HEINZ Magazin Essen 08-2016
HEINZ Magazin August 2016, Ausgabe für Essen
HEINZ Magazin August 2016, Ausgabe für Essen
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1. TAG DER TRINKHALLEN<br />
Hoch die Kronkorken!<br />
Es ist die Würdigung eines Kultes, der so tief im Ruhrgebiet verwurzelt<br />
ist wie Kohle, Stahl und Bier. Wobei Letzteres hier ohnehin eine nicht<br />
unwichtige Rolle einnimmt: die Trinkhalle. Am 20. August avanciert dieser<br />
Mikrokosmos zur Bühne für Kabarett, Musik, Lesungen und Poetry<br />
Slam, denn das Jahr der Trinkhallen erhält mit einem ganzen Tag voller<br />
Kultur an ruhrgebietsweit 50 Buden seinen prickelnden Höhepunkt. Von<br />
16 bis 22 Uhr wird der Mythos gehörig belebt, denn die Ruhr Tourismus<br />
GmbH organisiert gemeinsam mit dem Regionalverband Ruhr und dem<br />
Ministerium für Familie, Kinder und Jugend, Kultur und Sport ein buntes<br />
Programm vor und in den teilnehmenden Buden – in der ganzen Region<br />
und das komplett gratis. Und wo, wenn nicht zwischen Lakritz, Pils und<br />
Boulevard könnte ein Ort der kulturellen Kommunikation besser funktionieren?<br />
Dort, wo sonst das Kleine des Alltags groß verhandelt wird, warten<br />
nun ganz unterschiedliche Künstler, die die Bude zur Bühne machen<br />
und sich auf Begegnungen mit dem Publikum freuen. Dazu zählen etwa<br />
die Ruhrpoeten, die ihre Liebe für Literatur besonders an Jungautoren<br />
weitergeben möchten – am 20. August soll es dazu reichlich Gelegenheit<br />
geben. Für Kabarett und Comedy hingegen ist Ebertbad-Chef Hajo Sommers<br />
zuständig: Als Kurator und bekennender „Budist“ zeichnet er dafür<br />
verantwortlich, dass die 50 Spielörtchen mit ausreichend Kleinkunst versorgt<br />
werden. Und wer behauptet eigentlich, dass vorm Zeitungsständer<br />
nicht ausreichend Platz zum Tanzen sei? Jazz, ob nun klassisch oder<br />
experimentell, lebt etwa von der Kommunikation unter den Musikern<br />
und mit den Zuhörern und darf am 20. August daher nicht fehlen. Fürs<br />
elektronische Programm lässt hingegen Chef-DJ Hans Nieswandt seine<br />
Kontakte spielen, sodass die Trinkhalle kurzerhand zum urbanen Dancefloor<br />
umfunktioniert wird. Das ein oder andere Alltagsdrama spielt sich<br />
sicherlich auch mal vorm Verkaufstresen ab. Wie passend, dass am 1. Tag<br />
der Trinkhallen mit der Sparte „Physical Theatre“ eine noch junge darstellende<br />
Spielart zu entdecken ist. Dann stehen Clownerie, Mimik und<br />
– Achtung! – Interaktion mit dem Publikum auf dem Programm. Diese ist<br />
beim Poetry Slam ebenfalls unerlässlich. Der gebürtige Duisburger Sebastian<br />
23 tourt am Trinkhallen-Tag mit ausgewähltem Poeten-Ensemble<br />
durch den Pott (siehe Interview) und stürzt sich wortstark in den Budenzauber.<br />
Dies sind nur ein paar der vielen Gründe, um am 20. August mal<br />
„nache Bude“ zu gehen. Und eines ist mit Blick aufs Trinkhallen-Hopping<br />
gewiss: An ausreichender Proviantversorgung wird es nicht mangeln.<br />
❚ TAG DER TRINKHALLEN 50 verschiedene Buden im Ruhrgebiet; Termin: 20.8., 16-22 Uhr; Eintritt frei;<br />
www.tagdertrinkhallen.ruhr<br />
SÜSSWARENANGEBOT TRINKHALLE DIETER TÖLLE IN GELSENKRICHEN, © RUHR TOURISMUS, REINALDO CODDOU<br />
Die Bude ist für mich ein<br />
magischer Ort!<br />
Über den Tresen gefragt: Sebastian 23 ist Spoken-Word-Künstler<br />
und moderiert am 20.8. gleich fünf Poetry Slams an fünf verschiedenen<br />
Buden. Kein Wunder also, dass für ihn Kiosk und Kommunikation<br />
voneinander untrennbar sind.<br />
Weshalb wird die Bude auch in Zukunft im Ruhrgebiet eine Institution<br />
sein?<br />
Weil sie so viel mehr ist als nur eine Einkaufsmöglichkeit mit längeren<br />
Öffnungszeiten als die der Supermärkte. Sie ist sehr oft ein<br />
Knotenpunkt im jeweiligen Viertel, ein Treffpunkt, an dem Menschen<br />
und Geschichten aufeinandertreffen.<br />
Was macht für Dich den Mythos der Bude aus?<br />
Ich bin in Duisburg geboren – und schon als Dreijähriger alleine<br />
die paar Schritte bis zur Bude an der Ecke gelaufen. In dieser kurzen<br />
Anekdote wird klar, warum das bis heute ein magischer Ort<br />
für mich ist. Und zugleich sieht man, was die Buden so besonders<br />
macht: die Nähe. Sowohl räumlich als auch sozial.<br />
Inwiefern ist die Bude denn ein Ort der Kommunikation?<br />
Das merkt man sofort, wenn man versucht, sich an der Supermarktkasse<br />
mit den Kassierern über Fußball, das Wetter oder eine<br />
neue Baustelle vor der Tür zu unterhalten. Oder die seltsamen Nachbarn,<br />
die nur nachts rauskommen und immer die gleichen, grellgelben<br />
Jacken tragen. Interessiert da keinen! Die möchten nur wissen,<br />
ob du Payback-Punkte sammelst. An der Bude ist das anders.<br />
Am 20.8. gibt’s an fünf verschieden Buden Poetry Slam – wie darf<br />
man sich das vorstellen?<br />
Es wird vor allem eine sehr direkte und nahe Erfahrung. Ohne<br />
hohe Bühne, ohne große Anlage, einfach geradeheraus und mitten<br />
hinein. Und vor allem gibt es zwischen den kurzen Shows immer<br />
auch die Gelegenheit, mit den Künstlern ins Gespräch zu kommen.<br />
Und ohne Ende Süßigkeiten zu kaufen.<br />
CHRISTOPH NEUMANN<br />
22 | <strong>HEINZ</strong> | <strong>08</strong>.<strong>2016</strong>