GLOBAL INVESTOR 1.17 —44 Jung und autofrei Für viele Erwachsene stehen die eigenen vier Räder für Freiheit. In zahlreichen Industrieländern benutzen junge Menschen Autos jedoch immer weniger. Wir analysieren die Ursachen dieses Trends und die Frage, ob er vorübergehender oder bleibender Natur ist. 100% Zugelassene FahrerInnen im Alter von 18 –24 Jahren Quelle: US-Verkehrsministerium, Schweizer Bundesamt für Statistik 87% 84% 81% USA 2014 77% 71% 69% 63% 2010 2005 2000 1994 50% 59% Foto: macida/Getty Images
GLOBAL INVESTOR 1.17 —45 Ein Auto galt früher als Statussymbol und wurde mit Freiheit und Erwachsensein assoziiert. Tempi passati: In den letzten Jahren scheinen junge Erwachsene in Industrieländern wie den USA, Norwegen, den Niederlanden, Grossbritannien, Deutschland und Japan immer weniger Interesse am Auto zu zeigen. Dieser Trend, der in den 1990er-Jahren einsetzte, manifestierte sich anfänglich in weniger Fahrausweisen unter jungen Menschen im Vergleich zur selben Altersgruppe früherer Generationen. In den USA fiel der Anteil der 20- bis 24-Jährigen mit Fahrausweis z.B. von 87.2% (1994) auf 76.7% (2014). In den meisten Ländern ging dieser Rückgang mit einer allgemeinen Reduktion der Autonutzung einher, d.h. mit einer sinkenden Zahl täglicher Autofahrten und täglich zurückgelegter Kilometer unter jungen Erwachsenen. In gewissen Ländern wie Deutschland benutzen sie alternative Transportmittel wie Eisenbahn oder Fahrrad, wogegen ihre Mobilitätsnachfrage in den USA insgesamt abgenommen hat. Virtuelle statt physische Mobilität Diese sich ändernden Mobilitätsmuster lassen sich mit zwei fundamental unterschiedlichen Theorien erklären. Die erste basiert auf sozioökonomischen Faktoren, wie etwa der Dauer der Ausbildung und dem Heiratsalter, die sich in den letzten Jahren beträchtlich verändert haben. Der deutliche Anstieg des wirtschaftlichen Ertrags einer guten Schulbildung hat die Einschreibungen an den Bildungsstätten steigen lassen. Dieser Trend wurde durch die jüngste Rezession weiter akzentuiert. In den USA nahmen die Hochschulanmeldungen deutlich stärker zu als im langfristigen Trend, weil sich Junge mit niedrigem Bildungsniveau zu einer Fortsetzung ihrer Ausbildung motiviert sahen, um ihre Chancen im Arbeitsmarkt zu erhöhen. In den USA stieg der Anteil der 25- bis 30-Jährigen mit Hochschulabschluss zwischen 1995 und 2009 um 4 Prozentpunkte, während die Beschäftigungsquote derselben Kohorte um 9 Prozentpunkte nachgab. Dasselbe Muster zeigte sich auch in den meisten anderen Ländern der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Aufgrund der längeren Ausbildungszeit stieg das Alter bei Arbeitsmarkteintritt, was ein tieferes oder gar kein Einkommen während der Studentenjahre sowie eine spätere Eheschliessung und Elternschaft impliziert. Wenn die rückläufige Autonutzung durch tiefere Einkommen in den Jugendjahren und eine zurückgestellte Familiengründung bedingt ist, sollten die Jugendlichen im späteren Leben, wenn sie finanziell bessergestellt sind, mehr Auto fahren. Diese Theorie lässt sich mit einem Zitat aus einem Bericht des Netherlands Institute for Transport Policy Analysis zum sich verändernden Mobilitätsverhalten junger Erwachsener zusammenfassen: «Not carless, but car-later». Sozioökonomische Faktoren im <strong>Wandel</strong> Die zweite Theorie besagt, dass die heutigen Jungen andere Verhaltensweisen und Mobilitätspräferenzen haben als frühere Generationen. Damit wäre die rückläufige Autonutzung auch das Resultat generationsspezifischer Faktoren. Diese Theorie wird beispielsweise durch Daten zu jungen Erwachsenen in Deutschland untermauert, die zwar ein Auto besitzen, sich aber trotzdem weniger oft hinters Steuer setzen. Eine mögliche Ursache für dieses veränderte Verhalten ist die Informations- und Kommunikationstechnologie, die physische mit virtueller Mobilität ersetzt. Die Freiheit, die mit dem Autobesitz einhergeht, wie z.B. der Zugang zu Informationen und Produkten oder der Austausch mit Familie und Freunden, wird heute auch durch Smartphones, Online-Shopping und soziale Medien geboten. Eine weitere Verhaltensänderung, die das Auto als Statussymbol infrage stellt, ist der Trend vom Besitz hin zum Sharing. Das Auto wird heute als nützliches Fortbewegungsmittel gesehen, das sich bei Bedarf ausleihen lässt – wie wenn man Musik streamt, statt eine CD zu kaufen. Dieser Trend wird durch den globalen Vormarsch des Carsharing bestätigt. Von 2006 bis 2014 stieg die Mitgliederzahl der Carsharing-Netzwerke weltweit von 346 610 auf 4.8 Millionen. In den USA alleine wird der Carsharing-Markt gemäss Prognosen bis 2020 auf 3.8 Millionen Mitglieder expandieren (von 1.3 Millionen 2014). Schlussfolgerungen und Implikationen Die meisten Studien zeigen, dass der rückläufige Autobesitz durch eine Kombination der beschriebenen Faktoren bedingt ist, wobei jedoch die sozioökonomischen Aspekte überwiegen. Die erläuterten gesellschaftlichen Faktoren, wie der Trend zu längerer Bildung und einer späteren Familiengründung in Verbindung mit tieferen Einkommen, bieten jungen Erwachsenen weniger Anreiz, ein Auto zu benutzen oder zu kaufen. Indessen dürfte ihr Interesse an Autos zunehmen, wenn sie älter werden. Die Auswirkungen der virtuellen Mobilität und von Smartphones auf die physische Mobilität sind wohl von geringerer Bedeutung, weil sich diese Technologien erst weit verbreiteten, nachdem die Autonutzung zu sinken begann. Der Trend weg vom Autobesitz hin zum Sharing könnte sich über tiefere private Autoverkäufe auf die Automobilhersteller auswirken. Er könnte aber durch steigende Verkäufe von gemeinsam genutzten Fahrzeugen teilweise aufgewogen werden. Tatsächlich gelangt ein Bericht von McKinsey zu den Perspektiven der Autoindustrie zum Schluss, dass die zunehmende Popularität der Sharing-Mobilität das Wachstum der globalen Autoabsätze bremsen könnte. Dennoch werden die weltweiten Autoverkäufe bis 2030 voraussichtlich um 2% jährlich steigen. Vor diesem Hintergrund wird die Änderung des Mobilitätsverhaltens die Autobranche wahrscheinlich vor gewisse Herausforderungen stellen, sie aber nicht existenziell bedrohen. Julia Dumanskaya Research Analyst +41 44 333 92 83 julia.dumanskaya@credit-suisse.com