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NORDKOREA – TEIL 2<br />
das sollten wir nicht unterschätzten – dieses<br />
Volk ist trotz seines Regimes stolz auf sein<br />
Land und seine Kultur. Daraus ergibt sich<br />
eine Tragödie, ein tragischer Irrtum der Geschichte.<br />
Aber auch eine Erklärung, wie es<br />
sein kann, dass ein Land eine Armee mit<br />
Atombomben, Raketen und Holzvergaser-<br />
Lastwagen unterhält, gleichzeitig aber das<br />
Volk hungern lässt.<br />
Der im Westen beinahe vergessene, grausame<br />
Korea-Krieg (1950 bis 1953) hat ein<br />
tiefes Trauma hinterlassen. Unbesehen davon,<br />
wer diesen Krieg letztlich begonnen hat<br />
(aus Sicht der Nordkoreaner die Amerikaner,<br />
aus westlicher Sicht die Nordkoreaner), war<br />
es im Verständnis der Nordkoreaner ein Befreiungskrieg<br />
gegen den US-Imperialismus<br />
(«grosser vaterländischer Befreiungskrieg»).<br />
Das heute noch spürbare Charisma von Präsident<br />
Kim Il-Sung nährt sich aus seiner Rolle<br />
erst als Widerstandskämpfer gegen die<br />
Japaner und dann als oberster Befehlshaber<br />
der nordkoreanischen Volksarmee. Er ist so<br />
etwas wie der «General Guisan der Nordkoreaner».<br />
Zu seinen Ehren ist ein grosser Triumphbogen<br />
errichtet worden, der in Dimensionen<br />
und Architektur durchaus an den «Arc<br />
de Triomphe» in Paris mahnt.<br />
Der nordkoreanische Sozialismus ist extremer<br />
und repressiver als jener der einstigen<br />
Sowjetunion. Die Geschichte lehrt uns, dass<br />
sich Sozialismus nie gewaltfrei durchsetzen<br />
lässt. Selbst der beaufsichtigte Besucher hat<br />
einst in der Sowjetunion immer Nischen des<br />
Kapitalismus gefunden. Schwarze Geldwechslerei<br />
war gang und gäbe und ich hatte<br />
ZUSATZINFOS<br />
«Das Reich des Bösen»?<br />
Ist Nordkorea eine Bedrohung<br />
für die Welt? Entspricht die<br />
nahezu permanente Präsenz<br />
in den Nachrichten tatsächlich<br />
seiner Bedeutung für die Sicherheit<br />
der Welt? Bei gesundem<br />
Menschenverstand ist die<br />
Antwort auf beide Fragen<br />
«nein». Wenn schon die riesige<br />
Sowjetunion, deren Reich<br />
sich von Berlin bis Wladiwostok<br />
erstreckte und die über<br />
riesige Mengen an Atomwaffen,<br />
Langstreckenbomber und<br />
Raketen verfügte, in ihrer Geschichte<br />
nie einen Angriff auf<br />
den Westen wagte – wie sollte<br />
dann ein Land auf einer Halbinsel<br />
im fernen Asien eine<br />
echte Bedrohung für die Welt<br />
sein? Wie sollte ein Land mit<br />
einer Armee, die viele ihrer<br />
Lastwagen wegen Treibstoffmangels<br />
mit Holzvergasern<br />
Die wohl dichteste Staatsgrenze der Welt.<br />
fahren lassen muss, einen Angriffskrieg<br />
führen? Wie soll<br />
ein Land ohne Rohstoffbasis<br />
(abgesehen von Kohle) einen<br />
Angriffskrieg führen? Von<br />
Nordkorea aus gibt es auch<br />
keine terroristische Bedrohung<br />
des Abendlandes. Nicht<br />
unbedingt ein Zyniker, wer in<br />
diesem Zusammenhang anmerkt:<br />
Wahrscheinlich sind die<br />
USA eine ebenso grosse Gefahr<br />
für den Weltfrieden. Der<br />
gesunde Menschenverstand<br />
sagt, dass Nordkoreas Raketen-<br />
und Atomprogramm defensiver<br />
Natur ist. Und ein<br />
grandioses PR-Instrument.<br />
Jeder Test sichert Nordkorea<br />
Schlagzeilen in den Weltmedien.<br />
Nordkorea wird ernst genommen.<br />
So festgefahren die<br />
Nordkoreaner in ihrer US-Paranoia<br />
auch sein mögen, so<br />
blockiert ist das westliche<br />
Denken über Nordkorea als<br />
«Reich des Bösen». Erst die<br />
Geschichte wird uns lehren, ob<br />
Nordkorea tatsächlich dieses<br />
«Reich des Bösen» war. Der<br />
verwirrte, bisweilen aufgewühlte<br />
Besucher fühlt nach<br />
seiner Rückkehr eine hilflose<br />
Traurigkeit. Wie kann es sein,<br />
dass ein stolzes Volk mit einer<br />
mehr als tausendjährigen Geschichte<br />
von der ganzen Welt<br />
geächtet wird?<br />
Fotos: Shutterstock.com/Matej Hudovernik/Mieszko9/Rex Wholster<br />
22 s’Positive 8 / <strong>2017</strong>