sPositive_08_2017_web
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Gegensätze in<br />
Nordkorea: Sicht<br />
über Pjöngjang (links)<br />
und die grünen<br />
Hügel des isolier ten<br />
Landes.<br />
genug Beziehungen, um einst in Moskau<br />
jeden Abend im Ausgang zu rocken und in<br />
feinen Restaurants zu speisen. Zugang durch<br />
die Hintertür. Das ist in Nordkorea völlig<br />
undenkbar.<br />
WEIT WEG VOM KAPITALISMUS<br />
Die Verfassung garantiert die Religionsfreiheit,<br />
und im Gespräch wird sogar stolz darauf<br />
hingewiesen. Aber ansonsten wird das Thema<br />
gemieden wie das geweihte Wasser vom<br />
Teufel. Es ist also besser, sich nicht auf diese<br />
Religionsfreiheit zu berufen. Denn die Staatsideologie<br />
ist atheistisch (gottlos). Ich habe<br />
vergeblich versucht, einen Gesprächspartner<br />
davon zu überzeugen, dass die Werte des<br />
Christentums mit den Werten eines menschlichen<br />
Sozialismus vereinbar sind. Das Problem:<br />
Der Staat toleriert keine andere Lehre<br />
als die eigene. Ja, es ist unvorstellbar, dass<br />
es neben der offiziellen Wahrheit noch eine<br />
andere geben könnte.<br />
In Nordkorea gibt es auf den ersten Blick<br />
keine Überreste des Kapitalismus. Zumindest<br />
nicht so offensichtlich wie einst in Osteuropa.<br />
Die Wohnungsmiete ist abgeschafft,<br />
der Staat teilt die Wohnungen zu. Bezahlt<br />
werden nur die Nebenkosten (Strom, Wasser).<br />
Daraus ergibt sich eine totale Abhängigkeit<br />
vom Wohlwollen der staatlichen<br />
Stellen. Es existieren, abgesehen von kleinen<br />
Kiosken, praktisch keine Läden. Geld wird<br />
nicht gewechselt, der Ausländer bekommt<br />
die einheimische Währung nicht zu Gesicht.<br />
Der Tourist zahlt an der Hotelbar, im Hotel-<br />
Shop oder an der Autobahnraststätte in Euro<br />
oder Dollar und kriegt sogar Euro-Münzen<br />
als Wechselgeld. Ein Bankensystem im westlichen<br />
Sinn gibt es nicht. Kreditkarten wer-<br />
Die Kriegsbedrohung wird auch<br />
heute noch im Alltag als real empfunden<br />
und durch die praktisch<br />
von allen Ländern mitgetragenen<br />
Sanktionen laufend bestätigt.<br />
den nicht akzeptiert. Die Genossen haben<br />
keine Bankkonten. Der Lohn wird Ende Monat<br />
bar auf die Hand bezahlt. Die Begründung<br />
dafür ist einleuchtend: Der Lohn reiche<br />
ja gerade fürs Allernotwendigste, und da<br />
brauche es kein Bankkonto. Was mich zur<br />
zynischen Bemerkung veranlasst hat, das<br />
komme mir bekannt vor: Das treffe bei uns<br />
auch auf viele zu – und auf dem Bankkonto<br />
gebe es ja keine Zinsen mehr. Nur noch Spesenabzüge.<br />
Der Krieg ist 1953 nur durch einen Waffenstillstand<br />
und nicht mit einem Friedensvertrag<br />
beendet worden. Die Nordkoreaner<br />
können sich aus diesem Trauma nicht lösen.<br />
Die Kriegsbedrohung wird auch heute noch<br />
im Alltag als real empfunden und durch die<br />
praktisch von allen Ländern mitgetragenen<br />
Sanktionen ja laufend bestätigt. Der Befreiungskampf<br />
ist nicht beendet.<br />
Die Demarkationslinie am 38. Breitengrad<br />
wird als Grenze nicht akzeptiert. Ob<br />
realistisch oder nicht, spielt keine Rolle: Das<br />
grosse Sehnsuchtsziel ist die Vereinigung des<br />
Vaterlandes, ein Ende der Präsenz der US-<br />
Imperialisten auf der koreanischen Halbinsel.<br />
In den in Nordkorea verkauften Landkarten<br />
ist diese Demarkationslinie nicht<br />
eingezeichnet. Die Argumentation, nur eine<br />
atomare Bewaffnung bewahre die Unabhängigkeit,<br />
ist für die Nordkoreaner keineswegs<br />
so absurd wie für uns. Es gilt die Ansicht, die<br />
Amerikaner hätten den Irak nicht zerstört,<br />
wenn Saddam Hussein im Besitze der Atomwaffe<br />
gewesen wäre. Für Raketen und Atombomben<br />
werden denn auch enorme Entbehrungen<br />
ertragen.<br />
Die Architekten des Regimes haben sich<br />
intensiv mit dem Zusammenbruch des Sozialismus<br />
in der Sowjetunion<br />
beschäftigt und sind zum<br />
Schluss gekommen, dass eine<br />
Vernachlässigung der Ideologie<br />
den Untergang herbeigeführt<br />
habe. Die Pflege der<br />
Ideologie, um sie auch der<br />
heranwachsenden neuen Generation<br />
«einzuimpfen», ist<br />
Programm – und wirkt unheimlich.<br />
Nicht eine Liberalisierung<br />
von Wirtschaft oder<br />
Gesellschaft, sondern eine Straffung der<br />
Planwirtschaft und der Bevormundung stehen<br />
im Zentrum der Innenpolitik. Die praktische<br />
Auswirkung ist eine völlige Abschottung<br />
gegenüber dem Ausland, die es in dieser<br />
extremen Form in der Geschichte noch<br />
nie gegeben hat und dem Land den wohl<br />
schlechtestmöglichen Ruf beschert.<br />
Während es etwa zwischen dem kapitalistischen<br />
West- und dem sozialistischen<br />
Ostdeutschland auch während des Kalten<br />
Krieges einen intensiven Nachrichtenaustausch<br />
gegeben hat, herrscht zwischen Nordund<br />
Südkorea absolute Funkstille. Südkoreaner<br />
können nicht nach Nordkorea einrei-<br />
s’Positive 8 / <strong>2017</strong> 23