merkwürdigen Fabelwesens an. Credit Suisse Bulletin 3-<strong>02</strong> 73