HEINZ Magazin Essen 08-2016

KINO
ÜBERSICHT
HEINZ-AUTOR
21 UNO FILM
DOKUMENTATION VON GIANFRANCO ROSI
Seefeuer
■ Leben im Brennpunkt. Es ist nicht viel los
auf Lampedusa; die kleine Mittelmeerinsel
am Rande Europas bietet kaum touristische
Attraktionen, und dennoch steht das Eiland
im Fokus des internationalen Interesses. Seit
Jahren bietet die karstige Landschaft das rettende
Ufer für Tausende Flüchtlinge, die sich
auf die gefahrvolle Überfahrt von Nordafrika
gemacht haben. Gianfranco Rosis Dokumentation
porträtiert den Gegensatz zwischen
provinzieller Eintönigkeit und dramatischer
Rettung. Von hysterischer Xenophobie und
Abschottung ist bei den Menschen auf Lampedusa
keine Rede, im Vordergrund steht die
Perspektive von Fischern, die wissen, was es
heißt, dem Meer ausgeliefert zu sein. Rosi
nutzt die Ergebnisse seiner einjährigen Beobachtungen
auf Lampedusa keineswegs für
eine humanitäre Anklage, er lässt die Bilder
und die Menschen für sich sprechen – das ist
humanitärer Appell genug.
pk
❚ SEEFEUER (Fuocoammare) I 2016, 109 Min., Regie:
Gianfranco Rosi; Start: 28.7.
BIOPIC ÜBER JESSE OWENS
Zeit für Legenden
■ Der Mann hat es allen gezeigt, gegen alle
Widerstände gelangen ihm gleich reihenweise
Rekorde. Umso verblüffender, dass Hollywood
Jesse Owens erst jetzt – 80 Jahre nach
seinem olympischen Triumph und 35 Jahre
nach seinem Tod – ein Biopic gewidmet hat.
Aber das ist typisch für den Umgang Amerikas
mit dem Mann, der innerhalb von 45
Minuten fünf Leichtathletik-Weltrekorde aufstellte
und bei der 1936er-Olympiade in Berlin
mit vier Goldmedaillen die Rassenlehre der
Nazis auf den Kopf stellte. Die späte Hommage
ist ähnlich lieblos greaten, statt aus
der prekären Situation des Sportlers aus den
Südstaaten cineastische Brisanz zu erzeugen,
setzt TV-Regisseur Stephen Hopkins auf die
bieder-brave Dramaturgie eines historischen
Fernsehspiels mit einem artigen Sportsmann.
Da passt der merkwürdige deutsche Titel ins
Bild der verschenkten Gelegenheit. pk
❚ ZEIT FÜR LEGENDEN (Race) USA 2016, Regie: Stephen
Hopkins; mit: Stephan James, Jason Sudeikis, Jeremy
Irons, William Hurt; Start: 28.7.
SQUAREONE, UNIVERSUM
PHILIPP KOEP
Sequels über Sequels
Noch ein Superheld? Gott
sei Dank ist „Captain Fantastic“
nicht eine weitere
Figur aus dem Marvel-
Repertoire und den diversen
Weltrettungsszenarien
von X-Men, Avengers oder
Spider-/Super-/Batman. Im
immer eintöniger werdenden
Hollywood-Output aus
Franchise-Fortsetzungen ist
die Independent-Creation
von Matt Ross eine dankenswerte
Abwechslung mit
alternativem Weltrettungsansatz
(s. Story, Start: 18.8.).
Aber nicht nur Hollywood
flüchtet sich vor dem Risiko
eines Flops in das endlose
Fortstricken bewährter
Muster (diesen Monat:
„Die Unfassbaren 2”, „The
Mechanic 2“, „Jason
Bourne”) und Remakes wie
„Independence Day“, „Ghost
Busters“ (4.8.) oder Consommées
(= dünne Suppe
aus verbrauchten Zutaten)
wie „The Shallows“ (25.8.),
in den „Der weiße Hai“ mit
„127 Hours“ verschnipselt
wurde. Auch der deutsche
Film wärmt auf: „Antonio,
ihm schmeckt’s nicht“ (18.8.)
ist die schon vom Titel
her wenig einfallsreiche
Fortsetzung von „Maria,
ihm schmeckt’s nicht“, und
das war nur cineastische
Hausmannskost.
Philipp Koep
2016 CONCORDE FILMVERLEIH GMBH
MUTTER-TOCHTER-DRAMA
Julieta
■ Nach der Luftnummer mit der schwulen
Flugbegleiter-Farce „Fliegende Liebende“
widmet sich Frauenversteher Pedro Almodóvar
wieder dem weiblichen Wesen als melodramatische
Existenz. Als Julieta ein Lebenszeichen
ihrer verloren geglaubten Tochter
Antía bekommt, lässt sie die Lebenspläne für
einen Neuanfang mit ihrem Partner Lorenzo
fallen und begibt sich auf die Suche nach
Antía. In Rückblicken wird die Geschichte
ROMANTISCHE DREIECKSKOMÖDIE
Maggies Plan
■ Der Lebensentwurf der Mittdreißigerin
Maggie (Greta Gerwig) ist eigentlich ganz
einfach und funktional. Nachdem sie in New
York eine ansehnliche Karriere gemacht hat,
wünscht sich die Single-Frau nun ein Kind.
Das Problem ist freilich, dass das Schicksal
nicht immer so einfach und funktional verläuft
wie nach „Maggies Plan“. Als sie sich in
den verheirateten John verliebt, wird sie bald
schwanger und er lässt sich von Georgette
Julietas und ihre Liebe zu Antías Vater Xoan
erzählt, der einst spurlos verschwand. Es geht
ruhiger zu im einst so schrillen Personeninventar
von Almodóvar, und auch die aparte
Stammschauspielerin Rossy de Palma kommt
als sittenstrenge Haushälterin daher. Der 20.
Kinofilm des 66-Jährigen, der vor drei Jahrzehnten
das Bild Spaniens cineastisch auffrischte,
konzentriert sich auf das Melodram
– eine Telenovela im Arthouse-Format. pk
❚ (JULIETA) E 2016, 100 Min., Regie: Pedro Almodóvar,
mit: Emma Suárez, Adriana Ugarte, Daniel Grao, Inma
Cuesta, Darío Grandinetti, Rossy de Palma; Start: 4.8.
JON PACK HALL MONITOR INC.
MYSTERYTHRILLER
Die Unfassbaren 2
■ Die „vier Reiter“ schwingen sich wieder
in den Sattel für eine Fortsetzung des magischen
Trickbetruges mit Robin Hood-Appeal.
Das illustre Ensemble der effektorientierten
Zaubershow wurde ergänzt durch den einschlägig
vorbelasteten Daniel Radcliffe („Harry
Potter“), der die Illusionsexperten selbst
hinters Licht führen will. Neben dem FBI wollen
dem Quartett auch noch der rachsüchtige
Tressler und der Oberzauberkünstler Bradley
auf die Schliche kommen. Das hält diese
jedoch kaum ab von einem neuen Coup, mit
dem sie den Hightech-Tycoon und seine Machenschaften
auffliegen lassen wollen. Das
Konzept, die Leinwand mit ihren Trickeffekten
zur Bühne einer lukrativen Magie-Show
zu machen, hat profitabel funktioniert. Da
dürfte sich Co-Produzent David Copperfield
gleich doppelt über dieses rezeptgetreue Sequel
freuen: an der Kinokasse und durch den
Publicityeffekt für seine Vegas-Shows. pk
❚ DIE UNFASSBAREN 2 (Now You See Me 2) USA 2016,
129 Min., Regie: Jon M. Chu, mit: Jesse Eisenberg,
Woody Harrelson, Mark Ruffalo, Dave Franco; Start: 25.8.
scheiden. Doch nach drei Jahren folgt die
Ernüchterung, Maggie erkennt, dass John
doch besser zu Georgette als zu ihr passt und
betreibt nun die Neuverkuppelung des getrennten
Paares. Schließlich hätte sie selbst
dann wieder die Möglichkeit, sich auf ihr
eigenes Leben zu konzentrieren. Mit einem
illustren Ensemble inszenierte Filmemacherin
Rebecca Miller („Pippa Lee“) diese romantische
Dreieckskomödie mit dem gewissen augenzwinkernd
stadtneurotischen Touch. pk
❚ (MAGGIE’S PLAN) USA/UK 2015, 98 Min., Regie: Rebecca
Miller, mit: Greta Gerwig, Ethan Hawke; Start: 4.8.
TOBIS FILM, EL DESEO – MANOLO PAVÓN
50 | HEINZ | 08.2016