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Gegensätze in<br />

Nordkorea: Sicht<br />

über Pjöngjang (links)<br />

und die grünen<br />

Hügel des isolier ten<br />

Landes.<br />

genug Beziehungen, um einst in Moskau<br />

jeden Abend im Ausgang zu rocken und in<br />

feinen Restaurants zu speisen. Zugang durch<br />

die Hintertür. Das ist in Nordkorea völlig<br />

undenkbar.<br />

WEIT WEG VOM KAPITALISMUS<br />

Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit,<br />

und im Gespräch wird sogar stolz darauf<br />

hingewiesen. Aber ansonsten wird das Thema<br />

gemieden wie das geweihte Wasser vom<br />

Teufel. Es ist also besser, sich nicht auf diese<br />

Religionsfreiheit zu berufen. Denn die Staatsideologie<br />

ist atheistisch (gottlos). Ich habe<br />

vergeblich versucht, einen Gesprächspartner<br />

davon zu überzeugen, dass die Werte des<br />

Christentums mit den Werten eines menschlichen<br />

Sozialismus vereinbar sind. Das Problem:<br />

Der Staat toleriert keine andere Lehre<br />

als die eigene. Ja, es ist unvorstellbar, dass<br />

es neben der offiziellen Wahrheit noch eine<br />

andere geben könnte.<br />

In Nordkorea gibt es auf den ersten Blick<br />

keine Überreste des Kapitalismus. Zumindest<br />

nicht so offensichtlich wie einst in Osteuropa.<br />

Die Wohnungsmiete ist abgeschafft,<br />

der Staat teilt die Wohnungen zu. Bezahlt<br />

werden nur die Nebenkosten (Strom, Wasser).<br />

Daraus ergibt sich eine totale Abhängigkeit<br />

vom Wohlwollen der staatlichen<br />

Stellen. Es existieren, abgesehen von kleinen<br />

Kiosken, praktisch keine Läden. Geld wird<br />

nicht gewechselt, der Ausländer bekommt<br />

die einheimische Währung nicht zu Gesicht.<br />

Der Tourist zahlt an der Hotelbar, im Hotel-<br />

Shop oder an der Autobahnraststätte in Euro<br />

oder Dollar und kriegt sogar Euro-Münzen<br />

als Wechselgeld. Ein Bankensystem im westlichen<br />

Sinn gibt es nicht. Kreditkarten wer-<br />

Die Kriegsbedrohung wird auch<br />

heute noch im Alltag als real empfunden<br />

und durch die praktisch<br />

von allen Ländern mitgetragenen<br />

Sanktionen laufend bestätigt.<br />

den nicht akzeptiert. Die Genossen haben<br />

keine Bankkonten. Der Lohn wird Ende Monat<br />

bar auf die Hand bezahlt. Die Begründung<br />

dafür ist einleuchtend: Der Lohn reiche<br />

ja gerade fürs Allernotwendigste, und da<br />

brauche es kein Bankkonto. Was mich zur<br />

zynischen Bemerkung veranlasst hat, das<br />

komme mir bekannt vor: Das treffe bei uns<br />

auch auf viele zu – und auf dem Bankkonto<br />

gebe es ja keine Zinsen mehr. Nur noch Spesenabzüge.<br />

Der Krieg ist 1953 nur durch einen Waffenstillstand<br />

und nicht mit einem Friedensvertrag<br />

beendet worden. Die Nordkoreaner<br />

können sich aus diesem Trauma nicht lösen.<br />

Die Kriegsbedrohung wird auch heute noch<br />

im Alltag als real empfunden und durch die<br />

praktisch von allen Ländern mitgetragenen<br />

Sanktionen ja laufend bestätigt. Der Befreiungskampf<br />

ist nicht beendet.<br />

Die Demarkationslinie am 38. Breitengrad<br />

wird als Grenze nicht akzeptiert. Ob<br />

realistisch oder nicht, spielt keine Rolle: Das<br />

grosse Sehnsuchtsziel ist die Vereinigung des<br />

Vaterlandes, ein Ende der Präsenz der US-<br />

Imperialisten auf der koreanischen Halbinsel.<br />

In den in Nordkorea verkauften Landkarten<br />

ist diese Demarkationslinie nicht<br />

eingezeichnet. Die Argumentation, nur eine<br />

atomare Bewaffnung bewahre die Unabhängigkeit,<br />

ist für die Nordkoreaner keineswegs<br />

so absurd wie für uns. Es gilt die Ansicht, die<br />

Amerikaner hätten den Irak nicht zerstört,<br />

wenn Saddam Hussein im Besitze der Atomwaffe<br />

gewesen wäre. Für Raketen und Atombomben<br />

werden denn auch enorme Entbehrungen<br />

ertragen.<br />

Die Architekten des Regimes haben sich<br />

intensiv mit dem Zusammenbruch des Sozialismus<br />

in der Sowjetunion<br />

beschäftigt und sind zum<br />

Schluss gekommen, dass eine<br />

Vernachlässigung der Ideologie<br />

den Untergang herbeigeführt<br />

habe. Die Pflege der<br />

Ideologie, um sie auch der<br />

heranwachsenden neuen Generation<br />

«einzuimpfen», ist<br />

Programm – und wirkt unheimlich.<br />

Nicht eine Liberalisierung<br />

von Wirtschaft oder<br />

Gesellschaft, sondern eine Straffung der<br />

Planwirtschaft und der Bevormundung stehen<br />

im Zentrum der Innenpolitik. Die praktische<br />

Auswirkung ist eine völlige Abschottung<br />

gegenüber dem Ausland, die es in dieser<br />

extremen Form in der Geschichte noch<br />

nie gegeben hat und dem Land den wohl<br />

schlechtestmöglichen Ruf beschert.<br />

Während es etwa zwischen dem kapitalistischen<br />

West- und dem sozialistischen<br />

Ostdeutschland auch während des Kalten<br />

Krieges einen intensiven Nachrichtenaustausch<br />

gegeben hat, herrscht zwischen Nordund<br />

Südkorea absolute Funkstille. Südkoreaner<br />

können nicht nach Nordkorea einrei-<br />

s’Positive 8 / <strong>2017</strong> 23

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